Bingo! Bibber!:Affen der Angst

Nichts verkauft sich heute so gut wie miserable Bücher über die große Weltverschwörung. Sind wir noch zu retten?

Von Hans Leyendecker

Neunzehn Attentäter! Vier entführte Flugzeuge! Macht 23 - die Geheimzahl der Illuminaten! Und die Addition der Daten 11.9.2001, was ergibt denn die? Auch 23! Bingo! Bibber!

Haben wir da nicht einwandfrei den Salat? Steckt nicht also recht eigentlich der alte Geheimbund hinter den Anschlägen auf New York und Washington? Experten, die es heutzutage noch mehr gibt als schwachsinnige Formate im Fernsehen, würde das natürlich nicht überraschen, die haben es nämlich immer schon gewusst. Immerhin war ja auch der Gründer der Illuminaten, der Hochschulprofessor a. D. Adam Weishaupt, unter dem Tarnnamen George Washington erster Präsident der Vereinigten Staaten. Angeblich. Beziehungsweise: Nicht angeblich, sondern natürlich.

Beweise? Bitte sehr: Weishaupts Konterfei findet sich auf den Dollarnoten. Das ist nicht Weishaupt, sondern Washington? Gott, sind Sie naiv, Weishaupt war doch Washington. Klar!?

Und: Handelt es sich bei Bill Clinton wirklich um Bill Clinton? Interessanterweise hat doch der frühere US-Präsident häufig George Washington erwähnt, der ja wiederum Weishaupt war. War also auch Clinton illuminiert? Ja, schon, oder? Man müsste auch mal rausfinden, was eigentlich aus der Verbindung der Illuminaten zu den Außerirdischen, den "Greys", geworden ist.

Die Außerirdischen sind alte Bekannte von uns. Sie atmen Methan, sondern Schleim ab, haben Facettenaugen und Reptilienschuppen. Verkleidet sitzen sie manchmal bei "Johannes B. Kerner" herum, der hat es nur noch nicht bemerkt. Oder er atmet selbst Methan.

Und war am 11. September 2001 alles ganz anders? Plante die CIA die Attentate? Oder war es doch der israelische Geheimdienst, der Mossad? Oder die aus Vertretern von CIA/Mossad/MI6/Ex-KGB bestehende Weltregierung, die in unterirdischen Bunkern lebt und ohne deren Zustimmung normalerweise sowieso gar nichts läuft? Nicht mal dieser Artikel hätte ohne das Plazet der Weltregierung geschrieben werden können?

Meinen Sie?

Glauben Sie das wirklich?

Geht's noch?

Unablässig werfen Paranoiker, Apokalyptiker und andere Verschwörungs-Junkies in aller Welt Nebelkerzen und jammern anschließend, dass sie durch Nebelschwaden tapern müssen. Sie stellen allerletzte Fragen und legen Wert darauf, dass sie selbst keine Antwort geben müssen. Die Beweislast sollen die anderen tragen.

Zu den geläufigen Gerüchten kommen stetig noch ein paar neue hinzu. Es ist empirisch zu belegen, dass die dümmsten Verschwörungstheoretiker noch nie einen so sensationellen Erfolg hatten wie in im Jahre 2003.

Es ist schick, besonders absurde Fragen zu stellen wie: Kamen George Bush die Anschläge von Washington und New York ebenso gelegen wie Adolf Hitler der Reichstagsbrand? Wurden die Flugzeuge, die in die Twin Towers flogen, aus dem Weißen Haus ferngelenkt?

Hat Jeb Bush, der Bruder des Präsidenten, im Auftrag der Familie wichtiges Beweismaterial beiseite geschafft? Warum gehen die US-Behörden nicht den sachdienlichen Hinweisen der Konspirologen nach, dass mindestens sechs der Attentäter noch leben?

Und warum gibt es eigentlich gleich mehrere Mohammed Attas auf der Welt? Saß denn auch der richtige Atta im Flugzeug?

Solche Fragen stehen in Büchern, die von Deckeln zusammengehalten werden, von sonst allerdings nichts - und die von vormals seriös scheinenden Menschen geschrieben wurden.

Die Spruchweisheit, der zufolge es keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten gibt, erweist sich nach Lektüre dieser Bücher als barer Unsinn. Die Frage an sich, sie ist nicht mehr, was sie war, sie pervertierte über den Umweg der kritischen Nachfrage im allgemeinen Mediensalat und unter Beihilfe gewissenloser Verleger zur totalen Verschwörung.

Für blühende Paranoia aller Art gibt es offenkundig weltweit ein stetig wachsendes, dankbares Publikum. Angstgesteuerte sind darunter, die sich zu Clowns ihrer Panik und vorgeblichen Machtlosigkeit machen lassen, und die dabei an die beiden großen Duos des Existenzialismus erinnern: Vladimir und Estragon sowie Laurel und Hardy.

