Bischof Marx stellt Buch vor:"Das Kapital" - auf katholisch

Lesezeit: 3 min

Selten hat das Buch eines Bischofs so viel Aufmerksamkeit gefunden: Reinhard Marx warnt auf 320 Seiten vor einem ungebändigten Kapitalismus.

Matthias Drobinski

Auf das Bischofsgewand und das lila Käppchen hat Reinhard Marx heute verzichtet, er kommt im Anzug, er trägt den Kragen eines einfachen Priesters. Aber natürlich füllt er, wenn er spricht, den Raum der ehemaligen Karmeliterkirche.

Reinhard, nicht Karl: Bischof Marx hat ein Buch über den Kapitalismus geschrieben. (Foto: Foto: dpa)

Er breitet die Arme aus, als wollte er die Journalisten zu seinen Füßen segnen; redet er über globale Herausforderungen, formen seine Hände eine Kugel in der Luft. Sieben Fernsehkameras und ein gutes Dutzend Fotografen sind da; bewegt sich der Münchner Erzbischof, zucken die Blitze.

Selten hat das Buch eines Kirchenmannes in Deutschland eine solche Aufmerksamkeit gefunden: Marx - Das Kapital, wenn auch von Reinhard, nicht von Karl. Veröffentlicht vom publikumswirksamsten Bischof im deutschen Episkopat im Strudel einer Finanzkrise, in der wie seit 40 Jahren nicht mehr über den Kapitalismus diskutiert wird.

Die 15000 Exemplare Startauflage, mit denen der christliche Pattloch-Verlag mangels hellseherischer Fähigkeiten ins Rennen geht, sind schon so gut wie weg.

Mag Anselm Grün, der Finanzchef des Benediktinerklosters Münsterschwarzach, viel Geld verspekuliert haben, mag die unglückliche evangelische Landeskirche von Oldenburg ihr Geld bei Lehman Brothers in den USA sicher gewähnt haben - insgesamt sind die Kirchen Gewinnerinnen der Krise, geistlich, intellektuell und politisch jedenfalls.

Nun gelten Christen als Ratgeber in der Not

Als vor zwei Jahren der Verlag an Marx, den ehemaligen Professor für Sozialethik, herantrat, habe er gezögert, erzählt er. Sollte er sich derart exponieren als Bischof, damals noch von Trier? Zu dieser Zeit sahen sich die Kirchen in der Defensive mit ihrer Skepsis gegenüber allzu windiger Spekulation, ihren Einsprüchen gegen die Heiligung des Kapitals, ihrer Kritik am Sozialabbau.

Damals veröffentlichte die katholische Bischofskonferenz die Schrift "das Soziale neu denken", in der Kritiker eine indirekte Zustimmung zu Bundeskanzler Gerhard Schröders "Agenda 2010" sahen; Marx gehörte zu den Initiatoren (und bestritt engagiert die Agenda-Nähe). Nun aber gelten die Christen mit ihrer über die Jahrhunderte gewachsenen Soziallehre als Ratgeber in der Not.

Karl Marx ist "ein großer Gegner"

Das Buch des Erzbischofs beginnt mit einem Brief an seinen Namensvetter; schon zu seiner Studentenzeit in den siebziger Jahren in Paris sei er immer wieder auf seinen Namen angesprochen worden, sagt er. Damals musste er erklären, warum ihn weniger mit dem Vater alles Revolutionären verbindet, als die Kommilitonen glaubten. Heute nennt er Karl Marx einen "großen Gegner", auf den er doch große Stücke hält: "Ich schreibe Ihnen, weil mir in letzter Zeit die Frage keine Ruhe lässt, ob es nicht doch zu früh war, endgültig den Stab über Sie und Ihre ökonomischen Theorien zu brechen", heißt es.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Reinhard Marx über Managergehälter denkt und ob er Karl Marx für einen "anonymen Christen" hält.

Natürlich erklärt am Ende Reinhard Marx, dass ihm die Väter der sozialen Marktwirtschaft und der katholischen Soziallehre näher sind als Karl Marx. Zuvor aber hat er den Neoliberalen ordentlich Saures gegeben: Der zu wenig gebändigte Kapitalismus habe die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert, bedrohe den Mittelstand, sei in Gefahr, an der eigenen Gefräßigkeit zugrunde zu gehen.

Ratgeber in der Not: Geistlich und intellektuell gewinnen die Kirchen in der Finanzkrise. (Foto: Foto: dpa)

Damit ist die Linie des Buches schon gezeichnet: Erzbischof Marx beklagt die steigende Armut in der Welt und in Deutschland, er zitiert den heiligen Augustinus, wonach ein Staat ohne Moral nicht mehr ist als eine Räuberbande; er tritt für gerechte Bildungschancen und Arbeitsverhältnisse ein, plädiert für die Stärkung der Familien.

Zu konkreten Fragen will Marx sich nicht äußern

Das ist, flüssig formuliert, die gute alte katholische Soziallehre, die ihren Weg zwischen Kommunismus und ungebremstem Kapitalismus sucht. Wo dieser "dritte Weg" entlang geht, fällt Marx nicht so leicht zu sagen. Der müsse immer wieder neu gefunden werden "zwischen den Leitplanken", die vom Dirigismus abgrenzen und vom Liberalismus. Zu konkreten Fragen, zum Beispiel, was er von der Acht-Prozent-Lohnforderung der IG Metall hält, möchte er nichts sagen.

Es bleiben dann doch einige starke Sprüche des Kirchenmannes und Sozialexperten zu berichten. Im gegenwärtigen Wirtschaftssystem gebe es "Strukturen der Sünde, die Anreiz geben zum Schlechten" und die deshalb verboten gehörten - sogenannte Geierfonds zum Beispiel, bei denen Hedgefonds in Not geratene Firmen übernehmen, um sie zu zerschlagen und aus den Trümmern Gewinn zu erzielen. Oder überzogene Renditeerwartungen - "wenn 25 Prozent als normal gelten, ist das falsch".

Es sei auch "ein Exzess", wenn ein Manager tausendmal so viel verdiene wie ein Arbeiter, "das Zwanzigfache tut es auch". Vor zehn Jahren, so das Fazit von Reinhard Marx, sei der rheinische Kapitalismus von vielen Ökonomen für tot erklärt worden, "als sozialromantisches Überbleibsel der Nachkriegszeit". Im Gegenteil aber bräuchte die Weltgemeinschaft "eine Globalisierung der sozialen Marktwirtschaft", sonst werde sie die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht bewältigen können.

"Spekulation ist Sünde"

"Wilde Spekulation ist Sünde", hat der Münchner Erzbischof dem Magazin Der Spiegel gesagt; die Tageszeitung Die Welt hat ihm dafür die Kopfnote 5 erteilt, weil er damit alle Manager ohne Ansehen ihrer Taten in die Sammelzelle sperre. "Ich will anstoßen, deshalb kann ich auch kritisiert werden", sagt Marx dazu.

Ein Journalist fragt, ob er, Reinhard Marx seinen publizistisch immer noch erfolgreicheren Vorgänger Karl zu den "anonymen Christen" zähle, wie der Theologe Karl Rahner einmal jene Menschen nannten, die sich christlicher verhielten als viele Christen. Darauf will sich der Erzbischof dann doch nicht einlassen. Eine Zwangstaufe für den bekennenden Atheisten und Religionskritiker wäre wohl auch unter die Sünde der Maßlosigkeit gefallen.

© SZ vom 30.10.2008/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: