Bosnien:Vereint gegen den Oktopus

Davor Dragicevic

"Der Staat hat meinen Sohn umgebracht", sagt der Kriegsveteran Davor Dragičević (im schwarzen T-Shirt), hier beim Protest in Banja Luka.

(Foto: Radivoje Pavicic/AP)

"Gerechtigkeit für David": Wie der Tod eines jungen Mannes in Bosnien die verschiedenen Volksgruppen zusammenbringt. Serben, Kroaten und Muslime protestieren gemeinsam gegen Korruption und die Gewalt der organisierten Kriminalität.

Von Peter Münch, Wien

Er trägt das weiße T-Shirt, das jetzt so viele tragen: Ein junger Mann mit Dreadlocks und Sonnenbrille ist darauf zu sehen, "Pravda za Davida" steht darunter, "Gerechtigkeit für David". Über dem T-Shirt baumelt eine Kette in den Rasta-Farben, auch dies ist ein Zeichen der Trauer und der Wut. "Ich habe dafür gekämpft, die Republika Srpska zu gründen und bin als Invalide aus dem Krieg zurückgekommen", sagt Davor Dragičević, "und dann hat dieser Staat mein Kind umgebracht."

Davor Dragičević, 49, aus Banja Luka im serbischen Teil von Bosnien, ist ein Vater, der seinen Sohn verloren hat. Wenn er von David spricht, der nur 21 Jahre alt geworden ist, dann schlägt bei aller Traurigkeit auch der Stolz durch auf diesen Jungen. Hip-Hop und Reggae habe er geliebt, "sehr begabt" sei er gewesen als Musiker und als Student der Elektrotechnik, "und überall war er beliebt". Die Erinnerung ist eine Zuflucht, und sie gibt ihm Kraft für den Kampf, den er nun führt. Es geht ihm um die Wahrheit zu Davids Tod - und er bringt dabei den ganzen Staat ins Wanken.

Denn Dragičević, der Kellner mit der Kriegsverletzung am Bein, hat erst in der Republika Srpska, dann in ganz Bosnien und schließlich auch in der bosnischen Diaspora eine Massenbewegung begründet, die sich im Namen seines toten Sohns gegen Korruption, Kriminalität und gegen die Arroganz der Mächtigen richtet. Der Facebook-Seite "Gerechtigkeit für David" folgen mehr als 300 000 Menschen. Seit rund 80 Tagen wird jeden Abend auf dem zentralen Platz von Banja Luka protestiert. Demonstrationen gab es auch in anderen bosnischen Städten sowie in diesen Tagen auf dem Wiener Heldenplatz. Serben, Kroaten und Muslime, die sonst so oft in ihren Nachkriegs-Schützengräben verharren, haben sich in diesem Protest zusammengeschlossen. "Die Kriminellen haben auch keine Religion und keine Nationalität, nur ihre eigenen Interessen", sagt Dragičević.

Am 18. März war sein Sohn David verschwunden. Sechs Tage später wurde er tot in einem Abwasserkanal gefunden. Die Polizei erklärte auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz, David sei vollgepumpt mit Alkohol und Drogen erst in ein Haus eingebrochen und danach wohl in den Kanal gefallen und ertrunken. Fall gelöst.

Schreckliche Bilder lassen Davor Dragičević vermuten, dass sein Sohn gefoltert wurde

"Ich habe sofort gewusst, dass da etwas nicht stimmt", sagt Davor Dragičević, "das passt alles nicht zu David." Als er seinen Sohn identifizieren sollte im Leichenschauhaus, da fielen ihm die vielen dunklen Flecken auf und die Platzwunden. Auf dem Laptop, der einmal Davids Laptop war, zeigt er Fotos des geschundenen Körpers. Schreckliche Bilder sind das, an die er sich klammert, weil sie für ihn beweisen, dass David vor seinem Tod gefoltert wurde. "Das sind typische Polizei-Methoden, die schlagen immer auf die Nieren", erklärt er. Ein anderes Foto zeigt Davids Faust mit Schürfungen. "Da kannst du sehen, dass er sich gewehrt hat."

Ohne Unterstützung der Behörden hat Davor Dragičević eigene Nachforschungen angestellt zum Tod seines Sohnes. Er ist dabei zum Beispiel auf Bilder einer Überwachungskamera gestoßen, die David in der Nacht seines Verschwindens um 2.25 Uhr in der Innenstadt von Banja Luka zeigen, wie er eine Gruppe von Männern passiert, die ihm dann offenbar folgen. "Ein organisierter Hinterhalt", sagt der Vater, "zehn Minuten später wurde sein Handy ausgeschaltet." Auch eine zweite Obduktion hat er durchgesetzt, und der Pathologe aus Belgrad befand, dass David unmöglich sechs Tage lang in diesem Kanal gelegen haben könne.

Für Davor Dragičević ist deshalb klar, dass sein Sohn nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Komplotts geworden ist. "Er war ein sehr guter Hacker", sagt er, und dabei sei er wohl an sensible Informationen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität herangekommen. "Das ist eine Mafia, wie ein Oktopus", meint er, "Kriminelle, Polizisten und Politiker schützen und unterstützen sich da gegenseitig."

Dass ihm dabei nun so viele Menschen folgen, hat nicht nur mit den äußerst dubiosen Zügen dieses Falls zu tun, sondern auch damit, dass die Menschen in ganz Bosnien den Glauben an Polizei, Justiz und Politik längst verloren haben. Davids Tod und der Kampf seines Vaters ist die Initialzündung gewesen, dagegen aufzustehen. Zu denen, die sich angeschlossen haben, gehört auch die Familie des jungen Muslims Dženan Memić, der 2016 in der Nähe von Sarajevo unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Ungefähr 30 weitere Eltern haben sich mittlerweile gemeldet, die glauben, dass beim Tod ihrer Kinder etwas vertuscht worden sei. "Da ist die Büchse der Pandora geöffnet worden", glaubt Dragičević.

Die Führung in Banja Luka jedenfalls ist durch die Proteste gehörig unter Druck geraten. Als Gegenwehr wird nun gestreut, Dragičević, der Kriegsveteran, bekomme Geld aus dem Westen, um die Republika Srpska zu destabilisieren. Er aber lässt sich davon nicht beeindrucken. "Das Wichtigste für mich ist, die Schuldigen am Tod meines Sohnes zu finden", sagt er. "Aber wir sind so viele geworden, dass es auch um mehr geht: Wir wollen den Oktopus besiegen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: