Brexit:Briten begeben sich auf Crash-Kurs

11 10 2017 London United Kingdom Theresa May PMQs Prime Minister Theresa May departs from Numb

Premierministerin May: Die Regierung halte Geld für jedwede Lösung bereit, also auch für einen Austritt ohne Verhandlungslösung mit der EU.

(Foto: imago/i Images)
  • Die Brexit-Verhandlungen könnten darauf hinauslaufen, dass es keinen Deal zwischen Großbritannien und der EU gibt.
  • Die britische Regierung hat Anfang der Woche die ersten sogenannten White Papers, informelle Vorlagen, für diesen Fall veröffentlicht.
  • In Brüssel werden die No-Deal-Gedankenspiele mit wachsender Besorgnis registriert.

Von Daniel Brössler, Brüssel, und Cathrin Kahlweit, London

Die Fragestunde der Premierministerin am Mittwoch war etwas unübersichtlich. Es wurde einfach zu viel durcheinandergebrüllt, was bedauerlich war, weil die "Prime Minister's Questions" um zwölf Uhr mittags im Unterhaus in der Regel sehr unterhaltsam und zudem die am häufigsten zitierte Quelle für Zitate und Nachrichten aus dem Parlament sind. Diesmal aber sagte, oder besser: brüllte Theresa May in die Zwischenrufe hinein, was in London besprochen, angedeutet oder lanciert wird: Es könnte tatsächlich alles darauf hinauslaufen, dass es keinen Deal mit der EU gibt.

Die Regierung halte Geld für jedwede Lösung bereit, sagte May am Mittwoch, also auch für einen Austritt ohne Verhandlungslösung mit der EU. "Und wenn es dazu kommt, dann wird das Geld eben dafür ausgegeben." Der Finanzminister beeilte sich zu versichern, dass er keineswegs in die Vorbereitungen für den sogenannten No-Deal-Fall investiere, bevor es nicht tatsächlich zum Crash mit Brüssel gekommen sei.

Andere aber wünschen sich nichts sehnlicher als genau diesen Crash, weil sie No Deal für die beste aller Lösungen halten. Ein Ende mit Knalleffekt, gerader Rücken, stiff upper lip, keine Kompromisse mit den Bürokraten und Geldverschwendern in Brüssel. Am Montag hatte die Regierung tatsächlich die ersten sogenannten White Papers, informelle Vorlagen, für diesen Fall veröffentlicht. Inklusive konkreter Pläne, dass das Königreich dann eben auf Basis der World Trade Organisation (WTO) handeln müsse - und wo genau im Inland große Lastwagen-Terminals für die Zollabfertigung gebaut werden könnten.

Einer der prominentesten No-Deal-Verfechter ist der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, der - mit näselndem Upper-Class-Akzent - May und allen Kollegen im Parlament erst am Montag mit unnachahmlicher Herablassung erklärt hatte, dass jeder Gedanke an eine Übergangsperiode, in der Brüssel weiter politisch und juristisch in London mitreden könne, zu weit gehe. Das würde bedeuten, "dass wir die EU nicht verlassen haben". Für Rees-Mogg, einen Darling der Brexiteers, ein Ding der Unmöglichkeit.

Wenn die EU den Deal will, muss sie einlenken, finden die Konservativen

Der Zwei-Meter-Mann, der sich dem Vernehmen nach bereits mit fünf Jahren bei den Tories als Parteimitglied registrieren ließ und mit 16, nach erfolgreichen Spekulationen an der Börse, bereits ein sehr reicher Teenager war, hat sechs Kinder, zahlreiche Luxuslimousinen, einen Abschluss in Oxford, einen berühmten Journalisten als Vater, einen Wahlkreis in North East Somerset und das unnachahmliche Air eines britischen Snobs.

Lange galt der radikale Euroskeptiker als Außenseiter; als Katholik war er zu moralisch, als Multimillionär zu wenig geerdet, als Reaktionär zu weit rechts selbst für die Tories. Aber der Brexit hat vieles verändert, und plötzlich ist einer wie Rees-Mogg jemand, über den man nicht nur lacht, sondern auch spricht. Zeitweilig galt er sogar mal als möglicher Nachfolger von May, und auch wenn das dann doch etwas sehr weit hergeholt ist, so kann der 48-Jährige doch eines sehr gut: sich und seine Anliegen im Gespräch halten und dabei so tun, als könne er rein gar nichts dafür, dass sich alle Welt rasend für ihn interessiert.

