Bilanz aus drei Koalitionen:Merkels 1694 Gesetze

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Kanzlerin Angela Merkel im Plenarsaal des Bundestags in Berlin. (Foto: REUTERS)

Atomausstieg, Elterngeld, Wehrpflicht: Alle Gesetze, die der Bundestag in zwölf Jahren Merkel auf den Weg gebracht hat - erklärt in drei Grafiken.

Von Martina Schories

Wer wissen will, was Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihren drei Regierungen in zwölf Jahren geleistet hat, kann viele Antworten finden. Die Antwort ihrer Parteifreunde, die für ihre Wiederwahl werben. Die Antwort ihrer Gegner, die für ihre Ablösung kämpfen. Oder die Antwort von Journalisten, die in Leitartikeln und Analysen Errungenschaften und Niederlagen abwägen.

Eine andere Antwort ist: 1694. So viele Gesetze hat der Bundestag verabschiedet, seit Merkel an der Macht ist. Die hohe Zahl ist natürlich allein noch kein Garant für gute Politik. Doch letztlich sind es Gesetze, die das Zusammenleben in einem Land organisieren und die damit entscheiden, ob sich etwas zum Guten oder Schlechten verändert.

Im Bundestagsarchiv werden alle Gesetzgebungsprozesse akribisch dokumentiert. Die SZ hat das Archiv ausgewertet und alle Gesetze der Regierung Merkel in einer Grafik aufbereitet - Jahr für Jahr und Monat für Monat. Hervorgehoben sind die relevantesten oder kontroversesten Gesetze der jeweiligen Legislaturperiode. Farblich markiert einige Besonderheiten: Blau alle Gesetze mit Europabezug (ausführlicher zur Bedeutung der Gesetzgebung für Europa), Gelb alles zum Datenschutz.

Große Koalition, November 2005 bis Oktober 2009

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  • 2006 Föderalismusreform

Die Reform entwirrt die Zuständigkeiten von Bund und Ländern. Zum Beispiel darf der Bund nicht mehr in die Schulpolitik eingreifen, die Länder regeln den Ladenschluss selbst und der Bundesrat muss Gesetzen seltener zustimmen.

Warum der Föderalismus von heute einer geplatzten Weißwurst ähnelt, kommentiert Heribert Prantl.

  • 2006 Diskriminierungsverbot

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet es Arbeitgebern und Privatleuten, Menschen zu diskriminieren - zum Beispiel Stellenbewerber oder Arbeitnehmer. Die Diskriminierung aufgrund von individuellen Eigenschaften wie Religion oder Geschlecht war vor 2006 nur dem Staat verboten.

Eine Bilanz nach zehn Jahren Diskriminierungsverbot hat Constanze von Bullion hier gezogen.

  • 2006 Elterngeld

Wenn Eltern nach der Geburt ihr Kind betreuen statt zur Arbeit zu gehen, bekommen sie Elterngeld. Es ersetzt das fehlende Gehalt über maximal 14 Monate, die unter beiden Eltern aufgeteilt werden können.

Mit Ihnen über das Elterngeld diskutiert hat Kerstin Lottritz. Sie kritisierte, dass Eltern davon in Urlaub fahren - und darauf reagierten die Leser so heftig, dass SZ.de ein Online-Autorengespräch eingerichtet hat.

  • 2007 Gesundheitsreform

Seit der Gesundheitsreform ist die Krankenversicherung für alle Pflicht. Die gesetzlichen Kassen müssen einen einheitlichen Basistarif anbieten. Ab 2009 werden eingezahlte Beiträge und Steuern über einen Gesundheitsfonds unter den Krankenkassen verteilt.

Wie Sie die richtige Krankenversicherung für sich finden, erklärt der SZ-Ratgeber.

  • 2008 Finanzmarktstabilisierung

Als Reaktion auf die Finanzkrise soll ein Maßnahmenpaket den Finanzmarkt stabilisieren. Wichtigster Bestandteil des Pakets ist ein Fonds, der die deutschen Banken mit Garantien und Bürgschaften unterstützen soll.

Welche Lehren die Welt aus der Finanzkrise gezogen hat und welche nicht, ist hier zusammengefasst.

  • 2008 Rechtsanspruch auf Krippenplätze

Eltern von unter Dreijährigen bekommen einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz für ihr Kind. Nur, das Angebot an Betreuungsmöglichkeiten wird dem Bedarf nicht gerecht. Wer keinen Platz für seinen Nachwuchs in einer Kindertagesstätte bekommt, kann vor dem Gericht sogar auf Schadensersatz klagen.

Ob das schlechte Gewissen mancher Eltern gerechtfertigt ist, haben US-Forscher in einer Langzeitstudie untersucht. Eine SZ-Zusammenfassung finden Sie hier.

  • 2009 Abwrackprämie

Um die Wirtschaft anzukurbeln, beschließt die Bundesregierung die Umwelt- oder Abwrackprämie im Rahmen des Konjunkturpakets II. Wer ein altes Auto verschrotten lässt und dafür ein neues kauft, bekommt 2500 Euro. Das Programm läuft nur einige Monate lang, bis die bereitgestellten fünf Milliarden Euro ausgezahlt sind.

"Die Abwrackprämie war ein Strohfeuer", bilanzierte der Wirtschaftswissenschaftler Klaus Zimmermann 2009 im Interview mit der SZ.

