Bilanz 2009:Das große Versagen

Politik ist die Kunst des Machbaren. Wer mehr wagt, geht unter. Nationale Politik gibt es nicht mehr, die Mission lautet Weltpolitik. Doch die Protagonisten handeln nicht.

Hans Werner Kilz

Das Jahr 2009 geht mit einer sehr schmerzlichen Erkenntnis zu Ende: Die Weltgemeinschaft ist nicht in der Lage, sich selbst zu regieren.

Merkel, Obama, AP

Machtlose Macht: Politik ist die Kunst des Machbaren. Kanzlerin Merkel konnte in Kopenhagen wenig ausrichten, und US-Präsident Obama steht Ende 2009 entzaubert da.

(Foto: Foto: AP)

Sie war in Kopenhagen versammelt, um ihre Lebensgrundlagen der Zukunft zu sichern. Sie hat es nicht geschafft. Ein globales Klimaabkommen, das die Erderwärmung langfristig hätte eindämmen können, wird es vorerst nicht geben.

Das ist nach Meinung derer, die etwas vom Treibhaus-Effekt verstehen, eine Katastrophe. Aber Wissenschaftler haben noch nie den Gang der Politik bestimmt. Sie klären nur auf, beraten und warnen vor den Folgen falscher Entscheidungen. Realpolitiker folgen anderen Gesetzen. Sie setzen nicht um, was notwendig wäre. Sie machen nur das, was ihnen das politische Überleben sichert.

Das Lehrbeispiel hierfür liefert Amerikas Präsident. Seine ersten Reisen wirkten wie Feldzüge, seine Reden wie Verheißungen. Er weckte weltweit Hoffnung, versprach eine friedlichere und gerechtere Gesellschaft, eine ökologische Politik und einen gezähmten Kapitalismus.

Am Ende seines ersten Amtsjahres steht Barack Obama entzaubert da. Er schickt noch mehr Soldaten nach Afghanistan, muss erkennen, dass die Wall Street nicht den Vorgaben des Weißen Hauses folgt, und peitscht eine Gesundheitsreform durchs Parlament, die wenig von dem übriglässt, wofür US-Demokraten jahrzehntelang gekämpft haben.

Politik ist die Kunst des Machbaren. Wer mehr wagt, geht unter. Und noch eine Erkenntnis hat das Jahr 2009 verfestigt: Nationale Politik gibt es nicht mehr, es gibt nur noch Weltpolitik. Die Amerikaner mögen das "nationale Interesse" weiterhin als Leitfaden ihrer Politik sehen. Die Illusion, sie allein könnten die Probleme dieser Welt lösen, ist mit den Kriegen in Irak und Afghanistan verflogen.

Die weltpolitische Agenda wird nicht mehr von den USA bestimmt, sie müssen sich mit anderen Mächten arrangieren. Der Rausch um den ersten schwarzen Präsidenten Amerikas hat viele - auch in Deutschland - glauben lassen, unter Obamas Regie könnten die USA ihre Führungsrolle zurückerobern. Doch der Bedeutungsverlust der westlichen Großmacht hängt nicht von Personen ab; er kommt zwangsläufig, weil sich das Weltgefüge strukturell verändert.

Planen statt handeln

Der Londoner G-20-Gipfel im April hatte große Erwartungen geweckt, signalisierte den Beginn einer Zeitenwende. Der "alte Washington-Konsens" sei Geschichte, hatte der britische Premierminister Gordon Brown überschwänglich verkündet und von einer "neuen Weltordnung" gesprochen. Mit diesem Begriff hatte sich schon der alte George Bush vor 20 Jahren verhoben, die Welt besteht aus wesentlich mehr als 20 Akteuren. Und die wechselseitigen Abhängigkeiten sind mit der Globalisierung größer geworden.

Wir leben in einer Zeit, in der alles, was wir für sicher hielten, immer ungewisser und unberechenbarer wird. Die Erde wird von vielen Krisen gleichzeitig heimgesucht: vom Terrorismus, vom Klimawandel, von der Finanzkrise, von Handels- und Religionskriegen.

