Brasilien:Halb raus heißt keineswegs ganz raus

Brasilien: In der Hauptstadt Brasilia fordern Demonstrante die Amtsenthebung von Präsidenten Dilma Roussef.

In der Hauptstadt Brasilia fordern Demonstrante die Amtsenthebung von Präsidenten Dilma Roussef.

(Foto: Beto Barata/AFP)

Die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff kann auf Rückkehr ins Amt hoffen, weil ihre Gegner so korrupt wirken.

Von Sebastian Schoepp

Als Dilma Rousseff vor gut einem Monat vom Präsidentenamt suspendiert wurde, hätte kaum einer in Brasilien darauf gewettet, dass sie jemals zurückkehrt. Doch der Start von Übergangspräsident Michel Temer verlief derart holprig, dass einige Senatoren ihr Urteil über Rousseff inzwischen überdenken, berichtete die Zeitung Folha de S. Paulo. Senator Acir Gurgacz etwa sagte, die Krise der Regierung Temer habe nicht nur seine, sondern auch die "Meinung einer Mehrheit der Brasilianer" erschüttert. Sollte die politische Stimmung so bleiben, kann Rousseff sogar hoffen, bei der endgültigen Abstimmung über ihr politisches Schicksal in etwa fünf Monaten ins Amt des Staatschefs zurückzukehren.

B efördert wird das Umdenken der Senatoren durch den Verdacht, dass hinter der Suspendierung Rousseffs ganz andere Motive stecken als die in dem Amtsenthebungsverfahren genannten. Darin war von Haushaltstricksereien die Rede. Nun aber tauchten Mitschnitte von Gesprächen auf, die belegen, dass einige konservative Politiker Korruptionsermittlungen gegen sich selbst befürchten müssen. Sie wollten Rousseff aus dem Amt werfen, weil sie die Ermittlungen laufen ließ - obwohl sie auch ihre eigene Arbeiterpartei betrafen.

Als erster gehen musste Romero Jucá, Planungsminister des Übergangspräsidenten Temer. Die Zeitung Folha hatte einen Gesprächsmitschnitt veröffentlicht. Darin berät sich Jucá mit dem ehemaligen Manager eines staatlichen Ölkonzerns darüber, wie man die Präsidentin loswerden könne, damit "diese Scheiße" aufhöre. Gemeint waren die Korruptionsermittlungen im Falle des Ölkonzerns Petrobras; sie erfassen Vertreter aus fast dem gesamten politischen Spektrum.

Der nächste aus Temers Truppe, der wegen Korruptionsverdachts aufgeben musste, war ausgerechnet Anti-Korruptionsminister Fabiano Silveira, zuständig für Transparenz und interne Kontrolle. Auch er hatte in einem mitgeschnittenen Gespräch die Ermittlungen im Korruptionsskandal um Petrobras kritisiert. In dem Gespräch gab Silveira dem Senatspräsidenten Renan Calheiros und dem früheren Manager Sérgio Machado Tipps, wie sie sich gegenüber der Justiz verhalten sollten. Machado schnitt das Gespräch mit und übergab es der Justiz, mit der er zuvor eine Kronzeugenregelung vereinbart hatte. Senatspräsident Calheiros war einer der Motoren des Amtsenthebungsverfahrens gegen Rousseff; das Oberste Gericht ermittelt auch gegen ihn in Sachen Petrobras. Calheiros und Übergangspräsident Temer gehören derselben Partei an.

Neuer Anti-Korruptionsminister muss seinen Hut nehmen - wegen Korruptionsverdachts

Zuvor war Temer bereits gescholten worden, weil er keine einzige Frau für sein Kabinett nominiert hatte und zudem das Amt des Kulturministers abschaffen wollte. Nach tagelangen Protesten gab er nach und ernannte einen Kulturminister, einen Mann aus Rio, den zwar in der Kunstszene kaum jemand kennt, der aber zumindest nicht dem Klischee des "weißen alten Mannes" entspricht, das zuvor in sozialen Netzwerken verspottet worden war. Auf Fotos ist Temer inzwischen auffällig oft im Kreise weiblicher Beraterinnen zu sehen.

Temer will die angeschlagene Wirtschaft des Landes mit klassischen marktliberalen Mitteln wie einer Straffung des Staatsapparats, Privatisierungen und Kürzungen im Sozialbereich sanieren. Anders ausgedrückt: Temer will einen Gegenkurs zur Politik Rousseffs fahren. Er wirft ihr vor, das Haushaltsdefizit in nie gekannte Höhen getrieben zu haben. Die suspendierte Präsidentin gab indessen ein Interview, in dem sie Temer Verrat und Putschversuch vorwirft. Die Motive dafür würden immer klarer: seine Clique habe die Korruptionsermittlungen blockieren wollen.

Bei dem Bild, das die Regierung Temer derzeit abgibt, kann Rousseff der neuerlichen Abstimmung über ihr Schicksal in knapp fünf Monaten mit mehr Zuversicht entgegen sehen als gedacht. Um sie endgültig aus dem Amt zu entfernen, wären 54 Stimmen im Senat nötig. Ihrer vorläufigen Suspendierung stimmten 55 Senatoren zu. Wenn sich nur zwei Senatoren umentscheiden, ist Dilma Rousseff wieder Präsidentin von Brasilien.

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