BND-Affäre:Merkels Vorteil, Gabriels Albtraum

Kabinettssitzung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) unterhalten sich zu Beginn einer Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt in Berlin.

(Foto: dpa)
  • SPD-Chef Gabriel attackiert die Kanzlerin in der BND-Affäre wie lange nicht mehr.
  • Seine Strategie: Möglichst viel soll an Merkel persönlich hängen bleiben.
  • Das könnte auch nach hinten losgehen. Gabriel fehlen die Eskalations-Stufen. Und an Parteifreund Steinmeier sind auch noch nicht alle Fragen zur Affäre gestellt

Von Thorsten Denkler, Berlin

Auf das Völkerrecht jedenfalls wird sich Angela Merkel jetzt nicht mehr so leicht berufen können, wenn sie begründen will, weshalb sie die umstrittene Selektoren-Liste nicht rausrückt. Das Kanzleramt hatte das Auswärtige Amt um ein entsprechendes Gutachten gebeten. Und das ist, wie ein Sprecher an diesem Montag bestätigt, eher nicht im Sinne des Kanzleramtes ausgefallen. Das Völkerrecht, sagt das Auswärtige Amt, ersetzt keine politische Entscheidung. Das ist doch schon mal gut zu wissen.

Die Bitte aus dem Kanzleramt war etwas vergiftet. Merkel weiß, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier gerade mit einem gewissen Unbehagen das Treiben seines SPD-Parteichefs Sigmar Gabriel beobachtet. Der forderte erst jetzt wieder in der Bild am Sonntag, die Liste der Selektoren unbedingt zugänglich zu machen. Zumindest den Abgeordneten des NSA-Untersuchungsausschusses und des für die Geheimdienstkontrolle zuständigen parlamentarischen Kontrollgremiums.

Gemeint sind mit den Selektoren jene mindestens 2000 Suchbegriffe, die der amerikanische Auslandsgeheimdienst NSA dem BND über Jahre untergejubelt hat, um deutsche und europäische Unternehmen und Politiker auszuhorchen.

Wenn die Affäre nicht aufgeklärt werde, drohe gar "eine Staatskrise", prophezeit Gabriel. Die Bundesregierung müsse "Rückgrat zeigen", sagte er. "Wir sind weder unmündig noch Befehlsempfänger."

Mit Bundesregierung meint Wirtschaftsminister Gabriel nicht sich selbst. Gabriel meint damit das Kanzleramt, die Schaltzentrale der Regierung. Er meint Kanzlerin Angela Merkel. Sein Sprecher beteuerte, Gabriel selbst habe bisher ja nicht mal Einblick in die Selektoren-Liste gehabt.

Bis auf Steinmeier ist in der Sache gerade fast die gesamte SPD auf den Beinen. Generalsekretärin Yasmin Fahimi findet, Deutschland dürfe sich nicht "zum Vasallen der USA machen" lassen. Parteivize Ralf Stegner will erkannt haben, dass für die Bundeskanzlerin das Spiel nicht länger funktioniere, "die aktuellen Erkenntnisse von sich fernzuhalten und zu sagen, damit habe ich nichts zu tun". Wer nur ansatzweise etwas zu sagen hat in der SPD, der nutzt gerade jede Gelegenheit, gegen Merkels Aufklärungs- oder besser Nichtaufklärungspolitik zu ätzen.

Erste Chance für Gabriel, Merkel zu stellen

"Feuer frei auf Merkel" ist Gabriels Devise. Er sieht darin die seit langem erste Chance, in Merkels Teflon-Beschichtung ein paar Kratzer zu ritzen. Die NSA-Affäre an sich mag nicht die Massen bewegen. Sie scheint großen Teilen der Bevölkerung sogar ziemlich egal zu sein - kein Wunder: Ein Volk, das seine Daten jedem dahergelaufenen sozialen Netzwerk schenkt, glaubt ohnehin nicht daran, dass es noch irgendetwas vor den Nachrichtendiensten verbergen könnte. NSA und BND werden ohnehin inzwischen jede Schweinerei zugetraut. Da überrascht es eher, wenn in der Zusammenarbeit der Geheimdienste mal etwas nicht klappt.

Eine Kanzlerin aber, die lügt, das interessiert die Menschen dann womöglich schon eher. Merkel hat kein Programm, sie hat das Vertrauen der Menschen. "Mutti macht das schon", ist ein Satz, auf dem sich ihre Wähler seit bald zehn Jahren ausruhen.

Aber jetzt dies: Merkels damaliger Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert haben im Sommer 2013 versichert, ein No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA sei so gut wie fertig.

Heute ist klar: Das war zu keinem Zeitpunkt richtig. Die SZ veröffentlichte Anfang Mai einen Mailverkehr aus dem Bundeskanzleramt, in dem die amerikanische Unterhändlerin schwer misszudeuten schreibt: "Dies wird kein No Spy-Abkommen werden und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend klar zum Ausdruck gebracht."

Gabriel verstärkt den Vorwurf der Lüge sogar noch. Er habe Merkel zwei Mal gefragt, ob es über den bekannten Fall EADS hinaus weitere Versuche der NSA gegeben habe, deutsche Unternehmen auszuspähen. Merkel habe das verneint. Obwohl sie es - wie heute bekannt ist - sehr wahrscheinlich besser gewusst hat oder zumindest besser gewusst haben sollte.

Gabriels Strategie ist klar: Die BND-Affäre soll vollständig an Merkel kleben bleiben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Gabriel sähe es gerne, wenn die Bürger diesen Satz auf Merkel beziehen würden. Und sich nicht länger mit der Floskel abspeisen lassen, die Bundesregierung habe "mit bestem Wissen und Gewissen" die Öffentlichkeit informiert.

Der Plan könnte aufgehen - könnte aber auch gefährlich nach hinten losgehen. Dass es überhaupt zu so einer engen Zusammenarbeit zwischen BND und NSA gekommen ist, muss sich die Regierung Gerhard Schröder ankreiden lassen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der vorerst letzte SPD-Kanzler die "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA ausgerufen. Dazu kam das bis heute anhaltende schlechte Gewissen, dass einige der Attentäter aus Hamburg kamen. Und unter dem Radar der deutschen Geheimdienste einen hochkomplexen Angriff auf die Twin-Towers in New York vorbereiteten.

Steinmeier hat BND und NSA zusammengebracht

Kein halbes Jahr nach den Anschlägen vereinbarten Deutschland und die US-Seite ein "Memorandum Of Understanding" über die Zusammenarbeit von BND und NSA. In Gang gebracht hat es Schröders damaliger Kanzleramtschef: Frank-Walter Steinmeier, SPD. Da werden noch viele Fragen zu klären sein.

Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass die Wähler der Kanzlerin auch diese Affäre nicht so übel nehmen, wie Gabriel es gerne hätte. Sie wird wie einst Helmut Kohl versuchen, den Skandal entspannt aussitzen. Was sie übrigens seit Mitte 2013 durchaus erfolgreich macht.

Gabriel aber fehlen die Eskalationsstufen. Einen Koalitionsbruch zu riskieren, wäre für die SPD politischer Selbstmord. Wenn Merkel die Selektoren-Liste einfach für sich behält, richtete sich der Blick irgendwann wieder auf den SPD-Chef und mutmaßlichen Merkel-Herausforderer 2017 Gabriel. Der steht dann da als der Vize-Kanzler, der sich nicht durchsetzen konnte.

Der Baum, auf den Gabriel geklettert ist, ist schon jetzt sehr hoch. Um da unbeschadet wieder herunterzukommen, braucht es einiges an Phantasie.

Die Spionageaffäre des Bundesnachrichtendienstes (BND)
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