Was den Brexit ohne Deal angeht, ist der Mann aus Hammersmith glasklar. Im Interview mit der SZ sagt er: Niemand in Großbritannien müsse davor Angst haben, wenn die Verhandlungen mit der EU scheiterten. Das Königreich treibe weltweit mit vielen Ländern Handel und tue das sehr erfolgreich. London sei nicht erpressbar: "Wir haben das Geld, ihr habt Waren. Aber es wäre auch ein Leichtes für uns, in Zukunft die Regeln der WTO für unsere Handelsbeziehungen anzuwenden, dafür brauchen wir die EU nicht." Der Vorteil eines Abschieds ohne Deal? "Wir müssten nicht einmal 20 Milliarden Pfund an die EU zahlen, würden also sehr viel Geld sparen." Ein schlechter Deal, bei dem Großbritannien sogar solche "lächerlichen Summen wie 100 Milliarden Pfund zahlen soll", sei in jedem Fall schlimmer als gar keiner.

"Brexit ist kein Spiel!"

Die Warnungen aus der britischen Wirtschaft, dass die Kosten eines Austritts ohne Einigung exorbitant werden könnten, hält Jacob Rees-Mogg schlicht für abwegig. "Unsere Arbeitslosenquote ist niedrig, unsere Beschäftigungsquote so hoch wie nie, Auslandsinvestitionen überfluten das Land. Wir hatten ein starkes Wachstum im letzten Jahr, ein etwas weniger starkes in diesem, aber das ist dem ökonomischen Kreislauf, nicht dem Brexit geschuldet." Wie es nun weitergeht in Brüssel? Rees-Mogg zuckt lässig die Schultern: "Wenn die EU einen Deal will, muss sie Kompromisse machen. Wir können gut ohne Deal leben."

Mit Ansichten wie diesen hat der prominente Tory-Abgeordnete sich zuletzt eine große Fangemeinde geschaffen. Im Sommer lag er in Popularitäts-Umfragen bisweilen vor dem querulatorischen Außenminister Boris Johnson. In der Fragestunde der Premierministerin am Mittwoch hielt er sich ausnahmsweise zurück; andere erledigten sein Geschäft und fragten etwa, was aus den EU-Bürgern würde, wenn es keinen Deal gäbe. Das müsse man dann sehen, sagte May kühl, außerdem gelte ihre Sorge in diesem Fall vor allem den britischen Bürgern in der EU.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier sieht sich genötigt zu mahnen

Auch in Brüssel werden die No-Deal-Gedankenspiele mit wachsender Besorgnis registriert. EU-Ratspräsident Donald Tusk sah sich zu einer direkten Antwort an May veranlasst: "Wir hören von der britischen Regierung, dass sie sich auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet. Ich möchte klar sagen, dass die EU nicht an einem solchen Szenario arbeitet", sagte er in einer Rede vor Vertretern der EU-Regionen. Die EU sei grundsätzlich zurückhaltend, wenn es darum gehe, sich auf "apokalyptische Szenarien" vorzubereiten, ergänzte am Mittwoch eine hochrangige EU-Diplomatin. Womit auch gesagt wäre, wie in Brüssel die Londoner Versuche ankommen, die Folgen eines ungeregelten Brexits zu verniedlichen.

"Brexit ist kein Spiel. Vergessen Sie das nicht", mahnte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Dienstag nach einem Mittagessen mit dem britischen Brexit-Minister David Davis. Vorausgegangen war dem ein Schlagabtausch darüber, in wessen Feld sich der Ball nun befinde. Aus EU-Sicht ist das keine Frage. Morgen endet in Brüssel die bereits fünfte Verhandlungsrunde, ohne dass ein Durchbruch auch nur in Sichtweite wäre. So gut wie amtlich ist die erste große Niederlage der Briten in den Brexit-Verhandlungen. Ihr erklärtes Ziel war gewesen, im Oktober in eine neue Phase der Verhandlungen einzutreten und auch über einen künftigen Handelsvertrag zwischen Vereinigtem Königreich und Europäischer Union zu sprechen.

Können wir machen, hatte die EU entgegnet, aber nur, wenn es "ausreichenden Fortschritt" in allen drei großen Scheidungsfragen gibt: Finanzen, Rechte der Bürger und Irland. Vor allem beim Geld ist keine Einigung in Sicht. "Wir haben nicht genügend Fortschritt gesehen", stellte die hochrangige EU-Diplomatin am Mittwoch klar. Es sei daher zu früh, um über einen Handelsvertrag oder über eine Übergangsphase zu sprechen. So werden es in der einen oder anderen Form auch die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel kommende Woche sagen. Ratspräsident Tusk hofft nun, wie er sagt, auf Dezember.

Doch selbst das ist ungewiss. Ursprünglich hatten die Briten geglaubt, einzelne EU-Staaten würden die EU-Kommission zurückpfeifen, wenn sie allzu unnachgiebig verhandelt. Nun müssen sie erkennen, dass nicht nur die Franzosen, sondern insbesondere auch die Deutschen auf Härte bestehen, wenn es ums Geld geht. Davis bereitet das erkennbar Sorge. Am Rande der Verhandlungen in dieser Woche lud er den deutschen CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok überraschend zum Tee. Wirklich helfen konnte der ihm nicht.

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