Blutige Kämpfe in Syrien:Aufstand ohne Ausweg

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Aus der syrischen Protesthochburg Hama kommen furchtbare Bilder: Die syrischen Streitkräfte sind mit Panzern ins Zentrum der Stadt eingerückt. In der internationalen Gemeinschaft mag Assad zwar niemand mehr. Aber keiner sagt, dass er gehen soll. Das liegt daran, dass niemand die Antwort auf die Schlüsselfrage weiß: Was kommt nach Assad?

Rudolph Chimelli

Gäbe es so etwas wie "bedingte Abscheu", dann hätte Syriens Präsident Baschar al-Assad sie wirklich verdient. Niemand mag ihn mehr, aber keiner sagt rundheraus, dass er gehen soll. Nicht in der arabischen Welt, die seit Ausbruch ihres Frühlings schmerzliche Erfahrungen mit festgefahrenen Revolutionen macht.

Zwar ist es in den beiden größten Städten Syriens ruhig. Doch in der Protesthochburg Hama haben die syrischen Streitkräfte ihre Offensive gegen die Regimegegner verschärft - aus der Stadt kommen Bilder, wie Panzer ins Zentrum einrücken. (Foto: Reuters)

Nicht in Amerika, wo Präsident Barack Obamas hohes Ross moralischer Empörung diesmal vor der letzten Hürde der Rücktrittsforderung scheut. Nicht einmal in Israel, wo man einen bekannten Schreckenspopanz in Damaskus lieber hat als Ungewissheit. Und schon gar niemand käme auf den absonderlichen Gedanken, Deutschlands Freiheit müsse am Orontes verteidigt werden, der durch Hama fließt. Aus dieser geschundenen Stadt kommen furchtbare Bilder.

Das ist eine Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit über das komplizierte Land. Damaskus und Aleppo, die beiden Städte, in denen mehr als die Hälfte der Syrer lebt, sind ruhig, von einigen Gewaltausbrüchen in Außenbezirken der Kapitale abgesehen. Auch hier fürchtet eine schweigende Mehrheit den Sprung in die reißenden Strudel der Revolution. Auf allen Seiten profitiert Assad davon, dass niemand auf die Schlüsselfrage eine Antwort weiß: Was kommt nach ihm?

All das hat nichts mit Popularität zu tun. Viel eher entspringt diese Stimmung einem Instinkt. Die Menschen entscheiden sich für das wahrscheinlich kleinere Übel. Westliche Medien sind in Syrien mit dem Qualitätssiegel Demokratiebewegung sparsamer umgegangen als sonst. Es wird meist großzügig verliehen, wo immer sich Unterdrückte erheben. Dabei verdient ein Teil der wenig strukturierten syrischen Opposition dieses Urteil durchaus: liberale, bürgerliche Kräfte des Mittelstands, gemäßigte, traditionelle Muslime, Reste von politischen Gruppen, die vor den Jahrzehnten der Diktatur von Baath-Partei und Assad-Dynastie miteinander konkurrierten.

Doch der neue Al-Qaida-Chef Aiman al-Zawahiri lobt die syrischen Rebellen als aufrechte Kämpfer gegen die Hegemonie Amerikas und Israels. Seine Adressaten sind aber sicher alles andere als Demokraten. Wo Syriens Muslimbrüder stehen, die mit al-Qaida nicht einfach gleichzusetzen sind, ist schwer einzuschätzen. Mit den Assads haben sie eine alte Rechnung zu begleichen. Als sie sich vor 30 Jahren gegen den Vater des heutigen Präsidenten erhoben, war schon einmal Hama das Zentrum des Aufstands.

Hafis al-Assad ließ damals die Altstadt von Hama von Panzern und Artillerie einebnen und mindestens 20.000 Menschen abschlachten. Schon die bloße Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft steht seither laut syrischer Verfassung unter Todesstrafe. Seit jenen Tagen haben die Muslimbrüder Ägyptens und Tunesiens - wie auch die Islamisten der Türkei - eine Wandlung durchgemacht. Sie bekennen sich heute zum Pluralismus und, wo sie etwas zu sagen haben, praktizieren sie ihn. Dass die syrischen Brüder in ihrer Katakombe diese Entwicklung mitvollziehen konnten, ist alles andere als sicher.

Überall, wo Assad junior seine Panzer loslässt, von Deraa im Süden über Banias an der Küste, in Hama und Homs in Syriens Mitte, oder am Euphrat, wohnen überwiegend Sunniten. Die Präsidentenfamilie hingegen gehört der schiitischen Sekte der Alawiten an. Vater und Sohn haben Glaubensgenossen in Schlüsselpositionen der Armee und der Geheimdienste gebracht. Für viele Syrer trägt die Unterdrückung ein alawitisches Gesicht.

Mehrfach sind sunnitische und alawitische Einwohner an einigen Orten des Nordens aneinandergeraten. Gleichwohl wäre es zu einfach, von einem Konfessions-Konflikt zu sprechen. Schon Assad senior hatte sich von dem später in Libyen verschwundenen Haupt der libanesischen Schiiten, Imam Mussa Sadr, bestätigen lassen, dass er Muslim sei, denn das verlangt die Verfassung vom Präsidenten. Auch politisch nicht engagierte Alawiten sind nicht immer glücklich mit Assad. Er verpasste ihnen Familienrecht und Religionsunterricht der Sunniten, ihre Gemeinschaft hat keine Sprecher, und jeder Alawit steht bei Landsleuten im Generalverdacht, ein Baath-Agent zu sein.

Als Syrien zum Osmanischen Reich gehörte, war der Sultan in Istanbul Oberhaupt des sunnitischen Staatsvolkes. Von der Erlangung der Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Aufstieg der Assads regierte immer ein Angehöriger der sunnitischen Mehrheit.

Die syrischen Christen, etwa ein Zehntel des Volkes, haben wie Drusen oder Kurden wenig Sehnsucht nach einer Rückkehr zum historischen Normalfall der Sunniten-Herrschaft. Sie befürchten, dass der fundamentalistisch eingefärbte Mehrheitsislam der Gegenwart ihnen nicht den toleranten Orient von ehedem zurückbrächte. Das stimmt sie trotz allem immer noch positiv ein zur Herrschaft des Mannes aus einer anderen Minderheit, der Alawiten.

Wie die Nachbarn Irak und Libanon ist das moderne Syrien von Kolonialherren nach deren Eigeninteressen aus verschiedenen Volksgruppen zusammengeschachtelt worden. Wie Bagdad und Beirut droht Syrien bei Machtzerfall Bürgerkrieg. Dass sich der Saulus Assad in letzter Stunde noch zu einem Paulus bekehrt, ist leider unwahrscheinlich.

© SZ vom 04.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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