Brexit:Katerstimmung am Tag danach

Nach dem Verhandlungs-Rückschlag ist in London Schadensbegrenzung angesagt. Theresa May versucht, ihren Deal mit Brüssel zu retten. Die EU-Unterhändler müssen warten, ob, wann und womit sie wiederkommt.

Von Daniel Brössler und Cathrin Kahlweit, London/Brüssel

Brexit: Der Brexit sorgt für Frust, bei Austrittsgegnern und Verhandlern.

Der Brexit sorgt für Frust, bei Austrittsgegnern und Verhandlern.

(Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Am Tag danach reiben sich Politiker, Politikberater, Journalisten immer noch die Augen. Was ist eigentlich am Montag, den 4. Dezember, im Berlaymont-Gebäude in Brüssel geschehen? Alles war vorbereitet gewesen für erfolgreiche Gespräche zwischen der britischen Premierministerin Theresa May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, ein 15-seitiges Papier mit abgestimmten Formulierungen zur Austrittsrechnung, zu den Rechten von EU-Bürgern nach dem Brexit und zur Vermeidung einer harten Grenze quer durch Irland wurde schon herumgereicht. In London brieften Mays engste Mitarbeiter die Tory-Parlamentarier. Für den nächsten Tag, also Dienstag, war in Westminster bereits Redezeit für die Premierministerin gebucht worden, und die Abgeordneten stellten sich auf eine Triumphrede ein: "Wie ich Phase eins der Gespräche mit Brüssel erfolgreich zum Abschluss brachte."

Aber dann wurden Einzelheiten der Formulierungen zur irischen Grenze bekannt, und die nordirische DUP, die Mays Regierung in London mit ihren zehn Stimmen am Leben erhält, fühlte sich überrollt. Was da öffentlich wurde, war nicht das, was man mit ihnen - offenbar ohnehin nur kursorisch - abgestimmt hatte. Dass man einem Sonderstatus für Nordirland nicht zustimmen werde, teilte DUP-Chefin Arlene Foster May am Telefon mit, die dafür das Essen mit Juncker unterbrach; der Rest waren Frust und Chaos.

Am Dienstag war daher Schadensbegrenzung in London angesagt: May versuchte, ihren Deal mit Brüssel zu retten, aber die DUP war erst einmal gar nicht zu Gesprächen bereit. Stattdessen traten einige nordirische Abgeordnete am Mittag vor die Presse. Sie wollten den Verhandlungsprozess zwar nicht platzen lassen, sagten sie, aber es komme auf den Wortlaut der Einigung an, und da gebe es eben bislang keine Einigung. Im Parlament stand Brexit-Minister David Davis Rede und Antwort und betonte, man werde Nordirland "nicht zurücklassen". Dann verwirrte er seine Zuhörer mit sophistischen Erklärungen darüber, dass "regulatorische Angleichung", die seine Regierung grundsätzlich anstrebe, etwas anderes sei als "regulatorische Harmonisierung".

Ist der Zeitplan überhaupt noch zu halten? In Brüssel macht sich zunehmend Pessimismus breit

Labour quälte die Tories mit Fragen zum miserablen diplomatischen Geschick der Premierministerin und schlug vor, das ganze Königreich solle doch in Zollunion und Binnenmarkt bleiben. May briefte zwischenzeitlich ihr Kabinett, um sich zu vergewissern, dass zumindest das noch hinter ihr steht. In London waren, zur allgemeinen Verzweiflung, am Dienstag also wieder viele Fragen offen - obwohl May verbreiten ließ, sie werde in den kommenden Tagen nach Brüssel zurückkehren, um weiterzuverhandeln. Derweil ließ Dublin, das am Montag quasi per Standleitung mit Brüssel verbunden gewesen war, wissen: Wir machen keine weiteren Kompromisse, der vorliegende Deal muss bleiben.

Für die Unterhändler in Brüssel hieß das: warten, ob, wann und womit May wieder kommt. In der EU-Hauptstadt verweist man darauf, dass May die Zeit davon läuft. Aus einem einfachen Grund: May will vom EU-Gipfel kommende Woche grünes Licht für die zweite Verhandlungsphase, in der auch über die Übergangszeit und ein Handelsabkommen gesprochen wird. Dafür aber gibt es zwei Voraussetzungen: Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder müssen "ausreichenden Fortschritt" in den bisherigen Verhandlungen feststellen. Und sie müssen Leitlinien für die zweite Phase beschließen. Andernfalls kann diese nicht beginnen.

Zwar hat das Team von EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Entwurf für solche Leitlinien schon vorbereitet. Diesen aber bekommen die Regierungen erst zu sehen, wenn die Einigung mit den Briten über Phase eins steht, über die Scheidungsfragen. Je später das passiert, desto weniger Zeit bleibt den Mitgliedstaaten, um die Leitlinien vor Gipfelbeginn kommenden Donnerstag zu prüfen und zu billigen. In Schweden etwa muss auch noch das Parlament befragt werden. Die am Montag nun verstrichene Frist habe daher ihren Sinn gehabt, wird in Brüssel betont. Neue Fristen will man nun keine mehr nennen. Nur soviel: Irgendwann wird es zu spät sein.

Zu spüren war am Dienstag zunehmender Pessimismus. Donnerstag oder Sonntag wurden als mögliche Termine für eine Rückkehr Mays nach Brüssel gehandelt. "Wenn es denn", wie ein EU-Diplomat sagte, "überhaupt noch klappt."

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