Brasilien:Blockiert von Bullen, Blei und Bibel

President of the Chamber of Deputies Eduardo Cunha reacts during a tax reform seminar at the Brasiliense Institute of Public Law in Brasilia, Brazil

Eduardo Cunha steht vor einer Anklage wegen Korruption und Geldwäsche. Er ist Präsident des Abgeordnetenhauses und führender Kopf von Rousseffs größtem Koalitionspartner.

(Foto: Ueslei Marcelino/Reuters)

Die deutsche Delegation trifft auf eine Regierung, die gelähmt ist - durch die erstarkte Rechte.

Von Boris Herrmann

Als die Architekten Oscar Niemeyer und Lúcio Costa die Hauptstadt Brasília schufen, dachten sie in großen Dimensionen. Entlang der Eixo Monumental (Monumental-Achse), die zu den breitesten Straßen der Welt gehört, ließen sie 17 baugleiche Ministerien errichten, für jedes Regierungsressort ein Haus. 1960 war das. Heute reicht der Platz längst nicht mehr aus. Die jetzige Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff setzt sich aus 39 Ministerien zusammen. Es gibt unter anderem eine Agrarministerin, einen Agrarentwicklungsminister sowie einen Fischereiminister. Zehn verschiedene Parteien sowie mehrere Parteilose sind in diesem seltsamen Kabinett versammelt. Es ist deutlich monumentaler als die Hauptstadt, die dafür einst aus dem Dschungel gestampft wurde.

Kanzlerin Angela Merkel ist nun erstmals mit einigen ihrer 15 Minister zu Regierungskonsultationen nach Brasília gereist. Und die Frage, weshalb sie es dort mit einer schwer angezählten Kollegin zu tun hat, führt unweigerlich zu diesem aufgeblähten Staatsapparat. Dilma Rousseff steckt eben nicht nur in einer Wirtschaftskrise, sondern vor allem in politischen Schwierigkeiten. Ihr Land ist nahezu unregierbar geworden, ihre Regierung ein bürokratisches Monstrum voller Intrigen und schamloser Klientelpolitik. Die New York Times schrieb in Anlehnung an eine bekannte amerikanische Polit-Serie zutreffend vom brasilianischen House of Cards. Rousseffs härteste Gegner stammen aus ihrer eigenen Koalition, vor allem aus der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung, kurz PMDB. Sie war jahrelang die treueste Mehrheitsbeschafferin von Rousseffs Arbeiterpartei PT. Derzeit stellt sie sieben Minister sowie die Präsidenten der beiden Kongresskammern. Gleichzeitig befindet sie sich in interner Opposition und unterstützt zumindest hinter den Kulissen die Proteste gegen die Präsidentin.

Hunderttausende Brasilianer, vor allem aus der Mittel- und Oberschicht, sind am vergangenen Wochenende wieder auf die Straßen gegangen, um ein Amtsenthebungsverfahren für die erst 2014 im Amt bestätigte Rousseff zu fordern. Das wird nicht zuletzt mit ihrer mutmaßlichen Verstrickung in den Skandal um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras begründet, der längst auch ein PT-Skandal ist. Gegen die Präsidentin selbst liegt bislang allerdings nichts Konkretes vor. Wenn Rousseff trotzdem dem Druck der Straße nachgeben und abtreten müsste, dann würde laut Verfassung ihr Vizepräsident Michel Temer von der PMDB nachrücken. Es hat in den vergangenen zehn Jahren in Brasilien aber kaum einen Skandal gegeben, in den nicht mindestens ein Politiker dieser Partei verwickelt gewesen wäre.

Einer der bekanntesten PMDB-Köpfe ist Eduardo Cunha, 56, der Parlamentspräsident. Er ist vielleicht der größte Profiteur von Rousseffs Schwäche. Im Zuge der Petrobras-Krise hat er seinen Machtbereich ausbauen können und tritt inzwischen wie eine Mischung aus Premierminister und Oppositionsführer auf. Das ist schon deshalb bizarr, weil Cunha zu den Hauptbeschuldigten im Fall Petrobras gehört. Er soll laut Kronzeugenberichten fünf Millionen Dollar Schmiergeld kassiert haben. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Bundesstaatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erheben wird. Der skandalerfahrene Cunha streitet alle Vorwürfe ab und weigert sich zurückzutreten. Wie immer.

Relativ neu ist seine Rolle als Anführer der Revolte gegen Rousseff. Die Präsidentin hat im Zuge der Wirtschaftskrise ein umfassendes Sparpaket auf den Weg gebracht, um den Haushalt zu konsolidieren. Cunha aber bewirkt seit einigen Monaten, dass alle diese Maßnahmen im Unterhaus abblitzen. Mal lässt er sie gar nicht zu Abstimmung zu, mal konterkariert er sie mit teuren Geschenken an seine Klientel. Inzwischen hat er offen mit Rousseff gebrochen. Cunha ist ein konservativer Hardliner und Anhänger der evangelikalen Kirche. Damit verkörpert er die Machtverschiebung in Brasilien seit den Wahlen vom vergangenen Herbst. Während sich die linksgerichtete Rousseff im Präsidentenpalast halten konnte, wuchs in beiden Kammern des Kongresses die politische Rechte deutlich. Dort dominiert jetzt die sogenannte Bancada Bíblia, Bala e Boi, frei übersetzt: die Bibel-, Blei- und Bullenfraktion. Es handelt sich um eine parteiübergreifende Allianz aus Evangelikalen, ehemaligen Soldaten und Großgrundbesitzern, die es zusammen auf mindestens 40 Prozent der Stimmen bringt.

Rousseff blähte ihr Kabinett auf, um einen Teil dieser Strömung mit Ministerämtern versorgen, anders hätte sie keine Mehrheit mehr zusammenbekommen. Das rächt sich jetzt. Ihre Steigbügelhalter agieren nun so, dass sie nicht mehr vorwärtskommt.

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