Bildstrecke:Bremser, Kritiker, Antreiber - Köpfe des EU-Verfassungsstreits

Die deutsche EU-Ratspräsidentin Angela Merkel muss beim Brüsseler Gipfel nicht nur Polens Präsidenten erweichen: Die Kritiker im Verfassungsstreit sitzen auch in Prag, London und Den Haag. Eine Übersicht über die Protagonisten des anstrengenden Ringens.

7 Bilder

Lech und Jaroslaw Kaczynski

Quelle: SZ

1 / 7

Die Zwillinge, die Polen regieren, werden mit ihrer Quadratwurzel-Forderung für lange Gipfelnächte sorgen. Lech Kaczynski, der Präsident, wird statt seines Bruders Jaroslaw nach Brüssel reisen - angeblich ein gutes Zeichen, gilt Lech doch als konzilianter.

Manches spricht dafür, dass Warschau in Brüssel einlenkt, hieß es doch aus Regierungskreisen, Polen sei zum Kompromiss bereit. Allerdings haben sich die Kaczynski-Brüder den Handlungsspielraum selbst eingeschränkt: Innenpolitisch peitschten sie die Causa EU-Verfassung - mit kräftiger Hilfe der heimischen Presse - zu einem Kampf gegen die deutsche Ratspräsidentschaft hoch.

Für das Abstimmungsverfahren à la Quadratwurzel lohne es sich "zu sterben". Ein Regierungsberater sagte, eigentlich favorisierten viele andere EU-Staaten auch den von Polen vorgeschlagenen Abstimmungsmodus. Nur trauen würde sich niemand - außer Tschechien.

Foto: dpa

Mirek Topolanek

Quelle: SZ

2 / 7

In Prag heißt der Regierungschef Mirek Topolanek. Zwar sympathisiert seine Regierung mit der polnischen Quadratwurzel-Variante, ein Veto in dieser Frage ist aber nicht zu erwarten. Der Tscheche priorisiert etwas anderes: Er will unbedingt verhindern, dass zu viele nationale Kompetenzen nach Brüssel übertragen werden. Die EU müsse sich auf das Wesentliche beschränken und beispielsweise eine einheitliche Energiepolitik konzipieren, formulierte Außenminister Schwarzenberg. Prag stemmt sich gegen einen ohnehin unrealistisch gewordenen Verfassungsgedanken und gegen die Übernahme der Grundrechtecharta ins Vertragswerk.

Dass Topolanek und nicht der deutlich EU-kritischere Staatspräsident Vaclav Klaus zum Gipfel reist, wurde jedoch als Zeichen tschechischer Kompromissbereitschaft gewertet. Im Prager Kabinett wurde eine "Flexibilität in beide Richtungen" beschlossen: EU-Länder sollen nicht nur Kompetenzen abgeben, sondern künftig auch Zuständigkeiten zurück erhalten aus Brüssel.

Foto: AFP

Jan Peter Balkenende

Quelle: SZ

3 / 7

Vom Befürtworter zum Kritiker: Zunächst hatte Jan-Peter Balkenende seine niederländischen Landsleute vor der Ablehnung der EU-Verfassung eindringlich gewarnt. Nachdem das Referendum 2005 negativ ausfiel, vollzog der Premier die Wende: Man müsse auf die Angst der Bürger eingehen, die EU könne sich zum Superstaat mausern.

Auch Balkenende will die Grundrechtecharta nicht in einem künftigen Vertragswerk haben, den Verfassungsbegriff lehnt er ab. Beide Punkte spielen in Brüssel ohnehin keine Rolle mehr.

Problematisch werden könnte Balkenendes Ruf nach einer "roten Karte": ein Vetorecht für die nationalen Parlamente gegen EU-Gesetze.

Foto: AFP

Tony Blair und Gordon Brown

Quelle: SZ

4 / 7

Tony Blair (li.) hat in Brüssel seinen letzten Auftritt auf der EU-Bühne als britischer Premierminister, bevor sein designierter Nachfolger Gordon Brown das Ruder in 10, Downing Street übernimmt.

Offiziell liegen beide Labour-Politiker auf einer Linie, tatsächlich ist dem nicht so: Das Brown-Lager befürchtet, Blair könnte beim Gipfel britische Interessen vernachlässigen, zumal er in den Gedankenspielen von Frankreichs Staatschef Sarkozy als erster EU-Präsident in Frage kommt.

Es oblag Außenministerin Margaret Beckett, Londons "rote Linien" für den Gipfel zu verkünden: die Grundrechtecharta dürfe nicht in den Vertrag, die EU keinen eigenen Rechtsstatus erhalten, EU-Recht nicht britisches Recht und britische Gerichte ersetzen. Außerdem soll das Vereinigte Königreich künftig nicht gezwungen werden können, Steuer- und Arbeitsrecht aufgrund von EU-Mehrheitsentscheidungen zu verändern.

Außerdem will London die Rolle des künftigen europäischen Außenministers noch weiter beschneiden. Stieß sich die Regierung Blair bislang nur am Titel, verlangt sie nun eine deutliche Herabstufung seiner Vollmachten.

Optimisten hoffen, dass die harte Linie nur ein Manöver ist, um in anderen Punkten Zugeständnisse zu erzielen. Streng genommen gibt es vermutlich nur eine "rote Linie" für London: Es darf kein Referendum über den Verfassungsvertrag notwendig werden - schließlich gilt es als sicher, dass die europaskeptischen Briten alles ablehnen würden.

Egal, was Blair in Brüssel entscheidet, sein Nachfolger wird es ausbaden müssen. Zwar würde sich der scheidende Premier gerne mit einem Erfolg verabschieden - "aber nicht um jeden Preis", wie Gordon Brown unüberhörbar feststellte.

Foto: AFP

Jean-Claude Juncker

Quelle: SZ

5 / 7

Jean-Claude Juncker gehört zu den Kritikern der Kritiker: Luxemburgs Ministerpräsident hat deutliche Worte zu den Positionen Londons und Warschaus gefunden. Der Erfolg des Brüsseler Gipfels sei nicht nur durch Polens Beharren auf ihrer "Quadratwurzel" gefährdet. Sondern auch wegen des britischen Neins zur Verankerung der europäischen Grundrechtecharta in den EU-Verträgen. Beide Probleme seien "schwer zu stemmen", sagte Juncker. "Die Chancen für eine Einigung stehen bei 50 zu 50."

Der Luxemburger setzte seinerseits unverblümt eine Drohung in die Welt: Er machte eine EU-Reform zur Bedingung für die Aufnahme neuer Mitglieder. "Das ist völlig eindeutig", sagte er - und machte seinerseits Druck auf Polen und Großbritannien. Denn beide Länder gehören zu den stärksten Befürwortern der Aufnahme neuer Mitglieder.

Juncker wandte sich im Streit um die Stimmengewichtung an die Polen, die fürchten, Deutschland könnte zu einflussreich werden: "Deutschland ist der beste Nachbar, den wir je hatten", sagte der Luxemburger. Auch die polnische Seite sollte erkennen, dass sich alle deutschen Kanzler in den vergangenen Jahrzehnten für die polnische Interessen eingesetzt hätten.

Foto: AFP

Nicolas Sarkozy

Quelle: SZ

6 / 7

Brüssel ist der erste EU-Gipfel für Nicolas Sarkozy. Zum Amtsantritt hatte Frankreichs neuer Präsident die deutsch-französische Freundschaft als "heilig" bezeichnet - und sich entschlossen gezeigt, die Europa-Starre zu beenden, an der sein Vorgänger Chirac eine Mitschuld trägt.

Sarkozy will die Institutionen der EU reformieren - mit einem vereinfachten Vertrag: "Wir brauchen einen EU-Präsidenten, der für zwei Jahre gewählt wird, und einen EU-Außenminister, auch wenn dieser anders heißen wird", formulierte Sarkozy.

Mit dem neuen Vertrag will er Teile der von Franzosen und Niederländern per Referendum abgelehnten Verfassung retten, aber nurmehr das Parlament und nicht noch einmal das Volk darüber abstimmen lassen.

Auch müsse die Beschlussfähigkeit der EU verbessert werden, sagte Sarkozy, der das Prinzip der Doppelten Mehrheit unterstützt. Zur polnischen Quadratwurzel-Variante hat Sarkozy eine klare Meinung: "Damit bin ich nicht einverstanden." Bei einem Besuch in Warschau versuchte der Franzose, die Kaczynski-Zwillinge zum Einlenken in der Causa zu bewegen - und blitzte ab.

Foto: AP

Angela Merkel

Quelle: SZ

7 / 7

Knifflige Aufgabe zum Schluss: Hinter Angela Merkel liegt ein halbes Jahr deutscher EU-Ratspräsidentschaft. Am Ergebnis des Brüsseler Gipfels muss sich die Bundeskanzlerin messen lassen.

Merkel hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie so viel wie möglich von dem abgelehnten Verfassungsentwurf retten will. Dabei weiß sie mindestens 20 der 27 EU-Staaten hinter sich, die wie sie zu weitreichenden Kompromissen bereit sind.

Der Entwurf, der in Brüssel auf den Tisch kommt, ist Merkels Vorschlag an die anderen: Er kommt jenen entgegen, die eine nüchterne Reform wollen: Keine Symbole, keine Gesten und die Charta der Grundrechte wird wohl auch nicht mehr wörtlich aufgenommen werden. Allerdings findet sich das institutionelle Paket unverändert wieder - vermutlich zum Ärger der Polen.

Gelingt keine Einigung auf einen neuen EU-Vertrag, der das Europa der 27 funktionstüchtig macht, dann ist die dringend benötigte Reform auf absehbare Zeit gescheitert.

Merkel ist sich der Tragweite bewusst und beschwor bei ihrer Ankunft in Brüssel den Kompromiss: "Ich hoffe, dass alle in dem Geist arbeiten werden, dass wir ein faires Übereinkommen bekommen".

Texte: Thomas Urban, Wolfgang Koydl, Klaus Brill, Paul-Anton Krüger, Martin Winter und Oliver Das Gupta

Foto: AP

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: