Blamage von Boris Johnson im TV-Interview:Danke für die Prügel

Boris Johnson, Bürgermeister London, BBC, Interview

"Sind Sie sicher, dass ihre Zuschauer mehr darüber hören wollen?" - Boris Johnson, verzweifelt im BBC-Studio.

Sie nennen ihn "die blonde Gefahr", doch diesmal steckt Boris Johnson selbst in Schwierigkeiten: Der Bürgermeister von London und Cameron-Rivale kämpft gegen den miserablen Eindruck an, den er in einem TV-Interview gemacht hat. Seine Strategie: Lob für den, der ihn grillte.

Von Oliver Das Gupta

Was für eine Niederlage. Da hält ein Journalist einem Politiker vor, mehrfach gelogen zu haben. Dass er früher als Zeitungsmitarbeiter ein Zitat gefälscht habe und dafür gefeuert wurde. Dass er als Polit-Neuling aus dem Schattenkabinett flog, weil er eine außereheliche Liebschaft leugnete. Der Journalist hält dem Politiker vor, einem gewaltbereiten Freund verraten zu haben, wo ein anderer Journalist wohnte, dem dieser die Knochen brechen wollte.

Dann sagt der Journalist über den Politiker, er sei ein "ziemlich widerlicher Typ". Er sagt es ihm ins Gesicht. Vor laufender Kamera. Der Politiker stottert; er sucht nach Ausflüchten, er findet keine (hier im Video).

Hinterher sagt der Politiker: Der Journalist habe einen "glänzenden Job" gemacht. Der Sender habe das Recht, Politiker zu grillen. Der Politiker hätte auch sagen können: Danke für die Prügel.

Was für eine Niederlage für Boris Johnson, Konservativer und Bürgermeister Londons.

Berüchtigte Zerstreutheit

Das Interview, in dem der BBC-Journalist Eddie Mair ihn am vergangenen Sonntag blamierte, ist nicht die erste Peinlichkeit, die sich Johnson leistete. Schon früher machte er sich zum Gespött: Mal gab er ein Interview vor seiner Wohnung und schloss sich dabei aus. Mal konnte er sich nicht an den Titel seines eigenen Buches erinnern. Sein chaotischer Lebenswandel und seine Zerstreutheit sind berüchtigt.

Doch diese Dinge passierten vor 2008, dem Jahr, in dem er zum Stadtoberhaupt gewählt wurde. Längst bastelt Johnson am nächsten Karriereschritt: Er gilt als Anwärter auf das Amt des britischen Premierministers. Als Nachfolger für seinen nicht mehr unangefochtenen Tory-Parteifreund David Cameron, der herumschlittert auf dem seifigen Parkett der EU-Krise.

Johnson betreibt in London durchaus konservative Politik, Law-and-Order inklusive. Auf der anderen Seite verkörpert er das, was den steifen Tories und auch Cameron abgeht: Lockerheit, die oft ins Skurrile geht. Er setzt hässliche Mützen auf und radelt durch seine Stadt, Reden garniert er mit allerlei Faxen und Grimassen. Sein wirres flachsblondes Haar geht als optische Beleidigung durch, Johnson zerstrubbelt es gerne zusätzlich, wenn andere zusehen. Einmal posierte er als menschgewordene Seilbahn-Gondel in luftiger Höhe und schwenkte den Union Jack. Es sind Dinge, wie sie am Tresen von Pubs als Wette ersponnen werden, es sind Dinge, wie die Briten sie lieben.

Ein Interview wie ein Autounfall

So schrill wie unkonventionell pflügte Johnson die vergangenen Jahre durch die britische Innenpolitik nach oben. Es sah so gut aus für "die blonde Gefahr". Dann ging er zur BBC ins Studio, zu Eddie Mair. Der Journalist aus Schottland schaffte es in drei Minuten, Johnsons Karriere ernsthaft zu gefährden. Es geht um kostbarste Güter eines Politikers: seine Glaubwürdigkeit, seine Integrität.

Johnsons PR-Offensive in eigener Sache habe seine "Achilles-Ferse" freigelegt, meint der Guardian. Ob die Torys verzweifelt genug wären, einem "charmanten Chamäleon" zu vertrauen? Johnson sei in ein Interview wie einen Autounfall geraten, schreibt das Boulevardblatt The Sun.

"Nicht meine glühendste Performance"

Die Sache ist gefährlich. Johnson weiß das und will deshalb der Attacke die Spitzen nehmen: Lob für den Journalisten, Würdigung für die BBC. Dazu Selbstkritik: "Ich gestehe voll und ganz ein, dass das nicht meine glühendste Performance war", sagt Johnson. Er habe damit gerechnet, über die Olympischen Spiele und Wohnungsbau zu sprechen und nicht über Dinge, die lange zurücklägen.

Ob Johnsons Beruhigungstaktik die Debatte tatsächlich stoppt? Der Wirbel wird wohl noch andauern, schließlich stammen die kolportierten Vorwürfe aus seiner TV-Dokumentation, in der noch andere delikate Details stecken dürften.

Dass Johnsons Demut ihre Grenzen hat, zeigte er unverblümt. Auf die journalistische Leistung des Mannes angesprochen, der ihn blamierte, frotzelte Johnson: Mair habe eine oscarreife Leistung erbracht. "Ich denke, er gewinnt dafür den Pulitzer-Preis."

Johnsons Vater Stanley hingegen findet die Abreibung seines Sohnes ganz und gar nicht witzig. Der Senior befand, das Interview sei ein "widerliches Stück Journalismus".

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