Brexit:"Kein britischer Premierminister könnte dem jemals zustimmen"

Theresa May

Die britische Premierministerin Theresa May bei einem EU-Gipfel.

(Foto: dpa)
  • Die EU hat den Entwurf eines Austrittsabkommens mit Großbritannien vorgelegt. Die britische Premierministerin May lehnt den Entwurf ab.
  • Sollte es mit dem Brexit wieder eine Grenze Irland und Nordirland geben, könnte der blutige Nordirland-Konflikt wieder aufflammen.
  • Die Rückfalloption der EU ist eine Grenze zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Michel Barnier weiß genau, was kommt. Er weiß, dass der Furor in Großbritannien groß sein wird. Dennoch sagt der Brexit-Chefunterhändler der EU diesen Satz: "Der Text enthält keine Überraschung für unsere britischen Partner." Nun, eine Überraschung ist es vielleicht nicht, aber in den Augen der Londoner Regierung ist es in jedem Fall die nächste haarsträubende Provokation aus Brüssel. Barnier legte am Mittwoch den Entwurf eines Austrittsabkommens vor, 168 Artikel auf 118 Seiten.

Jener Teil, der für Großbritannien innenpolitischen Sprengstoff birgt, findet sich ziemlich am Ende: "Protokoll über Irland/Nordirland". Dabei geht es nicht nur um den Status einer Insel - es geht um Krieg und Frieden.

Die Antwort von Premierministerin Theresa May kommt dann auch prompt. Ihre Regierung könne den Vertrag in seiner jetzigen Fassung "niemals" akzeptieren. Der Vorschlag aus Brüssel, wonach Nordirland de facto im EU-Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben könnte, "untergräbt den gemeinsamen britischen Markt und bedroht die verfassungsmäßige Integrität des Vereinigten Königreichs", sagt May. Und: "Kein britischer Premierminister könnte dem jemals zustimmen."

Die Angst in beiden Teilen der irischen Insel ist jedenfalls groß. Sollte es mit dem Brexit wieder eine Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland geben, fürchten die Bürger, dass es zu einem Aufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts kommen könnte, der mit dem Karfreitagsabkommen 1998 beigelegt werden konnte. Das wollen sowohl die EU als auch die Regierung in London verhindern.

Brexit-Hardliner warnen vor einem "Vasallenstaat"

Doch angesichts der roten Linien, die May bislang in den Brexit-Verhandlungen gezogen hat, ist Barnier nicht gerade zuversichtlich, dass aus London ein konstruktiver Vorschlag kommt, wie die Grenze vermieden werden könnte. Deshalb hat sich die EU eine Rückfalloption ausgedacht, einen sogenannten Backstop. Dieser würde greifen, wenn es angesichts der künftigen Beziehung mit Großbritannien unmöglich sein wird, eine Grenze zu verhindern.

Sollte das Vereinigte Königreich also weder im EU-Binnenmarkt noch in der Zollunion bleiben, so wie es May postuliert hat, gibt es aus Brüsseler Sicht nur eine Möglichkeit, um eine Grenze zu vermeiden: Nordirland bleibt Teil des EU-Marktes. Damit entstünde eine Grenze zum Rest des Königreichs - was die Regierung in London wiederum mit aller Kraft verhindern will. "Ich werde die Situation von Irland nicht in der Schwebe lassen", verspricht Barnier. Und in Richtung May, die an diesem Freitag ihre nächste Brexit-Rede halten will, sagt er: "Ich bin gespannt. Aber ich denke, sie bestätigt ihre roten Linien."

Auf die Frage, ob er die britische Regierung erpressen wolle, entgegnet der Franzose relativ trocken: "Ich bluffe nie." Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die EU ein Rosinenpicken seitens der Briten akzeptieren würde. Das Königreich sei lange genug Teil dieser Union gewesen, um die Regeln zu kennen.

Zwei Tory-Abgeordnete im EU-Parlament sehen das ähnlich. Sie wechseln am Mittwoch zu den Christdemokraten.

Streit gibt es nicht nur in Sachen Irland. Auch die Bedingungen der Übergangsphase nach dem offiziellen EU-Austritt Großbritanniens am 29. März 2019 sind noch offen. Geht es nach der EU, soll das Königreich bis zum Abschluss eines Handelsabkommens alle Pflichten eines Unionsmitglieds weiter erfüllen - allerdings ohne mitreden zu dürfen. Dieser Souveränitätsverlust ist für die Brexit-Hardliner nicht vorstellbar, sie warnen deshalb vor einem "Vasallenstaat".

Umstritten sind auch die Rechte all jener EU-Bürger, die während der Übergangszeit nach Großbritannien ziehen. London pocht darauf, dass sie anders behandelt werden sollen als diejenigen, die schon vor dem Brexit-Referendum dort lebten. Die EU ist strikt dagegen.

Trotz allem will Barnier an seinem doch recht britischen Verhandlungsgrundsatz festhalten: "Bleib ruhig und sei pragmatisch."

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