Bilder des Wochenendes:Freunde und Helfer

Niemand hat mit so vielen Flüchtlingen gerechnet. Trotzdem werden die Menschen in München schnell versorgt.

Von Florian Fuchs und Tom Soyer

Wenn mir vor zwei Tagen jemand gesagt hätte, dass wir 7000 Flüchtlinge aufnehmen müssen, hätte ich gesagt: geht nicht. Jetzt ist es doch gegangen", sagt Christoph Hillenbrand, der Präsident der Regierung von Oberbayern, einer staatlichen Mittelbehörde, die dem bayerischen Innenministerium angegliedert ist. Er sagt das ohne Anflug von Triumph, dafür mit der Genugtuung, dass Behörden und freiwillige Helfer in München neue Maßstäbe gesetzt haben für eine Willkommenskultur der Taten. Größer könnte der Kontrast zur Teilnahmslosigkeit der ungarischen Regierung nicht sein: In München wenden viele engagierte Menschen das Schicksal tausender syrischer Flüchtlinge zum Guten. Registrierungsprozeduren später - erst bekommen alle Essen, Trinken, medizinische Versorgung, können sich nach wochenlangen Strapazen ausruhen - und bejubeln ihr neues Gastland für diese Aufnahme.

Nicht nur auf sie, auch auf die vielen ausländischen Journalistenteams macht die reibungslose humanitäre Hilfe tiefen Eindruck, weil es in München gelingt, mit einer "überaus dynamischen Lage", wie es die Bundespolizei beschreibt, ruhig, effizient und immer im Sinne der Flüchtlinge umzugehen. Die Regierung von Oberbayern hat hinter den Kulissen wohl viel optimiert, seit am vergangenen Montag die ersten Syrer aus Ungarn via Österreich durchgelassen wurden bis München. Der wichtigste Schlüssel zu diesem Erfolg ist einer, den die Bundesländer schon lange verabredet haben: der Königsteiner Schlüssel, der die Verteilung von Asylbewerbern auf die Länder je nach Einwohnerzahl und Steuerkraft regelt. Den hat die Bundesrepublik aber vermutlich noch nie so konsequent wie jetzt angewandt: Die Staatskanzleien haben am Samstagmorgen verabredet, dass München nicht im Stich gelassen wird und die Bundesländer sofort ihren Flüchtlingsanteil aus München übernehmen. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter, die Polizei und alle Beteiligten sind sehr froh darüber. Denn alle wissen: Das ist erst der Anfang. Nur so kann die Flüchtlingsfrage bewältigt werden.

Baden-Württemberg holt die Asylbewerber inzwischen selbst mit Bussen an der Grenze ab

6870 vor allem syrische Flüchtlinge kamen am Samstag in München an, am Sonntag bis Mitternacht noch einmal 13 000, mehr als 20 000 also am Wochenende. Für diesen Montag wurden wieder Tausende erwartet. Dank der Aufnahmebereitschaft anderer Bundesländer ging es für viele von ihnen sofort weiter: Zwei Züge mit 900 und 600 Flüchtlingen fuhren nach Dortmund, nach Braunschweig brachte ein Zug 650 Asylbewerber, in Ingelheim kamen 460 an, von denen 350 in Rheinland-Pfalz und 110 im Saarland aufgenommen werden. Ein österreichischer Sonderzug mit 470 Flüchtlingen wurde gleich ganz "humanitär gekapert", scherzte Regierungspräsident Hillenbrand: Den übernahmen deutsche Lokführer am Münchner Ostbahnhof und steuerten ihn nach Saalfeld in Thüringen, von wo die Flüchtlinge auf Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verteilt werden. Vier Busse mit 200 Syrern fuhren nach Hessen, ein ICE mit 900 Flüchtlingen nach Kiel, Baden-Württemberg holt Asylbewerber nun selbst mit Bussen an der österreichischen Grenze ab.

In München hoffte man, dass die Tausenden, die abends kamen, weiter nach Rheinland-Pfalz, Berlin und Hessen reisen könnten.

Viel Lob gab es für die Bahn in Österreich wie Deutschland, weil sie trotz der akuten Reisezeit Sonderzüge samt Personal auftreibt. Bei 40 000 Zügen, die auf den 33 400 Schienenkilometern im deutschen Netz verkehren, sei zudem das "Eintakten sportlich", sagte ein Sprecher der Bahn-Zentrale in Berlin. Entsprechend kurz ist oft die Vorlaufzeit der Informationen für die Helfer in München. Die Bundespolizei hat Verbindungsleute in Budapest am Bahnhof, und die Münchner Polizei steht mit Kollegen aus Österreich in Verbindung, um einigermaßen die Zahlen ankommender Flüchtlinge anzusagen. Das hilft auch den freiwilligen Helfern am Bahnhof, sich jeweils auf Ankünfte einzustellen. 90 sind im Einsatz, die Ehrenamtlichen organisieren sich selbst mit einem Schichtplan.

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Bei so viel reibungslosem Funktionieren mag nun offenbar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht hintanstehen. Laut der Regierung von Oberbayern haben sich die Bundesländer verständigt, die Verteilungs-Software "Easy" (Erstverteilung von Asylbegehrenden, zunächst nur verfügbar von 6 bis 20 Uhr) vom 15. September an rund um die Uhr laufen zu lassen. Vor allem Münchens Oberbürgermeister Reiter hatte gefordert, bürokratische Beschränkungen aufzuheben - und wundert sich, "was da so lange dauern kann".

Am Münchner Hauptbahnhof werden indes Maßstäbe gesetzt fürs Helfen im großen Stil. "Wir tun alles, damit München in Bayern und Deutschland leuchtet", sagt der Regierungspräsident. Die Flüchtlinge strahlen.

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