Blasphemie-Gesetze in Europa:Was Spott über Gott darf

Charlie Hebdo Press Conference

In der Redaktion der Pariser Zeitung Libération präsentieren Luz (Mitte), Chefredakteur Gerard Biard (links) und Patrick Pelloux das Cover der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo.

(Foto: dpa)
  • Nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo fordert die FDP eine Abschaffung des "Blasphemie-Paragrafen" in Deutschland.
  • Unions-Politiker Wolfgang Bosbach würde den Paragrafen dagegen gern verschärfen.
  • Der Umgang mit Gotteslästerung in Europa unterscheidet sich deutlich von Land zu Land.

Von Markus C. Schulte von Drach und Lilith Volkert

Wie soll die Gesellschaft mit dem Spott über Gott und Gläubige umgehen? Das Attentat islamistischer Terroristen auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo hat in Deutschland eine Debatte über den Paragrafen 166 Strafgesetzbuch, das sogenannte "Blasphemie-Verbot", ausgelöst.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner fordert, es als "unschlagbares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit" abzuschaffen. "Wenn Terroristen die freie Gesellschaft angreifen, antworten wir mit mehr und nicht weniger Freiheit", sagte Lindner der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Attentäter in Paris haben die Redaktion in Paris überfallen, weil das Magazin immer wieder heftig den Islam verspottet hatte - was in Frankreich nicht verboten ist.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Unabhängigkeit der Medien sollten nicht vor Religionen haltmachen müssen, sagte Lindner. Was nicht bedeute, dass die FDP religiöses Empfinden nicht respektiere. Aber Religionsgemeinschaften müssten Satire und Spott genauso ertragen wie jeder Bürger, jede Partei und jede Institution. Die Grünen fordern die Streichung des Paragrafen 166 schon seit etlichen Jahren, genauso wie die religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung.

Der seit 1969 gültige Blasphemie-Paragraf in Deutschland verbietet nicht pauschal die Gotteslästerung oder das Verhöhnen von Glaubensinhalten. Vielmehr lautet er: "Wer (...) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Das strafrechtliche "Schutzgut" ist also der öffentliche Frieden.

Tatsächlich muss zwischen Persönlichkeitsrechten und religiösen Gefühlen unterschieden werden. Auf letztere Rücksicht zu nehmen, kann ein Gebot des Respekts und der Toleranz sein. Viele Medien befolgen deshalb freiwillig den Pressekodex, in dem es heißt, die Presse verzichte darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen - ohne dass dies gesetzlich vorgeschrieben wäre. Der Schutz des religiösen Friedens, so Staatsrechtler Hans Michael Heinig, sei durch Beleidigungstatbestände und den Schutz vor Volksverhetzung ausreichend garantiert. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte Heinig, Kunst- und Pressefreiheit hätten Vorrang vor dem diffusen Schutz religiöser Gefühle.

Forderung nach einer Verschärfung des §166

Aus der Union kommen entgegengesetzte Forderungen: Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sagte der Welt, es sollte eher über die Anhebung des Strafrahmens gesprochen werden als über die Abschaffung des Paragrafen 166. "Wenn der öffentliche Friede auf diese Weise gestört wird, muss der Rechtsstaat dagegen vorgehen können." Auch Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, ist für eine Verschärfung.

Kritiker des Paragrafen 166 argumentieren, dass es von der Reaktion der Gläubigen abhänge, ob Blasphemie verfolgt werde - und nicht von der Gotteslästerung selbst. Dulden sie selbst die schlimmste Blasphemie, greift der Paragraf 166 nicht, weil der öffentliche Friede nicht in Gefahr ist. Anders ist es, wenn Gewalt durch Anhänger einer Religion droht. Dann könne Schmähkritik verfolgt werden, sagte der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff der Badischen Zeitung. "Das ist ein gewisses Dilemma." Kardinal Josef Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) hat gar einst von einer "Aufforderung zum Faustrecht" gesprochen. Ralf Meister, evangelischer Landesbischoff in Hannover, bezeichnete Satire dagegen im RBB-Inforadio als "Bewährungsprobe für jeden Glauben", die man aushalten müsse.

Kein Dilemma, sondern eine völlige Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses sieht der Philosoph Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, im Paragrafen 166: "Der öffentliche Friede wird nicht durch Künstler gestört, die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können."

