Brasilien:Teppich-Handel im Parlament

Eine bizarres Prozedere läuft derzeit im brasilianischen Parlament. Ähnlich wie die Transferphase im Sport dürfen Politiker in den nächsten Wochen nach Belieben die Fraktion wechseln. Manche sind bereits in der neunten.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Der brasilianische Abgeordnete Jair Bolsonaro, 62, ist aus der sozial-christlichen Partei PSC ausgetreten. Zuerst wollte er sich der national-ökologischen PEN anzuschließen, dann entschied er sich doch für die sozial-liberale PSL. Er ist überhaupt ein Mann, der sich häufig umentscheidet. Seine politische Karriere lässt sich so zusammenfassen: PDC, PP, PPR, PPB, PTB, PFL, PP, PSC und jetzt also PSL. Kaum ein Brasilianer, wahrscheinlich nicht mal Bolsonaro selbst, kann aus dem Stehgreif sagen, wofür all diese Kürzel stehen. Um Parteien nach traditionellem Verständnis mit einem Grundsatzprogramm handelt es sich jedenfalls nicht. Seinen neunten Parteiwechsel begründete der rechtsextreme Politiker damit, dass ihm die Liberalen alle Freiheiten zugesichert hätten für seine Präsidentschaftskandidatur im Oktober. Eine nicht ganz unerhebliche Ablösesumme dürfte vermutlich auch geflossen sein.

Bolsonaro ist kein Einzelfall. Im Kongress von Brasília sitzt ein gutes Dutzend Abgeordneter, die mindestens sechs Mal die Partei gewechselt haben. Das ist dort eine anerkannte Sportart. Ähnlich wie beim Transferfenster im Profifußball ist in den nächsten vier Wochen das "Parteien-Fenster" geöffnet. Parlamentarier können in dann ganz legal die Fraktion wechseln.

Die Partei der Frau verlor 23 ihrer 24 Sitze. Nur ein Mann blieb übrig. Aber der ging dann auch

Grundsätzlich gilt in Brasilien die Regel, dass das Mandat eines Abgeordneten der Partei gehört. Aber was sich während der politischen Transferperiode abspielt, stets vor größeren Wahlen, gehört zu den bizarrsten Übungen im Parlament.

Es funktioniert nach dem Teppichhändler-Prinzip. Die Parteien erhalten für die Finanzierung ihres Wahlkampfes im Herbst Gelder aus einem öffentlichen Topf - anteilig nach der Zahl ihrer Sitze. Deshalb versuchen jetzt alle, möglichst viele Politiker mit Geld und Pöstchen von der Konkurrenz abzuwerben. Während des Transferfensters vor der Parlamentswahl 2016 tauschten 90 Abgeordnete die Parteizugehörigkeit. Besonders hart traf es die Partei der brasilianischen Frau, die dadurch 23 ihrer 24 Sitze verlor. Am Ende war nur noch ein Mann übrig, der alleine auch keine Lust mehr auf Feminismus hatte und bald zur Partei der sozialen Ordnung übertrat.

Im Kongress gibt es derzeit 25 Fraktionen, da bietet sich also reichlich Auswahl für Wechselwillige. Von den Namen darf man sich nicht täuschen lassen. Die Fortschrittspartei ist eher rückständig, die Sozialdemokraten vertreten konservative Positionen und als der Senator und ehemalige Weltklassestürmer Romário von der Sozialistischen Partei einmal gefragt wurde, was er unter Sozialismus verstehe, soll er gesagt haben: "Grillen mit Freunden".

Muss man sich da wundern, dass immer weniger Brasilianer ihre Demokratie verstehen? Und weshalb ein Demokratiefeind wie Bolsonaro in den Umfragen derzeit auf dem zweiten Platz liegt? Schon vor Jahren hatte er angekündigt, was er als Präsident von Brasilien tun würde: "Militärschlag am ersten Tag."

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