Ehefrau von Raif Badawi:Nicht ohne meinen Mann

Ensaf Haidar

So sieht es darunter aus: In Saudi-Arabien könnte Ensaf Haidar nie ohne Kopftuch auf die Straße gehen. In Europa schon.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ehefrauen haben in Saudi-Arabien nicht viel zu sagen. Ensaf Haidar bewegt die Welt mit ihrem Kampf für die Freiheit ihres Ehemannes, den Blogger Raif Badawi.

Porträt von Paul-Anton Krüger

Drei Jahre in Gedanken an den Mann, drei Jahre Bangen, drei Jahre Ungewissheit. Drei Jahre, in denen Ensaf Haidar nie genau weiß, was ihrem Mann bevorsteht, oder welche Qualen er im Gefängnis gerade hinter sich gebracht hat. So etwas kann auch die Menschen draußen zerbrechen - oder es macht sie stärker. Ensaf Haidar scheint zur zweiten Kategorie zu gehören. Ungebrochen, so nennt man Menschen wie sie wohl.

"Ich glaube an Raifs Sache", sagt sie. "Ich werde die Hoffnung nie aufgeben, dass er freigelassen wird. Und es gibt mir Kraft, dass mich so viele Menschen dabei unterstützen." Das sind ihre Sätze an einem Novembertag in München, ein paar Wochen bevor ihr Mann Raif Badawi, 31, an diesem Mittwoch in Straßburg den Sacharow-Preis verliehen bekommt. In Abwesenheit, denn seit drei Jahren sitzt der Blogger in saudischen Gefängnissen.

Die Richter im ultrakonservativen Königreich werfen ihm vor, den Islam beleidigt zu haben. Dafür bekam er zehn Jahre Gefängnis und tausend Peitschenhiebe. Das Urteil wird vielleicht überprüft und aufgehoben. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wird es gar verschärft. Anfänglich wurde Badawi angelastet, vom Glauben abgefallen zu sein. Darauf steht die Todesstrafe. Dabei ist sein Thema nicht Gott, sondern eine freie, liberale Gesellschaft.

Ensaf Haidar wird den EU-Menschenrechtspreis für ihren Mann entgegennehmen, so wie sie in den vergangenen Jahren den Kampf für seine Freilassung angenommen hat. Es ist ein präsenter Kampf und ein stiller zugleich. Sie will die Welt auf ihn aufmerksam machen, aber auch nichts sagen, was ihren Mann gefährden könnte.

Ihre Stimme ist leise, der Tonfall umso bestimmter

Sie kommt im braunen, knielangen Rock, dazu goldene Turnschuhe, braune Jacke, ein bunter Schal , ihre Fingernägel hat sie rot lackiert - in Saudi-Arabien unvorstellbar. Dort müssen Frauen in der Öffentlichkeit verschleiert gehen, nur Gesicht und Hände bleiben frei. Die dunkelbraunen Haare trägt Ensaf Haidar offen, sie wirft sie nach hinten, wenn sie zu einer Antwort ansetzt. Ihre Stimme ist leise, der Tonfall umso bestimmter. Halten ihre Hände sich erst an den Ellenbogen fest, gestikulieren sie bald lebhaft. Über ihr Alter schweigt sie. Sie ist eine sehr zierliche Frau, kaum 1,50 Meter groß. Doch sie versprüht unbändige Energie.

Sie reist unermüdlich durch Europa und die USA, spricht mit Politikern und Aktivisten, sie hat dafür alles andere aufgeben müssen, hat mit ihrer Familie in Saudi-Arabien gebrochen. Raif Badawis Vater wollte das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder, distanzierte sich vom eigenen Sohn. Haidars Eltern haben versucht, gegen ihren Willen vor Gericht die Scheidung durchzusetzen. Sie hat sich wieder und wieder für ihren Mann entschieden und ihre gemeinsame Familie. Weder sie noch ihr Mann haben noch Kontakt zu ihren Angehörigen in Saudi-Arabien.

Ihr Mann war schon nach den ersten Ermittlungen 2008 mit einem Reiseverbot belegt worden. Doch sie konnte fliehen. Zuerst ging sie Ende 2011 mit den Kindern für ein paar Monate nach Ägypten, dann für zwei Jahre nach Libanon. Das war noch bevor Raif Badawi inhaftiert wurde. Doch sicher fühlen konnte sie sich weder in Kairo noch in Beirut. Zu eng sind die Verbindungen von dort nach Riad, zu sehr sind die beiden Länder auf das Geld vom Golf angewiesen. Es gab Drohungen, sie kamen anonym, aber Ensaf Haidar wusste, dass sie ernst zu nehmen sind. "Wenn ich dich sehe, bringe ich dich um", hieß es in einer. Sie traute sich nicht mehr aus dem Haus, schärfte den Kindern ein, keinesfalls ihren Namen zu sagen oder mit Fremden zu reden. 2013 floh sie nach Kanada, wo sie und ihre Kinder politisches Asyl erhielten und sich endlich sicher fühlen konnten.

Ensaf Haidars Verbindung nach Saudi-Arabien sind Freunde, die zu ihr halten. Und ein Netz von Quellen, über die sie nichts sagen kann, ohne sie zu gefährden. Darunter, so viel ist klar, sind Informanten, die Zugang zum Justizsystem des Landes haben. Sie versorgen sie mit Informationen über das Schicksal ihres Mannes. In der Vergangenheit haben sie sich als zuverlässig erwiesen - von dort erhielt sie eine Warnung, bevor ihr Mann in Dschidda öffentlich mit dem Stock geprügelt wurde. Manchmal kann Raif Badawi sie aus dem Gefängnis kurz anrufen.

Der Prozess

Den genauen Stand des Prozesses gegen den saudischen Blogger Raif Badawi kennt nicht einmal seine Frau Ensaf Haidar - Saudi-Arabien gewährt ihm keinen Anwalt. Am 9. Januar war er in Dschidda 50 Mal öffentlich geschlagen worden. Damit wurde ein Urteil vollstreckt, das auf 1000 Schläge lautet - neben zehn Jahren Haft, zehn weiteren Jahren Reiseverbot und einer Geldstrafe von umgerechnet 150 000 Euro. Die weitere Prügelstrafe wurde ausgesetzt, offiziell wegen der angegriffenen Gesundheit Badawis und dem Risiko, dass er weitere 50 Schläge womöglich nicht überleben würde. Dann wurde bekannt, dass das Oberste Gericht seinen Fall nochmals prüfe. Gab es im Spätsommer unbestätigte Hinweise darauf, dass er wieder geprügelt werden sollte, weckte zuletzt Yves Rossier, Staatssekretär im Schweizer Außenministerium, Hoffnung. Ihm sei in Riad versichert worden, der Vollzug der Strafe sei ausgesetzt und ein Gnadenerlass von König Salman in Vorbereitung, sagte er. Jüngst jedoch verlegte die Gefängnisverwaltung Badawi offenbar aus administrativen Gründen in eine andere Haftanstalt - in der sonst nur Häftlinge untergebracht sind, deren Verfahren abgeschlossen ist. Dienstag vergangener Woche ist Badawi aus Protest dagegen in den Hungerstreik getreten. Paul-Anton Krüger

Ein paar Minuten nur, alle paar Wochen darf Badawi telefonieren

Ein paar Minuten nur, alle paar Wochen. "Er fragt dann nach den Kindern und versucht, mich nicht merken zu lassen, dass es ihm schlecht geht", sagt Ensaf Haidar. Doch dafür kennt sie ihren Mann zu lange. Sie blickt auf den Tisch. In diesem Moment kann sie nicht verbergen, wie aufgewühlt sie ist.

Ihr Mann hatte Ideen, wie sich das konservative Königreich reformieren müsste. Er wollte einen Dialog auch über religiöse Themen anstoßen, über die Frage, wie sich der Volksglaube vom politisierten Islam unterscheide. Ensaf Haidar mag vieles davon teilen, doch sagen will sie dazu nichts. Sie ist extrem vorsichtig - es könnte ihrem Mann schaden. Und jemals nach Saudi-Arabien zurückzukehren, ist längst undenkbar.

Sie hat in Kanada eine neue Heimat gefunden. "Heimat", sagt Ensaf Haidar, "ist nicht unbedingt der Ort, an dem man geboren wurde, sondern der Ort, an dem man sich aufgenommen fühlt." An dem man in Freiheit leben kann. Doch ihr Leben wird erst vollständig sein, wenn Raif Badawi wieder bei ihr und den Kindern ist.

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