Bootsunglück im Mittelmeer:"Es wäre unfair, Europa verantwortlich zu machen"

Lesezeit: 2 min

Überlebende Flüchtlinge an einem Rettungsboot: Es könnten nie alle Tragödien verhindert werden, so die EU-Kommission. (Foto: Marta Soszynska/MSF/Reuters)
  • Nach dem Tod Dutzender Flüchtlinge im Mittelmeer sieht die EU keinen Anlass, die Seenotrettung weiter aufzustocken.
  • An Bord des gekenterten Bootes sollen etwa 600 Menschen gewesen sein.
  • Die EU-Kommission kritisiert die Passivität in Teilen der EU ungewöhnlich scharf.

Von Andrea Bachstein und Daniel Brössler, Brüssel

Die Europäische Union sieht nach der jüngsten Katastrophe mit womöglich mehr als 200 Toten im Mittelmeer keinen Anlass, die Seenotrettung weiter aufzustocken. Man könne nie genug tun, "um alle Tragödien zu verhindern", betonen der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, die Außenbeauftragte Federica Mogherini und Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in einer Erklärung. "Es wäre unfair, Europa für das Unglück verantwortlich zu machen", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der Süddeutschen Zeitung. Sein Land hat derzeit den EU-Vorsitz inne.

Die Tragödie ereignete sich am frühen Mittwochnachmittag etwa 30 Kilometer vor der Küste Libyens. Von der italienischen Küstenwache alarmiert, traf das irische Marineschiff Niamh ein und schickte Schlauchboote zu dem Flüchtlingsschiff, die die Menschen von dort aufnehmen sollten. Offenbar wollten die Flüchtlinge die Rettungsboote sehen, viele von ihnen gingen auf eine Seite des Schiffs, das deshalb Schlagseite bekam, kenterte und schnell unterging. Laut Zeugen waren zu diesem Zeitpunkt mindestens 100 Menschen unter Deck.

Insgesamt sollen etwa 600 Flüchtlinge auf dem Boot gewesen sein, diese Zahl hatte auch derjenige genannt, der am Vormittag mit einem Satellitentelefon einen Notruf abgesetzt hatte. 373 Menschen konnten bislang gerettet werden. Im Einsatz waren neben dem irischen Schiff auch Schiffe der italienischen Marine und Küstenwache, von Hilfsorganisationen sowie ein Handelsschiff. 26 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden. Am Donnerstag brachte Lè Niamh die Überlebenden nach Palermo auf Sizilien, an Bord waren auch die Toten. Sechs der Überlebenden waren am Mittwoch per Hubschrauber in das Krankenhaus von Lampedusa geflogen worden.

EU-Kommission kritisiert die Passivität in Teilen der EU

"Die ,Operation Triton' verfügt über alle erforderlichen Ressourcen, um ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen", sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel. Die EU-Staaten hatten die Mittel für die von der Grenzschutzagentur Frontex geführte Operation nach einer Flüchtlingskatastrophe mit 800 Toten im April verdreifacht. Zahlreiche EU-Staaten entsandten seither Schiffe zur Seenotrettung ins Mittelmeer. Der Aktionsradius von Triton wurde bis in die Nähe der libyschen Küste erweitert. Auch Menschenrechtsorganisationen bescheinigten der EU, die Situation verbessert zu haben.

Allerdings nahm die EU-Kommission die jüngste Katastrophe zum Anlass, die Passivität in Teilen der EU angesichts des Flüchtlingsdramas ungewöhnlich scharf zu kritisieren. " Migration ist kein populäres oder schönes Thema", heißt es in der Erklärung von Timmermans und seinen Kollegen. Es sei "leicht, vor dem Fernseher zu weinen, wenn man solche Tragödien sieht. Schwerer ist es, aufzustehen und Verantwortung zu übernehmen". Nun sei Mut zum gemeinsamen Handeln gefragt. Mit ihrem Vorschlag, die Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen mittels verbindlicher Quoten gerechter zu verteilen, war auf den Widerstand zahlreicher EU-Staaten gestoßen.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: