Brasilien:Im Schatten der Ente

Brasilien: Anhänger der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) gehen für die umstrittene Präsidentin Dilma Rousseff in Rio de Janeiro auf die Straße.

Anhänger der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) gehen für die umstrittene Präsidentin Dilma Rousseff in Rio de Janeiro auf die Straße.

(Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP)

Die Staatskrise bringt nicht nur die Regierung ins Wanken, sie erschüttert im gesamten Land den Glauben an die noch junge Demokratie.

Von Boris Herrmann, Brasília

Die gelbe Ente ist wieder da. Aufgeblasen, zwölf Meter groß, überstrahlt sie alles auf der Rasenfläche am Ende der Monumentalachse von Brasília. Hinter der Ente liegt das von Oscar Niemeyer entworfene Kongressgebäude. Hier schlägt, in der Theorie, das Herz der brasilianischen Demokratie. Von akuten Herzrhythmusstörungen zu reden, wäre schwer untertrieben.

Niemeyer in Ehren, aber das Abgeordnetenhaus des Kongresses sieht aus wie ein Atomreaktor und das Senatsgebäude nebenan wie ein Atomreaktor, der auf dem Rücken liegt. Der 2012 verstorbene Star-Architekt hielt es nicht für nötig, die Plenarsäle mit Fenstern auszustatten. Dort diskutieren, streiten und agitieren jetzt also die Parlamentarier in Kunstlicht. Wahrscheinlich muss man notgedrungen ein wenig verrückt werden, wenn man Tag für Tag in diesen Betonsärgen der Demokratie arbeitet. Dass draußen vor der Tür eine Ente steht, kriegt man drinnen bloß am Bildschirm mit.

Die Ente ist zum Symbol für die Protestbewegung gegen Präsidentin Dilma Rousseff geworden. Auf dem Entenbauch steht: "Chega de pagar o Pato" - ein sehr brasilianischer Ausdruck. Damit ist gemeint: "Wir haben keine Lust, länger für die Fehler der Regierung zu zahlen." Der Chef des Industrieverbandes von São Paulo hat das Tier in die knapp 1000 Kilometer entfernte Hauptstadt karren lassen. Der Mann ist Mitglied der PMDB, jener Partei, die bis eben noch die größte Fraktion der Regierungskoalition stellte - und nun unter Triumphgeheul den Pakt aufkündigte.

Einen Koalitionsbruch wie diesen gibt es auch nur in Brasilien. Keine fünf Minuten hat die Sitzung gedauert, in der die PMDB nach 13 Jahren ihren Austritt aus der Regierung beschloss. Am Ende hielten sich die Abweichler an den Händen und riefen "Dilma raus!". Bislang weigern sich aber sechs von sieben PMDB-Ministern, ihre Posten zu räumen. Der Parteichef Michel Temer, 75, denkt ohnehin nicht daran, als Vizepräsident zurückzutreten. Er setzt darauf, dass Rousseff in Kürze stürzt und er selbst ins höchste Staatsamt nachrückt - ohne jemals eine allgemeine Wahl gewonnen zu haben. Vielleicht wird das Manöver irgendwann als die Entenrevolution in die Geschichte eingehen.

Matéus schaut zum Parlament: "Alles Banditen, die einen wie die anderen"

Es gibt die Ente auch in handlicher Form an jedem Souvenirstand auf der Kongresswiese. Zu den beliebtesten Protest-Utensilien gehören ferner: "Dilma-raus-T-Shirts" und aufblasbare Puppen von Ex-Präsident Lula da Silva im Häftlingsgewand. Ein Mann, Mitte 50, der sich als Matéus vorstellt, sitzt neben einer kleinen Ente auf dem Rasen und kaut an einem Grillspieß, während er zum Parlament hinüberschaut, wo gerade die Regierung zerbricht. Matéus sagt: "Alles Banditen, die einen wie die anderen."

Warum demonstriert er dann für einen Regierungswechsel, wenn er eh keinem Politiker und keiner Partei traut? "Damit sich was ändert", sagt Matéus. Das bringt die Stimmungslage in der brasilianischen Entenzeit auf den Punkt: Alle wissen, dass es so nicht weitergeht, auch wenn keiner weiß, ob es danach besser wird. Eine der Hymnen der Protestbewegung lautet: "Que pais é esse?" Was ist das nur für ein Land? Die Frage stellt sich zurecht.

Ein Besuch im Kongressgebäude liefert ein paar Hinweise. Dort spielt sich ein politisches Theater ab, das seit Monaten das von einer schweren Rezession gezeichnete Land lahmlegt. Die Sitzung im Plenarsaal wird wie immer von Parlamentspräsident Eduardo Cunha (PMDB) geleitet. Wobei der Begriff "Sitzung" in die Irre führt, niemand sitzt. Politiker der übrig gebliebenen neun Koalitionsparteien ziehen mit einem Spruchband durch den Saal: "Cunha raus". Der Mann gehört zu den Hauptverdächtigen im milliardenschweren Schmiergeldskandal rund um den halbstaatlichen Erdölriesen Petrobras. Im Sitzungsaal nebenan verhandelt gerade der Ethikrat über seine Absetzung. Gleichzeitig ist er qua Amt für das Impeachment-Verfahren gegen Rousseff zuständig.

Die Präsidentin und ihre Anhänger bezeichnen das bei jeder Gelegenheit als "golpe", als Putsch. Die Autoren des Absetzungsantrages wiederum sehen in der Art, wie Rousseff ihren Haushalt schönte, einen Staatsstreich. Golpe, golpe, golpe - das hört man aus allen politischen Lagern, für alle möglichen Vergehen. Wie soll das Volk an seine Vertreter glauben, wenn die sich in inflationärer Frequenz gegenseitig als Umstürzler beschimpfen?

Was ist das also für ein Land? Ein Land, in dem die Präsidentin ihren Vorgänger und Mentor Lula ins Kabinett holen will, um ihn vor der Strafverfolgung zu schützen. Ein Land, in dem der mutmaßlich größte Verbrecher des Parlaments einen politischen Prozess zur Absetzung einer gewählten Präsidentin anführt. Ein Land, in dem ein hoher Richter private Telefonate dieser Präsidentin abhören und veröffentlichen lässt - und zugleich behauptet, er sei völlig unabhängig.

Dass die Regierung wackelt ist fast schon ein Randaspekt angesichts der ausgewachsenen Staatskrise, die alle wichtigen Institutionen betrifft: die Exekutive, die Legislative, die Justiz. Was alle verbindet, ist die Schamlosigkeit ihres Vorgehens. Die junge brasilianische Demokratie könnte ihre Glaubwürdigkeit verspielen.

Irgendwann in den kommenden Tagen wird Rousseff die abtrünnigen PMDB-Minister entlassen. Ihre Überlebensstrategie besteht nun darin, mit den freiwerdenden Posten auf Stimmenkauf zu gehen, um das Impeachment abzuwenden. Vor allem ein Haufen namens "Progressive Partei" (PP) mit lukrativen Ämtern geködert werden. Von den 51 Politikern, gegen die im Fall Petrobras ermittelt wird, stammen 32 von der PP.

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