Biographie von Winfried Kretschmann:Der Philosophenkönig

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Freunde sagen, er sei "der anständigste Mensch, der je Regierungschef wurde". Nur sechs Wochen nach dem Sieg von Grün-Rot in Baden-Württemberg erscheint die erste Biographie von Winfried Kretschmann, die ihn als undogmatischen, gerne philosophierenden und manchmal ziemlich konservativen Grünen zeigt.

R. Deininger

Im Mai 1980 zogen sechs Grüne in den Landtag von Baden-Württemberg ein, die Pioniere einer neuen Partei und ihre ersten Vertreter im Parlament eines Flächenstaats. Darunter war ein junger Biologielehrer, der sich gleich bei der ersten Sitzung im Hohen Haus zu Stuttgart entschuldigen ließ: Er reiste lieber ins Emsland, nach Gorleben, um gegen das dort geplante Endlager für Atommüll zu demonstrieren.

Winfried Kretschmann, der desginierte Ministerpräsident von Baden-Württemberg bedient kaum eine Klischee über die politische Klasse. Manche sagen, er sei eine Klasse für sich. Jetzt ist seine erste Biographie erschienen. (Foto: dapd)

31 Jahre später, am kommenden Donnerstag, soll dieser Winfried Kretschmann nun der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland werden. Die entscheidenden Stimmen bei der Landtagswahl am 27. März dürfte ihm nach der Katastrophe von Fukushima die Glaubwürdigkeit seines Neins zur Atomkraft eingebracht haben.

Selten zuvor ist eine Figur so unvermittelt auf die große politische Bühne getreten wie Kretschmann - auch die Grünen selbst hatten an ihren historischen Sieg bis zuletzt nicht zu glauben gewagt. Und selten zuvor hat ein solcher Auftritt ein ähnliches Staunen entfacht: Der ziemlich schwarze Grüne aus Laiz, einem Dorf auf der Schwäbischen Alb, Hobbygärtner und Hobbyphilosoph, bedient kaum ein Klischee der politischen Klasse. Manche sagen, er sei eine Klasse für sich. Von einem Stuttgarter Parteifreund stammt der übermütig schöne Satz: "Winfried Kretschmann ist der anständigste Mensch, der je in Deutschland Regierungschef wurde."

Einen Menschen, der im Kommunistischen Bund war ("meine radikale Verirrung") und im katholischen Kirchenchor, muss man erklären. Das Autoren-Ehepaar Peter Henkel und Johanna Henkel-Waidhofer hat sich das vorgenommen, unter verschärften Bedingungen: Ihre Kretschmann-Biographie, die erste natürlich, erscheint an diesem Montag, gerade sechs Wochen nach der Landtagswahl. Geschrieben haben sie die 160 Seiten in drei Wochen.

Kretschmanns schnell wechselnde Koalitionsvorlieben

Immer schneller reagieren die Verlage auf aktuelle Ereignisse; den Büchern, die sie dabei produzieren, merkt man die Eile dann meist an. Das ist auch beim Werk der Henkels nicht anders, allerdings nur insofern, als die Schrift auffällig groß ist und es nicht alle Fragen breit und tief beantworten kann. Die wichtigsten Fragen beantwortet es durchaus. Und das nicht nur kundig (beide Autoren sind versierte landespolitische Korrespondenten in Stuttgart), sondern trotz unverhohlenen Wohlwollens auch mit Verweis auf Brüche: Kretschmanns über drei Jahrzehnte recht schnell wechselnde Koalitionsvorlieben machen den Leser fast schwindlig.

Geschrieben ist das alles in munterem Ton, mal im Stil einer Reportage, mal im Stil eines Essays. Das Buch ist eine politische Biographie, gegliedert in thematische Kapitel, etwa über Kretschmanns undogmatische Religiosität oder über seine Liebe zur Natur - einmal brachte er zu einer Debatte über das Waldsterben zwei Zweige mit in den Landtag, einen gesunden und einen kranken.

Solche Anekdoten gibt es reichlich, am schönsten sind die über das Hadern des Realos mit den Fundis im eigenen Lager. Wie er auf einem Landesparteitag, der bei der grünen Anti-Partei noch nicht so heißen durfte, gellend ausgepfiffen wurde, weil er den damaligen CDU-Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder verteidigte. Oder wie ihn grüne Feministinnen von der Bühne jagten, weil er ihren Antrag ablehnte, dass wegen Vergewaltigung bezichtigte Männer selbst ihre Unschuld beweisen sollten. Ganz kurz war Kretschmann mehrmals davor, seine Partei zu verlassen. Jetzt werden beide froh sein, dass er blieb.

PETER HENKEL, JOHANNA HENKEL-WAIDHOFER: Winfried Kretschmann. Das Porträt. Herder Verlag, Freiburg 2011. 160 Seiten, 14,95 Euro.

© SZ vom 09.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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