Ein Buch mit einem Titel, der übersetzt "Der fürchterliche Betrug" heißt, wurde in Frankreich Bestseller. Das Werk des deutschen Konspirologen Mathias Bröckers über den 11. September, das 2002 leider auch bei "Zweitausendeins" erschien, schaffte 31 Auflagen und wurde, wie der Verlag in besinnungslosem Stolz beteuert, sogar in "so exotische Sprachen wie Bahasa Indonesia" übersetzt.

Der ehemalige taz-Redakteur Mathias Bröckers hat in diesen Tagen ein neues Buch aufgelegt, das wiederum viele Käufer finden wird. Es würde ihnen reichen, wenn nur ein Bruchteil der Behauptungen stimmten, auf Details kommt es eigentlich gar nicht an. Durch Urteilsvermögen wird diese Art Diskussion nicht getrübt.

Andreas von Bülow, immerhin ein ehemaliger SPD-Staatssekretär, erweist sich mit einem Buch, das wegen seiner schlichten Einfalt viele Kritiker und alte Genossen vor Schreck verstummen lässt, aber ein Verkaufsschlager ist, als Großmeister der paranoiden Form.

Bülows neues Buch über den 11. September wirft wichtige Fragen auf, aber andere als die Verschwörer-Gemeinde meint: Wie nämlich konnte Bülow Staatssekretär werden? Und: Was hat Bülow in seiner Zeit im Amt angerichtet?

Dass überall die Paranoia nistet, dass sich angebliche Wahrheitssucher einbilden, sie seien im Mittelpunkt der Welt und könnten über Tatsachen urteilen, ist ein digitales Ärgernis. Über die Suchmaschinen Google, Lycos und Yahoo werden im Internet die wildesten Theorien verbreitet, und jeder Fund ist eine neue Quelle für die vielen Quellensucher, die irgendeine Version suchen, die anders klingt als die offizielle.

Niemand kann das dem Medium vorwerfen. Das Internet ist neutral - es bildet nur fulminant die Gesamtgeistesverfassung seiner Nutzer ab, und die gibt zu Sorgen erheblichen Anlass.

Es geht hier um unzählige Hinweise, und sie sind gleichwohl alle nebensächlich. Jedes Gespräch mit Zeugen könnte das Gebäude der erfundenen Wahrheit erschüttern.

Es bringt aber nichts, nachzuweisen, dass Paranoiker die Unwahrheit verbreiten. Sie erklären gewöhnlich, dass es auf diesen und jenen Punkt gar nicht ankomme. Auf die große Linie komme es an, und die löst sich dann in viele kleine Striche auf. Wer mit diesen Amokläufern um die Wette rennt, muss wegen Seitenstechens leider aufgeben.

Aber es ist schon Chuzpe, dass Leute wie der Journalist Bröckers über Medien räsonieren, die angeblich nicht die Wahrheit erkunden wollten. Die etablierten Medien werden von Verschwörungstheoretikern ignoriert, denn die etablierten Medien - und so natürlich auch die Süddeutsche Zeitung oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung - befinden sich entweder in der Hand der Geheimdienste oder gar der Weltregierung. (Schade, dass weder Geheimdienste noch Weltregierung in der Lage waren, die allgemeine Anzeigenkrise zu verhindern, die sie aber andererseits zuvor vermutlich selbst erfunden hatten, nicht wahr?)

Wäre es anders, müssten die Blattmacher nach der Logik der Paranoiker endlich zugeben, dass geheime Mächte die Anschläge vom 11. September in Auftrag gegeben haben, um an billigeres Öl zu kommen, dem Islam den Krieg zu erklären, der Bush-Familie noch mehr Einfluss zu verschaffen, die Weltherrschaft der USA zu festigen und Abrüstung zu verhindern.

Beweise? Nein. Verschwörungstheoretiker beziehen sich auf Verschwörungstheoretiker, und daraus wird dann eine Quelle. Dass ein Lügner an der Spitze der US-Regierung stehen soll, beflügelt die Phantasie der Apokalyptiker und Wahrheitsverdreher. Antipathien gegen den Texaner George W. Bush lassen das Bild vom Trickser entstehen, dem sowieso alles zuzutrauen ist.

Es gibt eine Hermeneutik des Verdachts, die nur schwer zu ertragen ist, weil ein Verdacht nahrhaft, aber schwer zu entwaffnen ist.

Die Verschwörungs-Junkies schaffen sich so ihre eigene Wirklichkeit. "Wozu braucht die Bourgeoisie die Verzweiflung?", hat Georg Lukacs 1948 gefragt. Sie hat Langeweile, braucht den Verdacht, den Thrill, um das allgemeine Missbehagen ausleben zu können.

Die Bild-Zeitung, das Hausblatt für Paranoiker aller Art, fragt, wenn die Halbprominenz gerade mal nicht in dem Blatt über das Leben lamentiert und der Mars uns gerade mal nicht "versext": "War Hitler Buddhist?" Oder: "War Hitler eine Frau?"

Die Antipathie gegen Bush, die Lügen über den Kriegsgrund im Irak haben der Paranoia-Klientel noch einmal zusätzlich Auftrieb verschafft. Unter den Verschwörungs-Freunden, die sich auch auf Veranstaltungen treffen, sind derangierte Linke wie Rechte, und sie werden meist jeweils durch einen plumpen Antiamerikanismus zusammengehalten.

Michael Moore, der mit "Bowling For Columbine" einen schönen, weil vorgeblich naiv in der Realität herumfragenden Dokumentarfilm gemacht hat, ist nun ihr Prophet.

In seinem außerordentlich dummen und mit Verschwörungstheorien vollgestopften Buch "Stupid White Men" macht er die große weite Welt in einem ganz einfachen und seinem Erzfeind George W. Bush nicht unähnlichen Stil zu seiner kleinen Welt:

Ja, nein, schwarz, weiß. Kein Wunder, dass das Buch auch in Deutschland von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken ist. In diesen Kreisen ist der spielerische Schizo die Norm.

Argumentative Schwindler wie Bröckers, Bülow oder der scheinheilige Moore sind soziologisches Lackmuspapier. Es lassen sich an ihnen die Auffälligkeiten einer Gesellschaft erkennen. 19 Prozent der Bundesbürger halten es nach einer Forsa-Umfrage für möglich, dass die US-Regierung die Terroranschläge in Auftrag gegeben hat.

Ist jeder fünfte Deutsche gaga? Sogar 31 Prozent der unter 30-Jährigen glauben an die ganz, ganz große Konspiration.

Die Apokalypse, klar, ist eine der ältesten Vorstellungen der Menschheit. Vor der ersten Jahrtausendwende gab es Voraussagen von Sternensturz und Weltenbrand. Die Menschen lebten angesichts der Apokalypse des Johannes in Erwartung der wirklichen Endzeit.

Heute ist alles nur noch Spiel. In den 80er Jahren wurde mit Filmen wie "War Games" und "The Day After" Untergang gespielt, die Evangelische Akademie Hofgeismar bot damals Tagungen mit dem Titel "Freizeit in der Endzeit" an.

Die Apokalypse gehört also längst zum täglichen ideologischen Handgepäck. Pearl Harbor ist deshalb eine Erfindung der Amerikaner. Der Kennedy-Mord? Drei Stunden lang dauerte das Film-Opus "JFK" von Oliver Stone, und es war eine sinistre Verschwörung lupenreinster Art: Finstere Dämonen hatten dem Land die Zukunft gestohlen.

Angeblich war der Mord eine Kabale von Mafiagangstern, FBI, US-Militärs und Geheimdienstlern. Es gab in den vergangenen vierzig Jahren bizarrste Verschwörungstheorien um das Ende von JFK, am Ende aber kam stets heraus, dass es so war, wie es war: Ein größenwahnsinniger Einzelgänger namens Lee Harvey Oswald hatte den Präsidenten ermordet. Der Tod ist so banal.

Dass der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel in Genf ermordet wurde, dass Prinzessin Diana einem mörderischen joint venture des britischen Geheimdienstes MI5 und des Buckingham Palace zum Opfer fiel, ist für Verschwörungstheoretiker eine Selbstverständlichkeit.

Dass die Erde keine Kugel, sondern flach ist, beweist immer wieder aufs neue die "Flat Earth Society" mit topographischer Beweisführung. Als sicher gilt in diesen Kreisen auch, dass Adolf Hitler am Ende des Zweiten Weltkrieges durch ein Loch im Eis in die hohle Erde gerutscht ist, was als Beleg für die Richtigkeit der Lehre von der hohlen Welt gewertet wird.

Dass das Raumfahrtprogramm der USA nur ein Bluff ist und die Szenen auf dem Mond vor Filmkulissen inszeniert wurden, ist bei etlichen Wahrheitssuchern eine alte Gewissheit.

Stimmt es, dass Elvis noch lebt? Jährlich wird er alleine in den USA zigtausendmal gesehen. Was aber - bisher zumindest - immer damit zusammenhing, dass viele Amerikaner dick sind und Elvis auch dick war, aber nicht jeder dicke Amerikaner deswegen heute Elvis ist.

So, und was ist nun aus Saddam Hussein geworden? Lebt er, nach einer Gesichtsoperation, als Rentner im Versteck in Florida? Oder ist er tot, und seine vielen Doppelgänger werden von irakischen Wissenschaftlern geklont? Man wird doch mal fragen dürfen?

Nein, bitte nicht!

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