Blutiger Machtkampf an der Elfenbeinküste:Die Pfadfinder des Bösen

Die Präsidentschaftswahlen hat er verloren, doch Laurent Gbagbo kämpft mit allen Mitteln um die Macht an der Elfenbeinküste: Gegen seine Gegner setzt er Schlägerbanden ein - und nimmt dafür sogar einen Bürgerkrieg in Kauf.

Stefan Klein

Manchmal hat man Glück, manchmal hat man Pech, manchmal kommt beides zusammen. Der Autofahrer hatte ein paar Geldscheine in der Tasche, als er von jungen Leuten an einer Straßensperre in der ivorischen Hauptstadt Abidjan im Stadtteil Koumassi gestoppt wurde. Das war sein Glück, denn damit konnte er sich freikaufen. Sein Beifahrer jedoch hatte kein Geld dabei, er wurde aus dem Auto gezerrt und erschossen. Einfach so.

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In Abobo, einem Arbeiterviertel in Abidjan, verteidigen sich die Menschen gegen die Schläger des gestürzten Präsidenten Laurent Gbagbo.

(Foto: AFP)

Menschenleben sind in Afrika nicht viel wert, in der Elfenbeinküste werden sie immer wertloser. Laurent Gbagbo ist der Verlierer der Präsidentschaftswahlen vom November, er müsste sich längst zurückgezogen und dem Sieger Alassane Ouattara Platz gemacht haben, stattdessen greift er zu immer brutaleren Mitteln, um sich an der Macht zu halten. Gerade hat er auf eine Demonstration von Frauen schießen lassen. Dabei wurden sieben von ihnen getötet, dazu ein Kind.

Es droht freilich noch mehr Gewalt, denn Gbagbo, der Starrköpfige, hat die Jeunes Patriotes von der Leine gelassen. Jeunes Patriotes, junge Patrioten, das klingt nach Pfadfindertum und jeden Tag ein gutes Werk. In der Elfenbeinküste jedoch steht der Name für Schlägerbanden, die geführt werden von einem Menschen namens Charles Blé Goudé, der sich als Einpeitscher und Propagandist bei Gbagbo unentbehrlich gemacht hat. Seine Truppe ist zur Stelle, wenn es zu töten gilt, abzufackeln oder zu plündern.

Oder die Bevölkerung mit Straßensperren zu terrorisieren, wie es seit einer Woche in und um Abidjan der Fall ist. Angeblich geht es darum, die Anhänger Ouattaras daran zu hindern, Waffen in die Stadt zu schmuggeln. In Wahrheit jedoch will man demonstrieren, wer die Macht hat in Abidjan. Es ist die Macht bewaffneter junger Leute, die besoffen vom Alkohol und von ihrer plötzlichen Bedeutung, oft auch benebelt von Drogen, die Gelegenheit nutzen, Geld abzugreifen, Autos zu plündern und sich aufzuspielen als Herren über Leben und Tod.

Es scheint, als hätte der seit Monaten schwelende Machtkampf zwischen dem Verlierer und dem Sieger der Wahl jetzt jene Phase erreicht, in der er jederzeit umschlagen kann in Krieg. Die Zutaten, die es dazu braucht, sind da: Die Wirtschaft des einstmals prosperierenden westafrikanischen Landes treibt auf den Kollaps zu, die Banken haben bereits aufgehört zu funktionieren. Soldaten, Polizisten, Staatsangestellte warten auf ihr Geld und beginnen zu ahnen, dass sie leer ausgehen werden. Güter des täglichen Bedarfs werden knapp, ihre Preise schießen in die Höhe.

Gbagbo, der Verlierer, hat noch die Armee auf seiner Seite, doch die gilt als schlecht ausgebildet und nicht sehr loyal. Sie hat bei der Wahl mehrheitlich für Ouattara gestimmt. Es heißt, in ihren Reihe stünden viele Offiziere, die mit dem Gedanken spielen, die Seiten zu wechseln. Welche Gedanken Armeechef Philippe Mangou hat, weiß man nicht, er hat kürzlich bei einer öffentlichen Veranstaltung ungefragt erklärt, für einen Militärputsch stünde er nicht zur Verfügung.

"Wir sitzen auf einem Pulverfass"

Ouattara, der Sieger, der sich mit seinen Vertrauten in einem Hotel in Abidjan verschanzt hat, bewacht und beschützt von UN-Soldaten, hat ebenfalls Truppen hinter sich. Es sind ehemalige Rebellen aus dem Norden, die sich inzwischen Forces Nouvelles nennen. Das heißt "neue Kräfte" und soll offenbar vergessen machen, dass es die alte, übel beleumundete Soldateska ist, berüchtigt für ihre Menschenrechtsverletzungen.

Beide Seiten sind derzeit offenbar dabei, mit heimlicher Hilfe aus dem Ausland aufzurüsten, damit die entscheidende Zutat nicht fehlt am Tag X, wenn es losgeht. "Wir sitzen auf einem Pulverfass", sagt ein Beobachter in Abidjan, und alle fragen sich, welches der Funke sein wird, der die Explosion auslösen wird. Er könnte aus Abobo kommen.

Abobo ist ein Stadtteil im Norden Abidjans. Es ist ein dichtbebautes Viertel mit kleinen Gassen, bewohnt von über einer Million Menschen. Die weitaus meisten gelten als Anhänger Ouattaras. Im Volksmund heißt Abobo heute "Bagdad", weil sich da der Widerstand organisiert gegen Gbagbo. Eine großangelegte Razzia im Januar, mit der Gbagbos Leute das Viertel disziplinieren und unter Kontrolle bringen wollten, stieß auf heftige und bewaffnete Gegenwehr. Für Gbagbo war es eine Niederlage.

Inzwischen hat der Widerstand bereits Guerilla-Qualität, man redet von einem Commando invisible, von einem unsichtbaren Kommando, das sich fast jede Nacht Kämpfe liefert mit Gbagbos Einheiten, sofern die sich überhaupt noch hineintrauen in das Wohnquartier. Abobo ist eine Hochburg geworden für die Auflehnung gegen den Uneinsichtigen im Präsidentenpalast, und wer da nicht mitzieht im Viertel, wer gar Anhänger Gbagbos ist, der weiß, was seine Stunde geschlagen hat. 200 000 Menschen sollen aus Abobo bereits geflüchtet sein.

All das ist schlimm genug, aber es ist offensichtlich nur der Anfang. Die Elfenbeinküste steht vor dem Bürgerkrieg, und es ist niemand in Sicht, der die Katastrophe noch aufhalten könnte. Die Afrikanische Union hat wie immer viel palavert, aber keine einzige Idee produziert, wie sich der Konflikt lösen ließe. Der Rest der Welt schaut auf Libyen. Um ernst genommen zu werden, muss die Elfenbeinküste wohl erst mit Tausenden Toten aufwarten.

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