Brasilien:Der neue starke Mann in Brasilien ist ein berüchtigter Strippenzieher

Brasilien: Michel Temer bei seinem ersten Ministertreffen im seinem Amtssitz, dem Palácio do Planalto in Brasilia.

Michel Temer bei seinem ersten Ministertreffen im seinem Amtssitz, dem Palácio do Planalto in Brasilia.

(Foto: AFP)

Michel Temer hat eine 43 Jahre jüngere Frau, ein erzkonservatives Gesellschaftsbild - und nun, nach dem Sturz Dilma Rousseffs, die Macht in Brasília. Ein Porträt.

Von Benedikt Peters

Bei diesen Worten stellt man sich den neuen Präsidenten vor, wie er vor dem Spiegel steht und mit prüfendem Blick ausladende Gesten übt. Es ist Anfang April, seine Vorgängerin Dilma Rousseff ist noch im Amt. Und Michel Temer, der eigentlich nur ihr Stellvertreter ist, hält schon mal probeweise seine Antrittsrede für den Tag, an dem er im Palacio do Planalto, dem Regierungspalast, Rousseffs Amt übernimmt.

"Ich möchte mich in diesem Moment an das brasilianische Volk wenden", sagt Temer. Seine "große Mission" sei es nun, "das Land zu beruhigen und wieder zu einen". Die Tonbandaufnahme wurde Mitte April der Presse zugespielt - Temer beteuerte, das sei nur ein "Versehen" gewesen. Beobachter glauben stattdessen, dass die Veröffentlichung zum Plan des 75-Jährigen gehörte.

Temer ist ein politischer Vollprofi, seit den 1980ern bekleidet er Spitzenämter in der Politik. Im Dezember war ihm schon einmal ein "Versehen" unterlaufen: Ein persönlicher Brief an Rousseff, in dem sich Temer über seine "dekorative" Rolle in der Regierung beschwerte, stand plötzlich in den brasilianischen Zeitungen. Temer war mit seiner Partei PMDB der wichtigste Koalitionspartner Rousseffs. Es war die Zeit, als der Stuhl der Präsidentin heftig zu wackeln begann.

24 Männer im Kabinett - und keine einzige Frau

Nun, gut fünf Monate später, ist Rousseff suspendiert und Temer damit am Ziel. Für die nächsten maximal sechs Monate, in denen Parlament und Justiz darüber beraten, ob die linksgerichtete Staatschefin endgültig ihr Amt verliert, übernimmt der Mann mit den silbrigen Haaren die Macht.

Sein Kabinett hat Interimspräsident Temer schon vorgestellt. 24 Männer gehören ihm an - und keine einzige Frau. Das passt zu dem erzkonservativen Gesellschaftsbild, das der Chef der moderat rechten Partei PMDB vertritt. Seine Frau Marcela, die mit 32 Jahren nicht einmal halb so alt ist wie er, stellt gern ihr "traditionelles" Rollenverständnis zur Schau. In der Illustrierten Veja erschien unlängst ein Porträt über Temers Frau, der Titel: "Schön, zurückhaltend, häuslich."

Temer wird nachgesagt, er schreibe gern erotische Gedichte und sei "wagemutig bei Eroberungen in Liebesdingen". So formulierte es ein politischer Mitstreiter einmal in einer Boulevardzeitschrift. Ganz anders aber in der Politik, in der Temer "sehr ausgewogen und klug" agiere.

Temers Intrige gegen die Präsidentin

Nach Ansicht seiner politischen Gegner ist Temers Spezialität das Spinnen von Intrigen. Die suspendierte Präsidentin nennt ihn einen "Verräter". Ein Abgeordneter sagte einmal über ihn, er sei der "typische Butler in einem Horrorfilm" - was angesichts wächserner Haut, straff zurückgekämmter, silbriger Haare und schmaler Lippen nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.

Für das Image des sinisteren Intriganten spricht die Art, wie der Jurist die Macht in Brasília übernommen hat. Eduardo Cunha, ein mächtiger Parteifreund Temers, brachte unter einem fadenscheinigen Vorwand das Impeachment-Verfahren gegen Rousseff auf den Weg. Sie soll den Haushalt geschönt haben, um damit ihre Wiederwahl 2014 zu sichern. Der Vorwurf reicht nach Ansicht zahlreicher Juristen nicht für eine Amtsenthebung - und ist umso pikanter, da Temers Mitstreiter Cunha vorgeworfen wird, Schmiergelder in Höhe mehrerer Millionen Dollar angenommen zu haben.

Ohne das Impeachment wäre Temer nie Präsident geworden

Als das Verfahren auf den Weg gebracht war, begann Temer, sich immer deutlicher von der Regierungspartnerin zu distanzieren. Klar war: Ohne die Stimmen von seiner Partei PMDB, der stärksten im Parlament, wäre ein Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff nicht zu machen. Ende März ließ Temer dann die Bombe platzen. Der PMDB verkündete den Koalitionsbruch, der Weg für die Amtsenthebung war damit frei.

Nun, da sie vollzogen ist und Temer übernommen hat, jubelt die Wirtschaft. Temer will einige staatliche Maßnahmen der linksgerichteten Rousseff zurückdrehen. Er will die Wirtschaft liberalisieren und das Rentensystem des Landes reformieren. Die brasilianische Börse legte zu seinem Amtsantritt zu.

Durch das Impeachment-Verfahren gegen Rousseff an die Macht zu gelangen, war Temers einzige Chance. In der Bevölkerung ist er unbeliebt. Einer Umfrage zufolge sind 58 Prozent der Brasilianer dafür, auch ihn des Amtes zu entheben. Doch ein solches Verfahren ist nicht in Sicht. Es sieht vielmehr danach aus, als dürfe der neue starke Mann in Brasilien noch die eine oder andere Rede an das Volk halten.

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