Brexit:Johnson lässt Wähler hängen

Der populäre Befürworter des EU-Austritts will nicht für die Nachfolge von Premier Cameron kandidieren. Innenministerin May gilt nun als aussichtsreichste Bewerberin.

Von Björn Finke, London

Eine Woche nach dem historischen Austrittsreferendum in Großbritannien hat sich der populärste Brexit-Vorkämpfer völlig überraschend aus dem Rennen für den Posten des Premierministers verabschiedet: Der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson sagte am Donnerstag, er werde bei der parteiinternen Wahl für einen neuen Vorsitzenden und Premier nicht antreten. Johnson galt als Favorit für die Nachfolge von David Cameron. Als Kandidatin mit den besten Aussichten wird nun Innenministerin Theresa May gehandelt, die anders als Johnson für einen Verbleib in der EU geworben hatte. Gute Chancen werden auch Justizminister Michael Gove eingeräumt, der mit Johnson die Brexit-Kampagne anführte.

Am Donnerstag endete die Frist, bis zu der Politiker der Konservativen Partei ihre Kandidatur erklären konnten. Johnson sagte wenige Minuten vor deren Ablauf, der neue Parteichef und Premier müsse Vertreter der Brexit- und der Pro-EU-Kampagne bei den Tories versöhnen: "Ich bin zu dem Schluss gekommen, diese Person kann ich nicht sein." Zu dieser Einschätzung hätten auch die Mehrheitsverhältnisse in der Parlaments-Fraktion beigetragen.

Die meisten Abgeordneten und Minister der Tories kämpften gegen einen Austritt. Zudem ist das Brexit-Lager gespalten. Denn wenige Stunden vor Johnsons Auftritt hatte sich sein Mitstreiter Gove zum Kandidaten erklärt. Dabei hatte der langjährige EU-Gegner vorher Johnson seine Unterstützung versprochen. Jetzt kritisierte Gove Johnson und sprach ihm die Eignung ab, "für die kommenden Aufgaben die Führung zu übernehmen oder das Team aufzubauen". Medien berichteten auch über eine E-Mail von Goves Frau Sarah Vine an ihn und seine Berater, die an die Öffentlichkeit gelangt war. Darin schreibt die Journalistin, Johnson fehle die Rückendeckung des mächtigen Medienunternehmers Rupert Murdoch.

Neben den beiden Favoriten May und Gove treten drei weitere Kandidaten an. Von kommender Woche an soll die konservative Fraktion in mehreren Wahlgängen aus dem Bewerberfeld zwei Politiker auswählen, über die dann die Mitglieder abstimmen. Am 9. September wird das Ergebnis bekanntgegeben. Favoritin und Austrittsgegnerin May sagte, es werde mit ihr kein zweites Referendum geben: "Brexit heißt Brexit." Sie werde die EU aber erst dann offiziell über den Austrittswunsch unterrichten, wenn sich die Regierung auf eine Verhandlungsstrategie geeinigt hat, sagte die 59-Jährige. Das werde frühestens Ende des Jahres der Fall sein. Vertreter der EU drängen dagegen darauf, dass die Briten diesen Schritt möglichst bald vollziehen, damit Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen beginnen können. Bis diese abgeschlossen sind, bleibt Großbritannien Mitglied.

May schloss Neuwahlen aus, weil diese die Unsicherheit im Land vergrößern würden. Über Neuwahlen wird spekuliert, da die Mehrheit der Parlamentarier - anders als die Mehrheit der Wähler - gegen einen Austritt ist. Premierminister Cameron hatte am Freitag seinen Rücktritt angekündigt. Er hatte für den Verbleib in der EU geworben.

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