Brasilien:Exorzist im Rathaus

Brasilien: Marcelo Crivella, 59, Bischof der evangelikalen Pfingstkirche und nun auch Bürgermeister von Rio.

Marcelo Crivella, 59, Bischof der evangelikalen Pfingstkirche und nun auch Bürgermeister von Rio.

(Foto: Yasuhoshi Chiba/AFP)

Rio de Janeiro bekommt einen evangelikalen Bürgermeister. Marcelo Crivellas politischer Aufstieg ist auch ein Symbol für den Rechtsruck in Brasilien.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Auf seinem ersten Album Ende der Neunzigerjahre sang der Gospelmusiker Marcelo Crivella vom "Parfum der Universalkirche, das nie vergeht." Fast zwei Jahrzehnte später riecht es in Brasilien strenger denn je nach diesem Parfum. Es enthält Noten von religiösem Fundamentalismus, Größenwahn und Homophobie. Crivella, 59, gewann am Sonntag die Stichwahl um das Bürgermeisteramt in Rio de Janeiro. Die Stadt, die eben noch die Jugend der Welt zu Olympischen Spielen begrüßte, wird künftig von einem Bischof der evangelikalen Pfingstkirche "Igreja Universal do Reino de Deus" (Universalkirche vom Reich Gottes) regiert.

Das ist der bisher größte Triumph der Evangelikalen in Brasilien, das noch immer das Land mit den meisten Katholiken der Welt ist. Während die katholische Kirche aber massiv an Einfluss verliert, erleben die Pfingstler in ihren Riesentempeln einen beispiellosen Zulauf. Nach und nach durchdringen sie alle Bereiche der Gesellschaft, die Popkultur, den Sport, die Medien, die Politik. Crivellas Onkel Edir Macedo hat die Universalkirche 1977 gegründet, heute ist er Sektenführer, Multimillionär und Besitzer von 23 Fernsehkanälen sowie 76 Radiostationen. Marcelo Crivella repräsentiert den politischen Arm der Universalkirche, die Partei PRB. Landesweit hat sie sich bei den jüngsten Kommunalwahlen gegenüber 2012 um ein Drittel verbessert. Sie stellt bereits 22 Abgeordnete im Parlament von Brasília - und nun auch 105 Bürgermeister. Das für seine Weltoffenheit und Lebensfreude berühmte Rio soll zum Schaufenster der Evangelikalen werden.

Vor allem in den ärmsten und bevölkerungsreichsten Stadtteilen hat Crivella seinen härtesten Gegner, den linksgerichteten Menschenrechtler Marcelo Freixo, weit hinter sich gelassen. Viele Wähler sind dort offenbar der Meinung, dass ihnen jetzt nur noch der liebe Gott und seine vermeintlichen Repräsentanten auf Erden helfen können. Nach den teuren Olympiafestwochen hat sich die Haushaltskrise verschärft, öffentliche Schulen und Krankenhäuser funktionieren nur noch im Notbetrieb, genau wie die Polizei, die Gewalt nimmt wieder zu. Crivella trat im Wahlkampf für ein "humaneres Rio" ein.

Schwule bezeichnet Marcelo Crivella als "Opfer eines schrecklichen Übels"

Seine Vorstellungen von Humanismus kann man einem Buch entnehmen, das er in seiner Zeit als Missionar der Universalkirche in Afrika schrieb. Darin bezeichnete er Schwule als "Opfer eines schrecklichen Übels" und den Katholizismus als "teuflische Doktrin". Höchstpersönlich kümmerte er sich um die Bekämpfung des Satans. In dem Buch gibt es auch Fotos von Crivella bei rituellen Teufelsaustreibungen. Während seiner Bürgermeisterkampagne distanzierte er sich teilweise von diesen "Jugendsünden". Um die Katholiken nicht weiter abzuschrecken, bezeichnet er sich inzwischen als "freigestellten Bischof" der Universalkirche. Kaum einer nimmt ihm diesen Wandel ab, aber für viele Wähler war er damit das kleinere Übel. Crivella ist es gelungen, seinen Konkurrenten Freixo als Linksradikalen darzustellen, der Drogen liberalisieren, Gewalttäter begnadigen und den Freihandel behindern will.

Crivella war selbst mal Teil einer Linksregierung. Präsidentin Dilma Rousseff ernannte ihn 2012 zum Fischereiminister, weil sie glaubte, sich die Unterstützung der Evangelikalen sichern zu müssen. Nun wird ihre Arbeiterpartei aber von der PRB überflügelt. Crivella stimmte zuletzt für das Impeachment gegen Rousseff. Sein politischer Aufstieg ist auch ein Symbol für den allgemeinen Rechtsruck in Brasilien.

Wenn man der jeweiligen Kampagne des Gegners glaubte, dann konnten die Cariocas zwischen einem Exorzisten und einem Kommunisten im Rathaus wählen. Sie haben sich für den Exorzisten entschieden.

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