Geldstrafe gegen Polit-Aktivisten, Freispruch für Kabarettisten

In Deutschland kam es zuletzt zu einer Anzeige gegen den Kabarettisten Dieter Nuhr im Oktober 2014 wegen islamkritischer Sätze - das Verfahren wurde eingestellt. Im gleichen Jahr wurde der Aktivist Michael Stürzenberger zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er den Islam mit einem Krebsgeschwür verglichen hatte. Im Jahr zuvor waren etliche Anzeigen gegen die Komikerin Carolin Kebekus eingegangen, die in einem Musikvideo auf anzügliche Weise eine rappende Nonne spielte. Es wurden aber keine Ermittlungen aufgenommen. Und 2012 zeigte das Satireblatt Titanic auf seinem Titel den damaligen Papst Benedikt XVI. mit einem gelben Fleck auf der Soutane. Dazu hieß es: "Die undichte Stelle ist gefunden". Der Papst sah seine Persönlichkeitsrechte verletzt - zog seine Zivilklage gegen das Blatt dann aber wieder zurück.

Der Umgang mit Gotteslästerungen in Europa

In Europa steht Deutschland mit seinem "Blasphemie-Verbot" nicht alleine. Doch gibt es auch deutlich strengere Regelungen - und Länder, in denen Gotteslästerung nicht bestraft wird. Ein Überblick:

In Frankreich sind Kirche und Staat seit 1905 getrennt (Laizismus). Religion gilt als reine Privatsache, der Staat erfasst noch nicht einmal die Religionszugehörigkeit seiner Bürger. Ein Gesetz, das Gotteslästerung verbietet, gibt es nicht. Eine Ausnahme ist die Region Elsass und das Département Moselle - Gebiete, die zwischen 1871 und 1918 zu Deutschland gehörten. Hier gilt ein lokales Recht, das Elemente aus der damaligen Zeit bewahrt hat, etwa einen Paragrafen, der Gotteslästerung mit maximal drei Jahren Gefängnis bestraft. Allerdings wurde er noch nie angewendet. Die Vertreter der großen Religionen im Gebiet Alsace-Moselle hatten am Tag vor dem Anschlag auf Charlie Hebdo gefordert, den Paragrafen abzuschaffen: Er sei veraltet.

Großbritannien hat 2008 das Gesetz abgeschafft, das Gotteslästerung unter Strafe stellt. Allerdings verbietet der zwei Jahre zuvor verabschiedete "Racial and Religious Hatred Act", aufgrund religiöser Einstellung Hass auf Menschen zu schüren. Mister-Bean-Darsteller Rowan Atkinson kritisierte, damit würden eher neue Spannungen denn Toleranz gefördert. Auch Vertreter der größten Religionen sprachen sich dagegen aus.

In Irland gilt seit 2010 ein strengeres Blasphemie-Gesetz. Wer Gott beleidigt, kann zu einer Strafzahlung von bis zu 25 000 Euro verurteilt werden. Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Fall vor Gericht kommt: Die Gefühle von Gläubigen wurden stark verletzt, der öffentliche Frieden gestört und es kann nachgewiesen werden, dass die verantwortliche Person das Ärgernis bewusst provoziert hat. Wegen der anhaltenden Kritik plant die irische Regierung ein Referendum dazu, das in diesem Jahr stattfinden soll.

In Österreich können Gerichte wegen der "Herabwürdigung religiöser Lehren" Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten verhängen. Zuletzt wurde der Karikaturist Manfred Deix 1994 wegen eines Jesus-Cartoons in erster Instanz verurteilt, in zweiter Instanz aber wieder freigesprochen.

In der Schweiz können Menschen, die "öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen" beschimpfen oder verspotten, zu einer Geldstrafe verurteilt werden. Es gab aber seit Jahrzehnten keinen größeren Prozess.

In Italien gilt Gotteslästerung als Ordnungswidrigkeit, sie wird höchstens mit einer Geldstrafe geahndet. Vor drei Jahren verklagte eine ultrakonservative katholische Organisation den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl wegen seines Films Paradies: Glaube, der auf dem Filmfestival in Venedig uraufgeführt worden war. Ansonsten gibt es selten Klagen wegen Blasphemie.

In Spanien gibt es zwar einen Paragrafen, der die Beleidigung religiöser Gefühle verbietet, es kommt aber kaum zu Prozessen.

Die Beleidigung religiöser Gefühle galt in Russland lange als Ordnungswidrigkeit. Nach Protest der kremlkritischen Punkband Pussy Riot in einer orthodoxen Kirche und dem darauffolgenden Prozess wurde die Gesetzgebung verschärft: Seit 2013 kann Gotteslästerung mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Drei Mitglieder von Pussy Riot waren 2012 wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" zu je zwei Jahren Straflager verurteilt worden.

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