Brexit:Der Widerspenstigen Zähmung

British Prime Minister May and European Commission President Juncker walk during a break in the European Union leaders summit in Malta

Seine Küsse sind gefürchtet, sie liest lieber vom Blatt ab: Jean-Claude Juncker und Theresa May, hier bei einem Treffen auf Malta im Februar.

(Foto: Yves Herman/Reuters)

Die Erwartungen sind hoch: Am Montag trifft die britische Premierministerin Theresa May mit Kommissionschef Juncker zusammen. Ist sie tatsächlich zu bedeutenden Konzessionen bereit?

Von Cathrin Kahlweit, London

Das persönliche Verhältnis zwischen Theresa May und Jean-Claude Juncker könnte besser sein. Nicht nur ist die britische Premierministerin eine unzugängliche Person; sie liest lieber vom Blatt ab, als Menschen in die Augen zu schauen. Der EU-Kommissionspräsident hingegen kommt Menschen häufig auch physisch sehr nahe; Junckers Küsse sind in Brüssel gefürchtet. Vor allem aber soll aus Junckers Umfeld in der Vergangenheit Unfreundliches über May nach außen gedrungen sein. May habe unrealistische Vorstellungen vom Brexit, hieß es im April nach einem Dinner in Downing Street. Im Oktober sickerte nach einem Treffen durch, May habe die Kommission um Hilfe angefleht, weil ihr daheim das Wasser bis zum Hals stehe, zudem habe sie verzagt und erschöpft gewirkt. Im November schließlich drängte der Luxemburger die Britin zur Eile; "die Uhr tickt", ließ er sie wissen.

Nun gibt es an diesem Montag das nächste Treffen. Damit werden vor dem entscheidenden EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember Weichen gestellt für Großbritannien, für Theresa May. Sie wird in Brüssel dem Vernehmen nach ein konkretes Angebot für die Austrittsrechnung auf den Tisch legen; von etwa 55 Milliarden Euro netto ist die Rede. Nach der Begegnung, hatte Juncker zuletzt angekündigt, werde man sehen, ob "ausreichender Fortschritt" in den Verhandlungen zu verzeichnen sei. Man sei guter Hoffnung, heißt es in London. Alles sei offen, heißt es in Brüssel.

Brexit-Minister Davis hat sich weder durch Fleiß noch durch Detailkenntnis profiliert

Immerhin: Es ist Theresa May, die nach Brüssel fliegen wird, kein Nachfolger, keine Nachfolgerin; dabei war ihr Sturz seit ihrer Amtsübernahme im Sommer 2016 ein Dutzend Mal vorhergesagt worden. Mehr noch: Auch wenn nur noch 32 Prozent aller Briten laut einer Umfrage Vertrauen in ihre Amtsführung haben, sitzt May doch fester im Sattel als noch vor ein paar Monaten; ihre parteiinternen Widersacher haben sich durch Maulheldentum oder Inkompetenz selbst aus dem Rennen geworfen.

Außenminister Boris Johnson hat zwar ein ums andere Mal "rote Linien" für einen Deal mit Brüssel gezogen; aber bei den wenigen konkreten Verhandlungsfortschritten, die es bisher gab, hat er mitgezogen. David Davis, Chef von DExEU, dem "Department for Exiting the European Union", wie sein Amtssitz offiziell heißt, hat zwar seit Monaten verhandelt, sich aber weder durch besonderen Fleiß noch Detailkenntnis profiliert. Wenn es darauf ankam, stieg May in den Ring. Zuletzt hat Davis vor allem dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er drohte, auch zurückzutreten, wenn Damian Green, eine Art Kanzleramtsminister hinter May, wegen Tausender Pornos, die auf seinem Dienstcomputer gefunden wurden, zum Rücktritt gezwungen werde. Das Bedauern in Westminister würde sich in Grenzen halten.

Eine Gruppe Brexit-Fans, die droht, May zu Fall zu bringen, wenn sie zu viele Zugeständnisse an Brüssel macht, hat bis dato nicht genug Unterstützer gefunden. Die Brexit-Feinde in der Tory-Fraktion wiederum, die ab und zu mit Labour stimmen, leiden daran, dass die Haltung der Linken zum Brexit zu diffus ist, um als Gegenmacht zu May und ihrem Austrittskurs eine echte Rolle zu spielen. Vielleicht wäre die politische Lage im Königreich eine andere, wenn sich Labour-Chef Jeremy Corbyn je als echter Kämpfer für den Verbleib in der EU erwiesen hätte.

So aber sitzt May noch im Sattel, und vielleicht ist der Vergleich mit ihrer deutschen Kollegin gar nicht so abwegig: Wie die spröde Angela Merkel hat die herbe Theresa May das Talent zum Aussitzen. Ihre Gegner erledigen sich nach und nach selbst, wenn sie nur lange genug ignoriert werden. Und es gibt, wie derzeit zur Kanzlerin, keine echte Alternative zur britischen Premierministerin in der konservativen Partei. Würde sie gestürzt, weil ihr Brexit-Kurs zu konturlos, ja chaotisch ist, wer wollte den Job übernehmen? Hinter May stehen auch viele Wirtschaftsbosse, die massiv Druck machen, weil sie einen Brexit ohne Deal befürchten.

Anlass zur Kritik gäbe es in jedem Fall genug. Als May Artikel 50 auslöste und damit das zweijährige Austrittsverfahren in Gang setzte, hatte keiner in London, auch sie nicht, eine Vorstellung, was nun zu geschehen habe. Die Lehre, dass man wissen sollte, wie man wieder herauskommt, wenn man in eine Schlacht zieht, wurde von den kriegserfahrenen Briten viel zu lange ignoriert. Sie waren unvorbereitet, wesentliche Fragen waren nicht durchdacht, absehbare Konflikte wie die Irland-Frage wurden viel zu lange ignoriert, der Machtkampf zwischen Leavern und Remainern dominierte die Debatte.

Sie waren unvorbereitet, wesentliche Fragen waren nicht durchdacht

Aber auch hier gilt für May, was Merkel sich von Helmut Kohl abgeschaut hat: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. In Karikaturen wird sie als spitznasige, bleiche, hagere Hexe dargestellt. Aber eben auch als Chefin, die tägliche Intrigen und Machtkämpfe - noch - überlebt. Der Guardian hat am Wochenende die Unterschiede zwischen dem, was den Wählern versprochen wurde und dem, was nun auf dem Tisch liegt, aufgelistet und nennt den Prozess der kommenden Wochen: Brexit-climbdown, was sich diesem Fall mit "vom hohen Podest herabsteigen" übersetzen ließe. Diesen Abstieg muss May moderieren; sie schafft das bislang mit einer unerwarteten Widerstandskraft, auch wenn sie auf viele noch offene Fragen bis heute keine Antworten zu haben scheint.

Aber jeder Tag bringt neue Unwägbarkeiten: Da ist die Drohung der nordirischen DUP, die Minderheitsregierung von May zu stürzen, wenn sie Kompromisse in der Irlandfrage macht. Da sind die Schotten, deren Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon fordert, doch in Zollunion und Binnenmarkt zu bleiben. Da ist das Votum des Parlaments über den fertigen Vertrag, sollte es denn je einen geben. Da ist die Debatte über ein zweites Referendum, dann der Ratifizierungsprozess in den EU-Mitgliedsländern. Und da ist das wacklige Kabinett, in dem ein Minister nach dem anderen wegen kleiner und großer Skandale ausscheidet. Tausend Unwägbarkeiten also im Lichte der schieren Größe einer historischen Herausforderung.

Die Brexit-Kampagne war ein Gebräu aus Propaganda, Egomanie und Kurzsichtigkeit. An den Spätfolgen könnte am Ende auch Theresa May noch scheitern.

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