Barack Obama in der Krise:Nicht mal mehr vertrauenswürdig

U.S. President Barack Obama waves upon arriving at Dallas Love Field in Texas

Barack Obama steigt in Dallas aus der Air Force One

(Foto: Reuters)

Barack Obama verliert immer mehr an Autorität: Seine Gesundheitsreform gerät zum Debakel, der Ansehensverlust ist enorm - sogar prominente Parteifreunde wie Bill Clinton wenden sich vom US-Präsidenten ab. Doch nun versucht Obama die Initiative wieder zu ergreifen.

Von Nicolas Richter, Washington

Angesichts massiver überparteilicher Kritik an seiner Gesundheitsreform und wachsender Zweifel an seiner persönlichen Integrität versucht US-Präsident Barack Obama, die Initiative zurückzugewinnen. Am Donnerstag stellte er überraschend einen Plan vor, der die Folgen des neuen Gesundheitssystems für Altversicherte abmildern würde. Sechs Wochen nach dem Start hinterlässt seine Reform einen verheerenden Eindruck. Ersten offiziellen Zahlen zufolge erreicht sie wesentlich weniger Verbraucher als geplant. Das Parlament wird wohl schon an diesem Freitag über ein Gesetz abstimmen, das die Reform in einem Kernbereich rückgängig machen würde.

Aus Sicht vieler Wähler stellen die technischen Pannen, vor allem aber die enttäuschten Erwartungen zu Beginn der Reform zunehmend Obamas Glaubwürdigkeit in Frage. Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor fast fünf Jahren erklärten 52 Prozent der Befragten in einer Erhebung der Universität Quinnipiac, der Präsident sei "nicht vertrauenswürdig". Die amerikanischen Wähler haben oft schon Obamas Arbeit hinterfragt, noch nie aber mehrheitlich seine Ehrlichkeit.

Die Reform sei nicht reparabel

Im Werben für seine Reform hatte Obama Dutzende Male versprochen, dass jeder seine alte Krankenversicherung behalten dürfe, wenn er dies wünsche. Inzwischen aber kündigen die privaten Versicherer Hunderttausende Altverträge, weil diese nicht mehr dem neuen gesetzlichen Standard entsprechen. Obama hat sich kürzlich im Fernsehen dafür entschuldigt, dass viele Verbraucher in dieser Lage seien - "wegen Zusagen, die ich gemacht habe".

Am Donnerstag erklärte der Präsident, dass er es den Versicherern gestatte, die unzureichenden Altverträge um ein weiteres Jahr zu verlängern, also bis Ende 2014. Allerdings dürften diese Verträge keinen Neukunden angeboten werden. Der Chef der Republikaner im Abgeordnetenhaus, John Boehner, sagte dazu, Obamas Reform sei nicht reparabel.

Wer keinen Vertrag besitzt oder ihn verloren hat, soll prinzipiell bis zum 1. Januar in der Online-Börse healthcare.gov einen abschließen. Der von der Regierung betriebene Internet-Auftritt ist allerdings von Anfang an störungsanfällig gewesen und hat viele Verbraucher abgeschreckt. Nach ersten Zahlen der Regierung haben sich im Oktober landesweit nur 106 000 Menschen eine neue Versicherung ausgesucht, das ist ein Fünftel dessen, was geplant war. Über die healthcare.gov-Seite kamen gerade einmal 27 000 Verbraucher, die übrigen nutzten andere Vertriebswege. Das neue System kann sich nur halten, wenn es schnell ausreichend junge, gesunde Menschen anzieht, die mehr einzahlen, als sie kosten. Die Regierung hofft auf sieben Millionen Neuverträge bis Ende März.

Ein Hauptanliegen der "Obamacare" genannten Reform ist es eigentlich, die Verbraucher zu schützen; deswegen müssen Neuverträge bestimmte Leistungen zwingend beinhalten, etwa für Verhütungsmittel, Entbindung, psychische Betreuung. In manchen Fällen sind die neuen Policen deswegen teurer als die alten, unter denen viele Leistungen ausgeschlossen waren. Wer seine Versicherung unter der neuen Rechtslage verliert, muss deswegen unter Umständen mehr zahlen als früher. In ihren Wahlkreisen begegneten Abgeordnete und Senatoren deswegen in jüngster Zeit etlichen zornigen Bürgern.

Konsequenzen bei der nächsten Wahl

Besonders Obamas Parteifreunde, die Demokraten, fürchten Konsequenzen für die Parlamentswahl in einem Jahr. Die Stimmung in der Partei hatte sich bis zu Obamas Vorstoß am Donnerstag stark verschlechtert. Viele Politiker fanden, dass sie nicht bloß abwarten konnten, sondern dass sie in der Pflicht standen, nachzubessern. Die Vorlage hatte der einflussreiche Demokrat und Ex-Präsident Bill Clinton geliefert. Er sagte, Obama müsse sein Versprechen halten, wonach Altverträge fortbestehen könnten.

Einen Gesetzentwurf dazu hatte der Republikaner Fred Upton im Abgeordnetenhaus eingebracht, wo die Republikaner die Mehrheit stellen. Die Abstimmung ist für diesen Freitag angesetzt. Das Weiße Haus hatte den Vorschlag abgelehnt, weil er jenen Zustand wiederherstellen würde, den Obama beseitigen wollte: Billig-Versicherungen, die viele Leistungen ausschließen, wären auf Dauer legal, auch in Neuverträgen. Die Regierung hätte ihr Ziel verfehlt, einen einheitlichen Mindeststandard für die medizinische Versorgung festzulegen.

Autoritätsverlust könnte Außenpolitik beeinflussen

Auch nach Obamas Rettungsversuch am Donnerstag ist unklar, ob der Präsident die Demokraten auf seiner Linie halten kann. Wenn Abgeordnete und Senatoren um ihre Wiederwahl bangen, halten sie sich selten an Anweisungen aus dem Weißen Haus. Etliche demokratische Senatoren haben Ideen vorgestellt, um Obamacare zu korrigieren oder zu ergänzen. Dies unterstützen auch einige Demokraten, die nicht um ihre Wiederwahl bangen.

Obamas Ansehens- und Autoritätsverlust könnte auch die US-Außenpolitik beeinflussen: Anders als der Präsident möchte der Senat neue Sanktionen gegen Iran verhängen. Obama hat darum gebeten, dies zu unterlassen, um die Atomgespräche mit Teheran nicht zu gefährden; aber er hat es zurzeit schwer, Gehör zu finden.

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