Hurrikane wie Katrina, Bankenpleiten und Hungersnöte in Afrika sind Ereignisse, deren Dimensionen die Menschen immer wieder erstaunen, doch die Politiker versagen. Sie handeln nicht, sie machen Pläne für 2050, für deren Einhaltung sie keiner verantwortlich machen kann. Sie gaukeln vor, auf alles schnell eine Antwort zu haben. Dabei treffen sie Entscheidungen, deren Tragweite sie weder übersehen noch beurteilen können.

Es fehlen pragmatische Visionäre wie John Maynard Keynes, Franklin Delano Roosevelt und George Marshall, die mit ihren Ideen und Plänen einst die Weltwirtschaft geordnet, sozialen Frieden gesichert und Demokratien gestärkt haben.

Es fehlt ein neuer New Deal, ein neuer, grüner Gesellschaftsvertrag, der die Politik zwingt, radikal umzusteuern. Viele Unternehmen und Banken sind in der Finanzkrise zusammengebrochen und von Regierungen mit Milliardenkrediten, Bürgschaften und Anteilsübernahmen gerettet worden. Doch die Wachstumsgläubigkeit ist geblieben.

Das größte Marktversagen der Geschichte

Auch die neue Bundesregierung folgt dem Irrglauben, mit Wachstum, funktionierenden Märkten und technologischem Fortschritt jedes Problem lösen zu können. Wenn die Bürger nur genug konsumieren, wird ihnen weisgemacht, werden sie mit auffrischender Konjunktur in eine rosige Zukunft schweben - ganz so, als sei die Welt des Konsums ein Ort der Glückseligkeit.

Und wer sich Konsum nicht leisten kann, muss sich nicht grämen. Banken werden ihn bald wieder mit Krediten versorgen, damit das geplante Eigenheim gebaut, das abgewrackte Auto ersetzt werden kann. Diese Art, die Wirtschaft anzukurbeln, führt zum stets gleichen Ergebnis: Es wird konsumiert, koste es, was es wolle, sei es eine Bank oder am Ende den ganzen Planeten.

Kleine Länder, die einen anderen Weg gehen und in Kopenhagen klagend am Konferenztisch saßen, werden belächelt. Das winzige Königreich Bhutan etwa, am Fuße des Himalaya zwischen Indien und Tibet gelegen, misst das Wohlergehen des Landes nicht mehr am Bruttosozialprodukt, sondern am Glück seiner Bürger.

Das mag wie ein Märchen klingen, ist es aber nicht. Die Menschen in dieser parlamentarischen Monarchie sind arm, aber alles, was der Staat für sie auf den Weg bringt, orientiert sich an ihren Bedürfnissen. Sie zerstören die Landschaft nicht, sie bewahren sie. Es wird nicht abgeholzt, sondern aufgeforstet. Zwei Drittel der Staatsfläche müssen bewaldet sein. Das ist Verfassungsgebot.

Die großen Industriestaaten und die Schwellenländer hingegen gehen dumm mit ihrer Zukunft um. Es wird viel verhandelt, aber nicht gehandelt. 70 Prozent der Deutschen, hat eine Umfrage ergeben, haben das Vertrauen in Politik und Wirtschaft verloren. Machtgier der Politiker, leere Versprechen und das Festhalten am Althergebrachten haben dazu geführt, dass die Bundesbürger skeptisch auf 2010 blicken.

Dieser Pessimismus findet seine Entsprechung in der ganzen Welt. Wenn es im nächsten Jahrzehnt nicht gelingt, den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen massiv zu senken, droht nach Prognosen des UN-Klimarates Mitte des Jahrhunderts ein nicht mehr umkehrbarer Zerfall des globalen Wirtschaftssystems und das Ende der Zivilisation, die uns derzeit noch behaglich vorkommt.

Allein das Abschmelzen der Gletscher im Himalaya würde die Wasserversorgung von mehr als einer Milliarde Menschen bedrohen und gewaltige Flüchtlingsströme in Gang setzen. Die Folgen der ökologischen Globalisierung werden dann nicht mehr zu steuern sein.

Eine bankrotte Bank lässt sich retten, Schulden können umverteilt und der Gesellschaft aufgebürdet werden. Ein Umweltbankrott aber wird Generationen die Lebensgrundlage entziehen, wird Demokratie und Marktwirtschaft hinwegfegen. Auch die robusteste Wirtschaft wird gegen die Natur verlieren. Kopenhagen hat bestätigt: Der Klimawandel ist das größte Marktversagen der Geschichte.

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