Brasilien:Neue Chance für Dilma Rousseff

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Der Präsident des Parlaments setzt in Brasilia überraschend die Entscheidung seiner Kammer außer Kraft, mit der das Verfahren der Amtsenthebung der im April eingeleitet wurde - wegen Unregelmäßigkeiten.

Von Sebastian Schoepp, München

Eigentlich galt es in Brasilien als ausgemachte Sache, dass Präsidentin Dilma Rousseff am Mittwoch durch ein Votum des Senats vorläufig aus dem Amt entfernt wird. Doch vorhersehbar ist derzeit nichts im chaotischen brasilianischen Politikbetrieb. Am Montag setzte der neue Präsident des Abgeordnetenhauses, Waldir Maranhão, völlig überraschend ein Votum der Kammer von April außer Kraft, welches das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff im April eingeleitet hatte. Er folgte damit einer Empfehlung der Staatsanwaltschaft.

Später am Montag lehnte aber der Senat den Stopp des Amtsenthebungsverfahrens ab, es solle wie geplant fortgesetzt werden, erklärte Senatspräsident Renan Calheiros. Er kündigte in einer Sondersitzung an, er werde Maranhãos "absolut unangebrachte" Anweisung ignorieren. Maranhão hatte zuvor mitgeteilt, es habe Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung im April gegeben, sie sei ungültig und müsse wiederholt werden. Die Beratungen des Abgeordnetenhauses vom 15. bis 17. April seien durch "Vorverurteilung" der Präsidentin gekennzeichnet gewesen. Rousseffs Recht auf "umfassende Verteidigung" sei verletzt worden. Ihr werden Tricksereien beim Haushalt vorgeworfen, was für ihre Anhänger und viele Juristen keine Amtsenthebung rechtfertigt. Im April hatte eine überwältigende Mehrheit des Abgeordnetenhauses trotzdem für ein Impeachmentverfahren gestimmt. Für Mittwoch ist eine Beratung des Senats angesetzt, bei der eine Mehrheit für die Amtsenthebung als sicher gilt. Senatspräsident Calheiros will sie offenbar trotz des vom Abgeordnetenpräsidenten Maranhãno verkündeten Verfahrensstopps stattfinden lassen. Rousseff müsste dann ihren Amtssitz in Brasília räumen, und der Senat würde unter Vorsitz des Obersten Gerichtes 180 Tage haben, um die Vorwürfe erneut zu untersuchen. Solange würde Rousseff ihr Gehalt beziehen, Vizepräsident Michel Temer würde regieren. Das Manöver des Parlamentspräsidenten kam überraschend, Maranhão gilt nicht als Anhänger Rouseffs, sondern seines Vorgängers Eduardo Cunha. Der musste den Posten letzte Woche räumen. Er hatte das Verfahren gegen Rousseff angestrengt, stolperte dann aber selbst über Korruptionsvorwürfe.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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