Brasilien:Fatale Diagnose

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Mitten in der Staatskrise ist Brasilien Olympia-Gastgeber und muss nach Strategien gegen das Zika-Virus suchen. Die Regierung sieht Panikmache, hofft vor allem auf das Wetter.

Von Boris Herrmann

Im Brasilien der vorübergehend suspendierten Präsidentin Dilma Rousseff gibt es im Moment nicht nur einen Interimspräsidenten, sondern auch ein Interimskabinett, in dem lauter Interimsminister sitzen. Diese 25 Herren (Frauen sind nicht dabei) sollen jetzt das größte Krisenland Südamerikas zumindest so weit in Schuss halten, dass dort im August Olympische Spiele stattfinden können; wobei sie gar nicht wissen, ob sie überhaupt noch zuständig sind, wenn die Veranstaltung läuft. Nach Lage der Dinge wird der brasilianische Senat tatsächlich während der Spiele von Rio eine endgültige Entscheidung über das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff fällen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die gewählte Präsidentin mit ihrer Ministerriege das Interimskabinett irgendwann zwischen dem 100-Meter-Finale und der Lagenstaffel wieder ablöst. Man kann sich in etwa ausmalen, wie koordiniert in diesem Wirrwarr die Vorbereitungen für das größte Sportereignis des Jahres ablaufen.

Wobei man angesichts der Weltnachrichtenlage manchmal ins Zweifeln gerät, ob es überhaupt so groß wird. Zahlreiche Athleten aus aller Welt denken aus Angst vor dem in Brasilien beheimateten Zika-Virus laut darüber nach, auf ihre Teilnahme in Rio zu verzichten. 150 Wissenschaftler forderten unlängst, die Veranstaltung ganz abzusagen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO prüft derzeit die Lage und will bald eine Empfehlung abgeben. Brasiliens größtenteils mit sich selbst beschäftigte Interimsregierung scheint nun immerhin verstanden zu haben, dass sie der aufgeregten Debatte über die vorolympische Mückenplage nicht länger untätig zusehen kann. Der aktuelle Gesundheitsminister Ricardo Barros erklärte gerade: "Wir haben alles unter Kontrolle. Die Spiele werden auf keinen Fall verlegt oder abgesagt." Er sieht Panikmache.

Rousseff begegnete dieser Panik Anfang des Jahres mit einer Kriegserklärung an den sogenannten Supermoskito Aedes aegypti. Der überträgt neben Fieberkrankheiten auch das Zika-Virus, das im Verdacht steht, Missbildungen bei ungeborenen Kindern auszulösen. Nach einem nationalen Aktionstag mit 200 000 Soldaten, die öffentlichkeitswirksam Mückengift versprühten, war von dieser Offensive nicht mehr viel zu hören. Das Land verlor sich wieder im politischen Kleinkrieg. Von so etwas Ähnlichem wie Strategie im Kampf gegen Zika kann weiterhin nicht die Rede sein. Wenn überhaupt, dann wird in fernsehtaugliche Aktionen investiert, um die Weltöffentlichkeit zu beruhigen. Das Geld fehlt dann für dringend nötige Investitionen in das marode öffentliche Gesundheitswesen.

Die Interimsregierung setzt, etwas vereinfacht gesagt, auf das Wetter. In der gerade beginnenden Wintertrockenzeit ist Rio in der Regel weitgehend mückenfrei. Und tatsächlich sind die Zahlen der Neuansteckungen mit Zika zuletzt signifikant zurückgegangen. Das Risiko, dass sich einer der Athleten oder der erwarteten 500 000 Olympiatouristen im August infiziere, sei "gleich null", behauptet Barros mit Verweis auf die Klimatabelle. Leider hält sich das Wetter aber nicht immer an die Statistik. Im August 2013 war es in Rio beispielsweise außergewöhnlich heiß und feucht - ganz nach dem Geschmack von Aedes aegypti.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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