Brexit:Kanada in der Nordsee

Die Briten schwärmen schon vom Ceta-Vertrag als Modell für ihre künftigen Beziehungen zur EU. Aber die Rechnung ist mehr als schief - Kanada hat deutliche Nachteile. Und nur zur Info: Die Verhandlungen dauerten sieben Jahre.

Von Alexander Mühlauer

Großbritannien plant den radikalen Brexit. Diese Gewissheit ist bitter, aber immerhin ist es eine Gewissheit. London will raus aus dem gemeinsamen Binnenmarkt. Die Premierministerin will also auf keinen Fall das Modell Norwegen, Island oder Schweiz mit dem Zugang zum EU-Binnenmarkt und damit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Vielmehr möchte sie über die Einwanderung aus EU-Staaten wieder selbst bestimmen und sich nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen.

Warum der Ceta-Vertrag kein Modell für die Briten sein wird

Weil Theresa May das Modell Norwegen oder Schweiz ablehnt, bleibt im Grunde ein klassischer Freihandelsvertrag à la Ceta, wie ihn die EU-Kommission zuletzt mit Kanada geschlossen hat. Nur: Ceta öffnet bei Weitem nicht die Möglichkeiten des Binnenmarkts. Es fehlt vor allem das Filetstück, das die Briten auf jeden Fall in ihrem künftigen Verhältnis zur EU behalten wollen: die Kapitalmarktunion mit all ihren Vorteilen für die Finanzindustrie, und die Handlungsfreiheit bei den Finanzdienstleistungen. Die Finanzindustrie ist der britische Anker im Welthandel. Reißt die Leine, dann gerät die Insel ins Trudeln.

Abgesehen davon stünden noch viele Hürden vor einem britischen Ceta-Vertrag. Die Kanadier haben äußerst zuvorkommend verhandelt, das wäre mit den Briten nicht so einfach zu haben, zumal die Inhalte von Ceta der konservativen Regierung in London ohnehin zu sozial und umweltfreundlich wären. Außerdem wäre der von May erwünschte Zeitrahmen - ein Deal innerhalb von zwei Jahren - nicht zu halten. Mit Kanada verhandelte die EU sieben Jahre lang. Noch ist offen, ob wirklich alle Parlamente der EU-Staaten dem Vertrag zustimmen werden. Sektor für Sektor wird da geprüft; katalogisiert wurde alles vom Rindfleisch bis zum Autoscheinwerfer. Das dauert. Und es ist ein Unterschied, ob man mit einem Partner jenseits des Kanals oder jenseits eines Ozeans Handel treibt. Das verschiebt die Interessen.

Kein Wunder, dass der britische EU-Botschafter Anfang des Jahres einigermaßen frustriert zurücktrat, weil er die Torheit der Regierenden in London offenbar nicht mehr ertragen konnte. Zehn Jahre hielt er für eine realistische Perspektive für die Verhandlung eines Vertrags.

Das ist gut geschätzt, denn anders als Kanada oder Singapur ist das Vereinigte Königreich als Noch-EU-Mitglied dermaßen eng mit der Staatengemeinschaft verwoben, dass es so viele Bereiche zu bedenken gilt, von denen manche noch gar nicht auf der Brexit-Agenda stehen. Allein die Fragen, wie es mit Pensionszahlungen der EU-Beamten weitergeht oder mit all jenen Projekten in Großbritannien, die von der Europäischen Union bis auf Jahrzehnte hinaus finanziert wurden, sind enorm technisch und dementsprechend zeitraubend.

Im Mittelpunkt eines Brexit-Vertrages steht aber die Wirtschaft und mit ihr die Sorge in London, dass es die EU auf den führenden Finanzplatz Europas abgesehen hat. Dabei wollen die in London ansässigen Banken wissen, woran sie sind. Und auch die auf der Insel produzierenden Unternehmen können eine lange Phase der Unsicherheit nicht verkraften.

Aus Selbstschutz muss die Europäische Union auf das strukturelle Gleichgewicht achten: Der Binnenmarkt funktioniert, weil er an das EU-Budget gekoppelt ist - so entsteht ein Geben und Nehmen zwischen ökonomisch starken und weniger starken Mitgliedern. Macht das britische Beispiel Schule, gäbe es theoretisch nur noch Nehmer im Verhältnis der Staaten, dann ist der Weg nicht mehr weit zu Schutzzöllen und anderen Handelshemmnissen. Zu viel Eigensinn wäre das Ende des Binnenmarktes. Der Brexit-Deal darf für London also nicht günstiger zu haben sein als die EU-Mitgliedschaft.

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