Tod von Billy Graham:Abschied von Amerikas Pastor

Vor der Beerdigung von Billy Graham liegt der Sarg aufgebahrt im Kapitol

Ein Kirchenmann, aufgebahrt unter der Kuppel des Parlaments: Das passt eigentlich nicht zur Trennung von Staat und Religion, wie die Gründerväter der USA sie im Sinn hatten. Doch momentan scheinen sich nur wenige daran zu stören.

(Foto: AP)
  • Billy Graham hat die evangelikalen Christen in den USA zu einer großen, einflussreichen Glaubensrichtung gemacht.
  • Jetzt ist er im Alter von 99 Jahren gestorben und liegt aufgebahrt im Kapitol.
  • Graham ist der erste Religionsführer in den Vereinigten Staaten, der diese Ehre erhält.

Von Alan Cassidy, Washington

Vor dem Kapitol stehen sie in einer Schlange, die länger ist als zwei Häuserblocks. Junge sind da und Alte, Weiße und Schwarze, Geschäftsleute in Anzügen und Mütter mit Kindern am Arm. Auf den ersten, schnellen Blick könnten diese Menschen für ein Konzert anstehen oder für ein neues iPhone, doch es gibt Hinweise, die mehr verraten. "Ich schäme mich nicht für das Evangelium", steht auf dem T-Shirt eines Mannes. Eine Frau im Rollstuhl ruft: "Ich liebe Jesus, aber Junge, Billy liebe ich auch!" Amerika nimmt Abschied vom Evangelisten Billy Graham, der vergangene Woche mit 99 Jahren gestorben ist. Tausende sind gekommen.

Ein Kirchenmann, aufgebahrt im Kapitol: Das passt eigentlich nicht so richtig zur Trennung von Staat und Religion, wie sie die Gründerväter der USA im Sinn hatten. Graham ist der erste Religionsführer, der diese Ehre erhält. Einige Organisationen haben das kritisiert, aber hier in Washington stört sich an diesem Mittwoch niemand daran. Nicht Präsident Donald Trump und die Mitglieder des versammelten Kongresses, die kurz zuvor an Grahams Sarg Ansprachen hielten. Und auch nicht all die Menschen, die zwei Stunden warten müssen, um diesen Sarg unter der Kuppel des Parlaments zu sehen. "Graham war ein Staatsmann", sagt Paul Myers, ein Rentner aus Virginia. "Wenn einer diese Ehre verdient, dann er."

Myers ist katholisch, einen Großteil seiner Freizeit widmet er seiner Pfarrei in Manassas. Dass einer wie er hier ist, sagt etwas aus über die Ausstrahlung, die Graham hatte. "Amerikas Pastor" war ein Evangelikaler, der die wörtliche Auslegung der Bibel und die persönliche Bekehrung über alles stellte, aber er erreichte Amerikaner aller christlichen Konfessionen. Vor allem aber machte er die Evangelikalen zur dominanten Glaubensrichtung in den USA. Ein Viertel der Amerikaner gehört heute einer evangelikalen Kirche an. Sie sind ein politischer Machtfaktor - aber nicht unbedingt so, wie sich das Graham vorgestellt hatte.

Als Graham zu predigen begann, waren die Evangelikalen noch gespalten. Er vereinte sie mit seinem Charisma und einer Botschaft, die sich von der Parteipolitik fernzuhalten versuchte. Er tat das nicht von Anfang an: Seine antikommunistischen Tiraden in den 1950ern waren heftig, seine Nähe zu Präsident Richard Nixon war außergewöhnlich. In späteren Jahren aber sagte er sich davon los. Evangelisten, sagte er, "müssen aus der Mitte predigen, damit sie alle Leute erreichen, Rechte wie Linke". Graham ging auch auf Distanz, als in der Zeit Ronald Reagans fundamentalistische Verbände wie die "Moral Majority" den Kampf gegen die Abtreibung ins Herz der Republikanischen Partei trugen.

80 Prozent der Evangelikalen haben Trump gewählt und halten laut Umfragen weiter zu ihm

Heute gibt es keine Wählergruppe, die geschlossener hinter den Republikanern steht als die Evangelikalen: 80 Prozent wählten Trump und halten laut Umfragen weiter zu ihm. Trotz all der Lügen, trotz all der Skandale und Affären, von denen in den vergangenen Wochen wieder viel die Rede war. Man sieht das gut bei Franklin Graham, dem ältesten Sohn Billys, der auch in religiöser Hinsicht sein Nachfolger ist. Er sieht in Trumps Wahl und Wirkung im Weißen Haus "Gottes Hand" am Werk, und er steht damit nicht allein. Noch 2011 sagten 30 Prozent der rechten Christen, dass sie bei ihren Politikern moralische Defizite dulden würden, wenn diese dafür ihre Anliegen durchsetzten. 2016 war dieser Anteil auf 72 Prozent gestiegen.

Illustriert hat diesen Wandel kürzlich der konservative Talkshow-Moderator Dennis Prager in einem Aufsatz in der Zeitschrift National Review. Im Alten Testament stehe schließlich auch, dass Gott die Hure Rahab auserwählt habe, die es den Israeliten ermöglichte, ins Gelobte Land zu ziehen. Das Gelobte Land, das ist in Pragers Lesart ein Amerika, in dem es keine Abtreibungen gibt und keine Homo-Ehen, ein Land, in dem für christliche Organisationen Ausnahmen gelten bei Gleichstellungsgesetzen und bei den Steuern. Die Hure, das ist dann Trump, der all dies möglich macht.

Tatsächlich hat Trump einiges dafür getan, um die Evangelikalen auf seiner Seite zu behalten. Dazu gehört die große Zahl konservativer Richter, die er ernannt hat. Dazu gehört auch die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels. Und dazu gehören kleinere Dinge wie der ausschließlich mit Evangelikalen besetzte Beirat aus Pastoren im Weißen Haus. Eben bewarb Trump auf Twitter ein Buch, das dieser Tage erschienen ist, es trägt den Titel "Der Glaube des Donald Trump" und handelt unter anderem davon, wie der junge Donald mit seinem Vater die Predigten Billy Grahams am Fernsehen verfolgte.

Und doch gibt es einige, die sich an all dem stören. Eine von ihnen ist Grahams Enkelin Jerushah Armfield. Sie gab kurz vor dem Tod ihres Großvaters ein Interview auf CNN, in dem sie sich über die fehlende Distanzierung der Evangelikalen von Trump beklagte: Es sei falsch, dass ausgerechnet der als Aushängeschild evangelikaner Christen hochgehalten werde, sagte sie. Ein wahrer Christ müsse Reue zeigen und sich für seine Fehler entschuldigen, sagte sie. Und das sei etwas, das dieser Präsident noch nie getan habe.

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