Brexit:Die Brexit-Verhandlungsstrategie der EU

FILE PHOTO: EU Brexit negotiator Barnier holds a news conference in Brussels

Michel Barnier leitet die Brexit-Verhandlungen für die EU.

(Foto: REUTERS)
  • Nach der Übergabe des offiziellen Austrittsgesuchs des Vereinigten Königreichs an die EU soll von Freitag an über die Grundprinzipien der Verhandlungen beraten werden.
  • Brexit-Chefunterhändler der EU ist Michel Barnier.
  • Für Barnier haben drei Fragen oberste Priorität: die Rechte europäischer Bürger zu wahren, die Erfüllung bereits eingegangener finanzieller Verpflichtungen und Nordirland.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer

Wie zelebriert man so einen Tag? Donald Tusk weiß es eigentlich auch nicht. Und er tut auch nicht so. Etwas verlegen hält der EU-Ratspräsident den Brief in die Höhe, den er gerade vom britischen Botschafter bekommen hat: "So hier ist er, sechs Seiten." Dann sagt er, dass das kein Tag sei, an dem man froh sein könne. "Paradoxerweise" bringe der Brexit aber auch Gutes: "Der Brexit hat uns, die Gemeinschaft der 27, entschlossener und einiger gemacht als zuvor", sagt er. Das ist die erste Botschaft an London: Ihr werdet uns nicht spalten.

No negotiation without notification, keine Verhandlung ohne Austrittsantrag - das war neun Monate lang das Mantra der EU gewesen. Diese Zeit hat sie genutzt, um sich auf den B-Tag vorzubereiten. Tusk ließ den Entwurf für die Grundprinzipien der Verhandlungen ausarbeiten, über die schon ab Freitag zwischen den Hauptstädten beraten werden kann. Am 29. April sollen sie auf einem Sondergipfel von der 27er-EU beschlossen werden. Ein paar Wochen später erhält die EU-Kommission das förmliche Mandat, mit den Briten über die Austrittsmodalitäten zu verhandeln. Dann ist der Mann am Zug, der in den kommenden zwei Jahren den vielleicht schwierigsten Job in Europa hat: Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier.

Der Franzose ist seit Oktober offiziell im Amt. Er hat seitdem mit Staats- und Regierungschefs und vielen Ministern über ihre Vorstellungen gesprochen. Barnier, ein ehemaliger EU-Binnenmarktkommissar, kennt die nationalen Zwänge - und deshalb steht für ihn die Einheit der 27 EU-Staaten an oberster Stelle. Zusammen mit seiner Stellvertreterin Sabine Weyand wird er die Verhandlungen leiten. Die Deutsche arbeitete zuletzt als stellvertretende Generaldirektorin der Handelsabteilung der EU-Kommission. "Mit Michel und Sabine sind wir sehr gut gerüstet", sagt ein EU-Diplomat selbstbewusst.

Als Erstes soll es um die Rechte der EU-Bürger im Vereinigten Königreich gehen

Für die Verhandlungen haben Barnier und seine Leute schon recht konkrete Vorstellungen. Der Franzose hat klargestellt, dass als Erstes die Unsicherheit beseitigt werden müsse, die der Brexit schaffe. Da geht es einerseits um die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger im Vereinigten Königreich wie auch die der 1,2 Millionen Briten in der EU. "Langfristig die Rechte europäischer Bürger zu wahren, wird von Beginn an unsere absolute Priorität sein", kündigte er kürzlich an.

Möglichst früh geklärt werden soll auch der Streit ums Geld. Die EU will darauf bestehen, dass Großbritannien bereits eingegangene finanzielle Verpflichtungen erfüllt. Auf dem Tisch liegt eine Rechnung in Höhe von 60 Milliarden Euro. Zentral ist auch eine Frage, in der es um Krieg und Frieden geht: Wie kann vermieden werden, dass zwischen dem EU-Staat Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland wieder Schlagbäume errichtet werden?

Geht es nach Barniers Brexit-Task- Force, könnten diese drei Fragen bereits im Herbst geklärt sein. Das wäre der optimistische Zeitplan. Beim EU-Gipfel im Dezember könnten die Staats- und Regierungschefs dann über den Stand der Dinge und das weitere Vorgehen beraten. Von Januar 2018 an sollen Arbeitsgruppen die Details des Brexit-Deals regeln, etwa den Streit über Zölle oder die Frage, ob Studenten aus EU-Staaten an britischen Universitäten künftig mehr bezahlen müssen oder nicht. Sollten die Chefunterhändler im Sommer 2018 zu dem Schluss kommen, dass eine Übergangsphase nötig sein wird, weil es einfach zu viele offene Fragen gibt, könnten deren Kriterien bis zum Oktober 2018 vereinbart werden. Bis dahin will Barnier einen Brexit-Deal haben, dem dann aber noch das EU-Parlament zustimmen muss - was keine kleine Hürde ist.

Der Verlauf der Verhandlungen hängt vor allem von den Briten ab

Die Botschaft aus Brüssel ist eindeutig: Von EU-Seite soll zügigen Verhandlungen nichts im Wege stehen. Aus kontinentaleuropäischer Sicht hängt der Verlauf der Verhandlungen vor allem von den Briten ab. Wobei sich schon im Austrittsbrief von Premierministerin Theresa May abzeichnet, dass London "so schnell wie möglich" detaillierte Gespräche über künftige Beziehungen in der Handels- und Sicherheitspolitik führen möchte. Die Briten wollen damit nicht bis zum Herbst warten. In Brüssel wiederum stellt man sich noch ganz andere Fragen: Wer wird eigentlich verhandeln? Ist es Londons Brexit-Minister David Davis persönlich - und falls ja, besteht er auf seinen Ferien im August? Tut er das, ist Barniers Zeitplan hinfällig.

Über solche Dinge redet Tusk am B-Tag allerdings noch nicht. Er fasst sich kurz. Man wolle, betont er, den Schaden für die Bürger der Union begrenzen. "Was kann ich hinzufügen?", sagt er am Ende noch. "Wir vermissen euch jetzt schon."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: