New York:Bill de Blasio: Der Bürgermeister, der zu nah an seinen Bürgern ist

FILE PHOTO:    New York Mayor Bill de Blasio speaks regarding the U.S. President Donald Trump's federal budget proposal with New York Police Department Commissioner James O'Neill at city hall in New York

Alter und höchstwahrscheinlich neuer Bürgermeister von New York City: Bill de Blasio.

(Foto: REUTERS)
  • Drei Wahlen in den USA: New York City bestimmt einen neuen Bürgermeister, Virgina und New Jersey wählen einen Gouverneur.
  • New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio darf auf einen deutlichen Sieg gegen seine republikanische Herausforderin Nicole Malliotakis hoffen.
  • Angeblich denkt de Blasio bereits daran, sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat 2020 in Stellung zu bringen.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Wer sich als New Yorker persönlich von der Schaffenskraft seines Bürgermeisters überzeugen will, hat immer morgens zwischen neun und elf Uhr Gelegenheit dazu. An fast jedem Vormittag hält vor einem sechsstöckigen Backsteinbau in Brooklyn ein schwarzer Sportgeländewagen. Bill de Blasio springt heraus, verschwindet für kurze Zeit im Keller des Gebäudes und taucht dann wenig später im ersten Geschoss wieder auf - in Jogginghose und T-Shirt.

In den nächsten eineinhalb Stunden wird der drahtige 56-Jährige mehrere Kilometer auf dem Laufband abspulen, Gewichte stemmen und auf dem Heimtrainer strampeln. Während des Trainings flitzen die Finger abwechselnd über die Tastaturen des Privat- und des Diensthandys, auf dem kleinen Bildschirm vor ihm läuft der Nachrichtenkanal MSNBC oder der Lokalsender New York 1. Seit vielen Jahren kommt de Blasio, der lange in der Nachbarschaft wohnte, ins Familien-Fitnessstudio des YMCA, daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass er jetzt der Bürgermeister seiner Mitsportler ist. Bis heute kann ihn jeder ansprechen - im Studio, in der Gemeinschaftsumkleide, unter der Dusche gar. Starallüren hat der Mann nicht.

Geschieht kein Wunder, dann wird der Demokrat bei den Wahlen an diesem Dienstag für weitere vier Jahre im Amt bestätigt werden. Am gleichen Tag finden Gouverneurswahlen in zwei Bundesstaaten statt: Während ein Sieg des Demokraten Phil Murphy in New Jersey als sicher gilt, bangt die Oppositionspartei um Virginia. Bei der Präsidentenwahl 2016 gewann Hillary Clinton dort, und angesichts der Unpopularität von US-Präsident Trump wäre eine Niederlage von Kandidat Ralph Northam ein Desaster.

Der tägliche Besuch im Fitnessstudio ist zum Politikum geworden

In New York City lag Bill de Blasio den letzten Umfragen zufolge um bis zu 44 Prozentpunkte vor seiner republikanischen Herausforderin Nicole Malliotakis - allerdings nicht wegen, sondern eher trotz seines Höchstmaßes an Bürgernähe. Sein täglicher Besuch im "Y" nämlich ist längst zum Politikum und beliebten Tratschthema geworden. Ist ja schön, einen so sportlich-fitten Regenten zu haben, sagen sich viele Menschen, aber selbst Wohlmeinende fragen: Wann arbeitet der Mann eigentlich?

Als de Blasio 2013 antrat, da galt er vielen New Yorkern als linksliberaler Hoffnungsträger, als eine Art Barack Obama ohne Versöhnermission. Heute ließe sich sagen: als Bernie Sanders mit Macher-Gen. Tatsächlich packte der hochaufgeschossene, schlanke Mann mit den graumelierten Haaren nach seinem Wahlsieg viel an - doch die meisten Projekte gerieten ebenso schnell ins Stocken. Die bezahlbaren Wohnungen, zu deren Bau er Immobilienentwickler verpflichtete, waren nicht bezahlbar, jedenfalls nicht für die, die am dringendsten Hilfe brauchen. Die Zahl der Obdachlosen stieg sogar.

Die Justizreform kam nur schleppend voran, die Schließung des düsteren Gefängnislochs Rikers Island schob er mit einem Zehn-Jahres-Plan auf die lange Bank. Vor allem aber nehmen die Verspätungen bei der Nahverkehrsgesellschaft MTA ständig zu und - schlimmer noch: die Unfälle. Zwar ist de Blasio dafür nur bedingt verantwortlich, da die MTA zwar der Stadt New York gehört, Busse und Bahnen aber vom gleichnamigen Bundesstaat New York betrieben werden. Es war der Qualität des Nahverkehrs aber gewiss nicht dienlich, dass sich de Blasio vom ersten Tag im Amt an ein Dauerscharmützel mit Gouverneur Andrew Cuomo lieferte. Die vermeintlichen Parteifreunde gönnen sich bis heute nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.

Natürlich kann der Bürgermeister auch Erfolge vorweisen, die weiter gesunkene Verbrechensrate etwa, die Ausweitung des Rechts auf einen Kita-Platz oder die Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für alle Betriebe mit mehr als fünf Angestellten (mehr dazu hier). So richtig Fuß fassen aber konnte er in keinem gesellschaftlichen Lager: Den Reichen der Stadt gilt er unverändert als Linker, die Linken wiederum halten ihn für einen Reichenversteher, der nichts oder doch zu wenig gegen Gentrifizierung und die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus vielen Vierteln tut. Um bei seinen Kernwählern - Schwarze, Hispanics, linksliberale Weiße - zu punkten, wärmte de Blasio zuletzt seine alte Idee einer Millionärssteuer auf, mit deren Einnahmen er die U-Bahn sanieren will. Doch ob die Steuer jemals kommt, ist ebenso offen wie die Frage, ob ihr Initiator einmal eine Legislaturperiode ohne Spendenskandal hinbekommt.

Dass der Amtsinhaber in den jüngsten Meinungsumfragen dennoch teilweise 60 Prozent erreicht, während Malliotakis nicht einmal in die Nähe von 20 kommt, ist weniger seiner Stärke als ihrer Schwäche geschuldet. Die Republikaner haben in New York traditionell keinen leichten Stand, Malliotakis ist zudem außerhalb ihres Heimatbezirks Staten Island praktisch unbekannt. Vor allem aber wird sie den Schatten von Präsident Donald Trump nicht los, der in der größten US-Stadt noch unbeliebter ist als in den anderen demokratischen Hochburgen des Landes.

Ein echter Wahlkampf hat deshalb gar nicht erst stattgefunden. Die Fernsehdebatten der Kandidaten wurden kaum wahrgenommen, Wahlplakate sucht man im Straßenbild vergeblich. Auch der jüngste Terroranschlag in Manhattan spielte keine Rolle. Zwar kam das Thema in der letzten Debatte kurz zur Sprache, Malliotakis aber widerstand der Versuchung, politisch Kapital daraus zu schlagen. Das gesamte Bürgermeisterrennen ist so langweilig, dass Experten fürchten, die ohnehin schon miserable Wahlbeteiligung von 24 Prozent aus dem Jahr 2013 könnte noch einmal unterboten werden.

De Blasio, so ist immer wieder zu lesen, denkt dennoch schon weiter - angeblich sieht er auch das Weiße Haus als denkbares Domizil an. Dabei käme ihm entgegen, dass innerhalb der Demokratischen Partei bisher weit und breit kein Favorit für die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2020 in Sicht ist. Es wird allerdings stark von seinem weiteren Werdegang in New York abhängen, ob es dem Nachfahren deutscher und italienischer Einwanderer gelingt, sich in Stellung zu bringen. Das Magazin Politico legte jüngst eine Liste der elf interessantesten und vielversprechendsten Bürgermeister der USA vor, die meisten von ihnen Demokraten. Bill de Blasio war nicht darunter.

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