Brasilien:Leidenszeit eines Staates 

Der Freispruch für Präsident Temer macht nichts besser.

Von Boris Herrmann

Brasiliens Präsident Michel Temer kann vorerst weiterregieren. Vielleicht sollte man besser sagen: Er darf weiterhin sein Unwesen treiben. Das Oberste Wahlgericht sprach ihn von dem Vorwurf frei, er habe seinen Wahlkampf 2014 illegal finanziert. In dem bizarren Verfahren ging es jedoch weniger um die konkreten Anschuldigungen als um politische und private Allianzen. Belastendes Material gegen Temer gibt es genug, die Mehrheit der Richter aber hatte Zeugenaussagen, die ihn in Bedrängnis bringen, nicht als Beweismittel anerkannt.

Einer dieser Richter ist ein Freund Temers, zwei weitere hatte der Angeklagte persönlich eingesetzt. Mit ihrer Hilfe verschaffte er sich nun ein wenig Luft. Ein Beatmungsgerät wird er trotzdem brauchen. Auf eines ist bei Temer stets Verlass: Nach dem Skandal ist vor dem Skandal. Es liegen noch eine Reihe weiterer Korruptionsvorwürfe gegen ihn vor. In Kürze wird er wohl wegen Behinderung der Justiz und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Es steht sogar der Vorwurf im Raum, Temer habe den Geheimdienst darauf angesetzt, jenen Richter auszuspionieren, der dieses Verfahren betreut.

Jeden Tag gäbe es für ihn einen guten Grund zurückzutreten. Der Freispruch Temers vor dem Wahlgericht verlängert nur die Leidenszeit - die des, gelinde gesagt, glücklosen Präsidenten, vor allem aber die der brasilianischen Demokratie.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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