Reaktion auf Koranverbrennung:Blutige Proteste in Afghanistan

Einen Tag nachdem in Afghanistan sieben UN-Mitarbeiter bei einem Anschlag getötet wurden, sind am Samstag bei erneuten gewaltsamen Protesten weitere Menschen ums Leben gekommen. US-Prediger Terry Jones, der mit seiner Koranverbrennung die Proteste auslöste, hat Medienberichten zufolge nun Vergeltung für die Opfer gefordert.

Fast zwei Wochen geschah nichts, doch nun wächst in der islamischen Welt die Wut über eine Koranverbrennung in den USA. Bei neuen Protesten sind am Samstag in Afghanistan neun Menschen gestorben.

Reaktion auf Koranverbrennung: Nach Angriffen von radikalen Moslems steigt Rauch vom Büro der Vereinten Nationen in Masar-i-Sharif auf. Sieben UN-Mitarbeiter werden getötet.

Nach Angriffen von radikalen Moslems steigt Rauch vom Büro der Vereinten Nationen in Masar-i-Sharif auf. Sieben UN-Mitarbeiter werden getötet.

(Foto: AFP)

Weitere 73 Menschen wurden verletzt, berichtete Zelmai Ayoubi, Sprecher des Gouverneurs von Kandahar. Zudem seien 16 bewaffnete Männer festgenommen, die offenkundig die eigentlich friedlichen Demonstranten zu Gewaltakten angestachelt hätten. Die Proteste richteten sich gegen eine Koranverbrennung durch einen radikalen Pastor in den USA.

Bereits am Vortag hatte ein aufgebrachter Mob radikaler Moslems mehrere Helfer der Vereinten Nationen getötet. Sieben ausländische UN-Mitarbeiter starben, als ihr Büro angegriffen und angezündet wurde. Auch fünf Demonstranten starben.

Der Zorn der Protestierenden richtet sich gegen den radikalen amerikanischen Prediger Terry Jones in Florida, unter dessen Leitung am 20. März eine Koranverbrennung vorgenommen worden war.

Jones wies die Schuld für den Tod der sieben UN-Mitarbeiter zurück. Seine Gemeinde sei "betrübt" über den Tod von mindestens sieben UN-Mitarbeitern, sagte Jones am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. "Aber wir fühlen uns nicht verantwortlich." In einer Erklärung sprach der fundamentalistische Geistliche dem Islam zudem die Friedfertigkeit ab: "Der Islam ist keine Religion des Friedens."

Die New York Times berichtet derweil, Jones habe die amerikanische Regierung aufgefordert, Vergeltung für die Toten zu üben. Er verlangte, sofort zu reagieren und fügte hinzu, die Zeit sei nun reif, um den Islam zur Verantwortung zu ziehen.

UN fordern lückenlose Aufklärung

Der Angriff vom Freitag wurde weltweit mit Entsetzen aufgenommen und scharf verurteilt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte den Überfall und forderte von der afghanischen Regierung Konsequenzen und eine lückenlose Aufklärung.

Auch andere Staaten forderten, dass Kabul durchgreift. "Die Regierung muss handeln und die Schuldigen der Justiz zuführen", sagte Kolumbiens UN-Botschafter Nestor Osorio, der am Morgen turnusgemäß den Vorsitz des mächtigsten UN-Gremiums für den April übernommen hatte.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wies seinen Sondergesandten Staffan de Mistura an, sofort zum Tatort zu eilen und die Hintergründe des Überfalls zu klären. "Das war ein abscheulicher und feiger Anschlag auf Mitarbeiter der Vereinten Nationen, der unter keinen Umständen gerechtfertigt werden kann", sagte Ban bei einem Besuch in der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

US-Präsident Barack Obama verurteilte den Anschlag auf die "tapfere Männer und Frauen", die sich für den Aufbau Afghanistans eingesetzt hätten. Auch die Gewerkschaft der UN-Mitarbeiter reagierte mit Abscheu. "Wieder einmal wurden Menschen getötet, die einfach nur dem Volk in einem kriegsgeplagten Land helfen wollten." Nach Angaben der Organisation gehört Afghanistan zu den gefährlichsten Dienstorten für die Mitarbeiter der Vereinten Nationen.

"Hunderte, vielleicht Tausende Demonstranten"

Die Demonstranten in Masar-i-Scharif waren aufgewiegelt worden, nachdem in den USA ein radikaler Pastor eine Kopie des Koran verbrannt hatte. In zahlreichen Städten der islamischen Welt protestierten Muslime gewaltsam, nirgendwo war es aber so schlimm wie im nordafghanischen Masar-i-Scharif.

Der Sprecher der Regierung der Provinz Balch, Munir Ahmad Farhad, sagte, Hunderte Menschen hätten von einer Moschee ausgehend zunächst friedlich demonstriert. Die Proteste seien gewalttätig geworden, als die Männer das UN-Büro erreicht hätten. Der Mob habe die Wachmänner überwältigt, das UN-Gelände gestürmt und das Gebäude in Brand gesteckt. Polizisten, die zur Verstärkung anrückten, seien mit Steinen beworfen worden. Nach Angaben aus der Polizei hatte ein Vorbeter in der Moschee die Menschen aufgewiegelt.

Der Mob tötete sieben ausländische Mitarbeiter. Die Herkunft der Männer und Frauen war auch Stunden später nicht endgültig klar. Das Außenministerium in Stockholm bestätigte, dass ein Opfer aus Schweden kam. Ein weiteres soll aus Norwegen stammen.

Unter den sieben Toten sollen auch vier nepalesische UN-Soldaten sein. "Sie haben alles versucht, um das Gelände zu schützen, aber es waren einfach zu viele. Da waren Hunderte, vielleicht Tausende Demonstranten, viele bewaffnet", sagte Untergeneralsekretär Alain Le Roy, verantwortlich für alle UN-Friedensmissionen.

Der Angriff habe anscheinend nicht den UN direkt gegolten: "Sie haben einfach ein internationales Ziel gesucht. Und die UN waren da." Le Roy dementierte Berichte, dass UN-Mitarbeiter entführt worden seien. "Alle anderen sind in Sicherheit. Viele sind verletzt, aber in Sicherheit."

Die russische Botschaft in Kabul teilte mit, dass der russische Leiter der UN-Mission verletzt worden sei. Ein Polizeibeamter, der ungenannt bleiben wollte, sagte, einige der ermordeten UN-Mitarbeiter seien enthauptet worden.

Angriff auf US-Stützpunkt

Unterdessen haben US-Soldaten in der afghanischen Hauptstadt Kabul einen Angriff auf einen ihrer Stützpunkte abgewehrt. Drei als Frauen verkleidete Selbstmordattentäter versuchten am Samstag, in eine US-Basis in einem östlichen Randbezirk Kabuls einzudringen. Sie hätten mit Granaten und Handfeuerwaffen um sich geschossen, seien von Sicherheitskräften aber am Vordringen gehindert worden, teilte die Polizei mit.

Zwei hätten ihre Sprengladungen gezündet, der dritte und der Fahrer der Gruppe seien erschossen worden. Nach Angaben eines Sprechers der internationalen Afghanistan Schutz-Truppe Isaf wurden bei dem Angriff drei Soldaten verletzt. Der Anschlagsort wurde vom US-Militär abgeriegelt. Anwohner berichteten von zwei schweren Explosionen und Schüssen.

Im südafghanischen Kandahar gab es am Morgen erneut Proteste gegen die Koranverbrennung in den im amerikanischen Gainesville. Mehr als tausend Menschen gingen auf die Straße. Wie ein AFP-Reporter vor Ort berichtete, versuchten Hunderte Polizisten, die zumeist jungen Demonstranten davon abzuhalten, zum Sitz der Provinzregierung zu marschieren. Die Protestierenden riefen "Tod den USA" und "Tod für (Präsident Hamid) Karsai". Beamte schossen demnach in die Luft, um die Menge auseinanderzutreiben.

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