Brexit:Erst die Ablöse

Beim Thema Austritt bleiben die EU-Länder hart, sie möchten klare Zusagen sehen, dass London seine Scheidungsrechnung bezahlt. Premierministerin May aber ist gewaltig unter Druck. Und so kommen ihr die Partner wenigstens etwas entgegen.

Von Alexander Mühlauer

Jeder hat seine Lieblingsfloskel, bei Theresa May ist das nicht anders. Doch wenn die britische Premierministerin an einer Formulierung erst einmal Gefallen gefunden hat, dann wiederholt sie diese so konsequent und unerbittlich, dass man sie nicht mehr hören kann. Gerade beim Thema Brexit hat May die Gemüter ihrer Zuhörer schon des Öfteren strapaziert. Am Anfang sagte sie fast pausenlos "Brexit heißt Brexit". Oder dass Großbritannien eine "starke und stabile" Führung brauche. Für das Gipfeltreffen in Brüssel hat sich May eine neue Wendung einfallen lassen: "Zeile für Zeile" werde sie alle Verpflichtungen durchgehen, die ihr Land während der EU-Mitgliedschaft eingegangen sei.

Zeile für Zeile - das klingt zunächst einmal so, als würde ihre Regierung alles dafür tun, um so exakt wie möglich herauszufiltern, wie viel Geld Großbritannien der EU schulde. Das kann natürlich dauern. Nun sind bereits fast sieben Monate vergangen, seit May den offiziellen Austrittsbrief in Brüssel eingereicht hat. Ende März 2019 wird Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sein.

Insofern ist es nicht untertrieben zu sagen, dass die Zeit drängt. May lässt sich an diesem Freitag aber nicht aus der Ruhe bringen. Stoisch, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, steht sie im britischen Pressesaal, hinter ihr der Union Jack und - noch immer - die EU-Flagge. Für eine finale Brexit-Rechnung sei es noch zu früh, sagt sie. Die abschließenden Finanzdetails über den Austritt dürften erst klar sein, wenn alle Eckpunkte eines Deals feststünden. Wie gesagt: Ihr Land werde aber die Verpflichtungen gegenüber der EU prüfen. Zeile für Zeile.

Die Verhandlungen über das Geld stecken in der Sackgasse, daran hat auch der Gipfel in Brüssel nichts geändert. Wobei EU-Ratspräsident Donald Tusk das ein wenig anders sieht: Es habe sich erwiesen, dass Berichte über die besagte Sackgasse "übertrieben" seien. Komisch nur, dass ausgerechnet EU-Chefunterhändler Michel Barnier genau davon gesprochen hatte, als er den Stand der Verhandlungen in der Finanzfrage beschrieb.

Jetzt schon eine realistische Summe zu nennen, wäre Theresa Mays politisches Ende

In der Gipfelerklärung, die in nur 90 Sekunden gebilligt wird, dringen die EU-Staaten auf eine "feste und konkrete Zusage" zur Begleichung aller offenen Rechnungen. Da es diese noch nicht gibt, bleibt die EU dabei: Sie will erst über die Zukunft nach dem Brexit verhandeln, wenn dies geklärt ist. Dann könne man, wie von London gewünscht, über eine Übergangsphase und ein Handelsabkommen reden. Im Dezember wollen die Staats- und Regierungschefs darüber befinden, ob es "ausreichenden Fortschritt" dafür gibt.

Immerhin ein Signal des guten Willens gibt es dann doch. Die EU erklärt sich bereit, im Kreis der 27 Beratungen über die künftige Beziehung aufzunehmen. Dies sei durch Mays Rede vor einigen Wochen in Florenz möglich geworden, sagt Tusk. Darin hatte sie sich dazu bekannt, dass London die Verpflichtungen für eine zweijährige Übergangsphase übernehme; das entspräche etwa 20 Milliarden Euro. Doch die Forderungen der EU liegen weitaus höher - insgesamt zwischen 60 und 100 Milliarden Euro.

Den Staats- und Regierungschefs der EU ist natürlich bewusst, dass May unter einem gewaltigen innerparteilichen Druck steht. Wenn man so will, haben sie das Schicksal der Premierministerin ein Stück weit in der Hand. Jetzt schon eine realistische Summe zu nennen, wäre Mays politisches Ende. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagt, dass er sich das wünsche, "aber wenn das zu viel verlangt ist, dann sollte man wenigstens einen Vorschlag haben, wie man zu dieser Summe kommt." Nur: "Theresa May war noch nicht mal fähig, das anzugeben."

Bundeskanzlerin Angela Merkel klingt im Gegensatz zu Rutte fast schon versöhnlich: "Jetzt müssen sich beide Seiten bewegen." Die von May geforderte Übergangsphase sei eine "sehr interessante Idee". Und dann sagt Merkel noch: "Ich will eindeutig ein Abkommen und nicht irgendeine unvorhersehbare Lösung." Ein solches No-Deal-Szenario möchte auch May verhindern. Ihre Regierung wolle zwar "auf alle Eventualitäten" eingestellt sein, aber: "Wir arbeiten für eine gute Vereinbarung." Zeile für Zeile.

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