Brandenburg:Entlassung eines Sexualstraftäters entfacht Streit

Die Freilassung eines als gefährlich eingestuften Sexualstraftäters in Brandenburg an der Havel hat eine Debatte um Versäumnisse ausgelöst - und offenbart eine Gesetzeslücke: Eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung konnte bei dem 42-Jährigen nicht angeordnet werden, wie auch schon bei anderen Straftätern in Ostdeutschland.

Der Gewalttäter war am 25. Januar ohne Wissen des Justizministeriums nach elf Jahren Haft entlassen worden. Gut eine Woche befand er sich auf freiem Fuß. Dann ordnete das Amtsgericht der Stadt am Samstag an, dass er bis Dienstag im Polizeigewahrsam bleiben muss.

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Schönbohm sieht beim Bundesjustizministerium Versäumnisse

(Foto: Foto: dpa)

Dorthin hatte die Polizei ihn bereits einen Tag vorher gebracht. "Wir haben auf Grund einer Prognose gehandelt, die den Mann weiterhin als gefährlich einschätzt", sagte der Sprecher des Polizeipräsidium Potsdam, Olaf Pokorny.

Das Landgericht Potsdam hatte den 42-Jährigen zu einer langen Haftstrafe verurteilt, weil er zwischen 1992 und 1995 in Falkensee in Brandenburg neun Mädchen gequält und vergewaltigt hat.

Keine Behörde war informiert

Seine Entlassung offenbarte Kommunikationsprobleme zwischen den zuständigen Ministerien und Behörden in Brandenburg. Sie löste außerdem einen Streit zwischen Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und dem SPD-geführten Bundesjustizministerium aus.

Über die Entlassung des früheren Straftäters am 25. Januar unter Auflagen waren weder das Potsdamer Justizministerium, das Innenministerium noch Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg oder die Polizei informiert. Alle betonten nach einem Bericht des Berliner "Tagesspiegel", dass sie erst am Freitag davon erfahren hätten.

Rautenberg hält den verurteilten Sexualstraftäter wegen dessen Persönlichkeitsentwicklung während der Haftzeit weiter für gefährlich. Er bezeichnete ihn sogar als "tickende Zeitbombe".

Kritik von Schönbohm löste der Umstand aus, dass der 42-Jährige nur wegen einer Gesetzeslücke nach dem Verbüßen der Strafe auf freien Fuß kam. Dazu sagte der Sprecher des Potsdamer Justizministeriums, Thomas Melzer: "Wegen einer Regelungslücke kann das Gesetz nicht auf Straftaten angewendet werden, die von 1990 bis 1995 auf dem Gebiet der neuen Bundesländer begangen wurden."

Justizministerium unter Beschuss

Schönbohm reagierte ungehalten. "Es ist nicht hinnehmbar, dass das SPD-geführte Bundesjustizministerium die seit langem bekannte Gesetzeslücke bei der nachträglichen Sicherheitsverwahrung immer noch nicht geschlossen hat und deshalb Kinderschänder unter bestimmten Bedingungen frei gelassen werden müssen", monierte er.

Doch das Bundesjustizministerium wies die Kritik umgehend zurück. Es seien nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden, sagte Ministeriumssprecher Henning Plöger. Die Brandenburger Generalstaatsanwaltschaft habe keinen Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung für den 42-jährigen Mann gestellt. "Wir meinen, dass ein solcher Antrag hätte gestellt werden müssen, und er hätte durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt."

Ähnlich hatte sich Bundesjustizministerium Brigitte Zypries (SPD) am 31. Januar in einem Brief an Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Patzeck (SPD) geäußert.

Weitere Fälle in neuen Bundesländern

Inzwischen wird an einer Gesetzesänderung gearbeitet, die nach Justizangaben möglicherweise bis Ostern beschlossen werden könnte. Das ist auch dringend nötig, denn der Bundesgerichtshof hat unter anderem wegen der fehlenden Gesetzesgrundlage mehrere Gerichtsurteile über die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Tätern wieder aufgehoben.

So wird jetzt ein 40-jähriger Frauenmörder aus Quedlinburg (Sachsen-Anhalt), der im Dezember nach 22 Jahren Haft entlassen wurde, auf unbestimmte Zeit von der Polizei bewacht.

Und im brandenburgischen Cottbus wird am Landgericht an diesem Montag erneut ein Beschluss über einen 40-jährigen Vergewaltiger erwartet. Der Cottbuser, den Gutachter weiterhin als gefährlich einschätzten, war zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, die er bis Ende 2004 verbüßte.

Er ist allerdings schon seit August 2005 unter strengen Auflagen auf freiem Fuß und lebt mit einer Frau und dem gemeinsamen Baby in Hamburg - ohne großes öffentliches Aufsehen.

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