Schwarz-Gelb, Oktober 2009 bis Dezember 2013

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  • 2009 Hotelsteuer

Auf Druck von FDP und CSU setzt die Bundesregierung die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen auf sieben Prozent herunter. Das führt zu teilweise heftiger Kritik. Der Grund: Die Hotelkette Mövenpick hatte die FDP mit hohen Spenden im Wahlkampf unterstützt.

Ein Kommentar von Heribert Prantl zu der umstrittenen Steuersenkung für Hotels finden Sie hier.

  • 2011 Wehrpflicht

Es ist vielleicht die tiefgreifendste Veränderung in der Geschichte der Bundeswehr. Kein Deutscher wird mehr zum Dienst eingezogen, wenn er das nicht will. Stattdessen gibt es nur noch einen freiwilligen Wehrdienst, der zwischen zwölf und 23 Monaten dauert.

Wie die Wehrplicht zum Opfer ihres eigenen Erfolges geworden ist, lesen Sie hier.

  • 2011 Atomausstieg

Nach der Atomkatastrophe in Fukushima-1 beschließt die Bundesregierung das Aus für deutsche Kernkraftwerke. Damit nimmt sie die erst 2010 verabschiedete Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zurück.

Markus Balser und Michael Bauchmüller schreiben hier über die Folgen des Atomausstiegs für Industrie, Umwelt und Wirtschaft.

  • 2012 Betreuungsgeld

Auf Initiative der schwarz-gelben Regierung bekommen Familien Betreuungsgeld, die ihre Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine staatlich geförderte Kindertagesstätte schicken. 2015 wird es vom Bundesverfassungsgericht gekippt - der Bund sei schlicht nicht zuständig für die Leistung, urteilen die Karlsruher Richter.

Als "Herdprämie" wurde das Betreuungsgeld von seinen Gegnern geschmäht. Wie haben die Befürworter argumentiert?

  • 2012 Praxisgebühren

Bis Ende 2012 mussten Kassenpatienten zehn Euro zahlen, wenn sie sich von einem Facharzt behandeln ließen. Die Kritik: Geringverdiener würden von einem Arztbesuch abgehalten. Einstimmig beschließt der Bundestag, die Praxisgebühr abzuschaffen.

Warum die Praxisgebühr unsinnig und unsozial war und sie zu Recht abgeschafft wurde, kommentiert Charlotte Frank.

  • 2013 Unbestimmtes Geschlecht

Künftig müssen sich Eltern bei der Geburt nicht mehr entscheiden, ob ihr Kind männlich oder weiblich ist. Der Gesetzgeber führt das unbestimmte Geschlecht für Intersexuelle ein, also Menschen mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen.

Das sei eine "juristische Revolution", die allerdings in manchen Alltagssituationen problematisch werden könne, schreibt Heribert Prantl hier.

Große Koalition, seit Dezember 2013

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  • 2014 Mütterrente

Frauen, die nach 1992 ein Kind zur Welt gebracht haben, bekommen später eine höhere Rente. Wer hingegen vorher Mutter wurde, bekommt weniger. So stand es im alten Gesetz. Das neue hebt diese Ungleichbehandlung auf.

Die Mütterrente sei eine herzerwärmende Geste. Aber eine, die sehr teuer sei, kommentiert Guido Bohsem.

  • 2014 Mindestlohn

Lange Zeit kämpften viele Gewerkschaften für eine Lohnuntergrenze für alle Branchen. Arbeitgeberverbände argumentierten, der Mindestlohn würde Arbeitsplätze bedrohen. Er beträgt anfangs 8,50 Euro, seit 1. Januar 2017 8,84 Euro.

Mit der Ungleichheit in Deutschland beschäftigte sich Die Recherche in Fotoreportagen, Essays und Interviews.

  • 2014 Doppelte Staatsbürgerschaft

Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern schafft der Bundestag die Optionspflicht ab. In bestimmten Fällen dürfen sie nun mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen. Bislang mussten sie sich bis zum vollendeten 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden.

Nach dem Putschversuch in der Türkei: Welche Schwierigkeiten die Lehrerin Pinar Balkan bekam, als sie ihre Staatsbürgerschaft wecheln wollte, schrieb Anna Hordych hier auf.

  • 2014 Sichere Herkunftsländer und Arbeitsmarktzugang

Die Bundesregierung erklärt Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu sicheren Herkunftsländern. Menschen aus diesen Ländern bekommen so gut wie kein Asyl in Deutschland. Außerdem dürfen Asylbewerber schneller als früher arbeiten.

Die Bundesregierung versuchte danach, Flüchtlinge vom Balkan abzuschrecken. Mehr über die eigenartigen Methoden, die sie einsetzte, steht hier.

  • 2015 Frauenquote in Aufsichtsräten

Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, wird eine Geschlechterquote von 30 Prozent in etwa 100 großen Unternehmen eingeführt. Sofern die Quote nicht erreicht ist, müssen Firmen offene Posten mit Frauen besetzen.

In ihrem Essay schreibt Karin Janker: Feminismus ist auch Männersache.

  • 2016 Asylpaket II

Ausländerbehörden können Asylbewerber schneller ablehnen, wenn sie aus sicheren Herkunftsländern kommen oder das Aufnahmeverfahren behindern. Leistungen erhalten sie nur unter bestimmten Voraussetzungen. Für zwei Jahre setzt die Bundesregierung den Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz aus.

Die Kunst rettet einen afghanischen Musiker vor der Abschiebung. Ein Porträt von Egbert Tholl.

  • 2017 Gleiche Bezahlung

Noch immer verdienen Frauen durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer. Ziel des Gesetzes ist: Frauen und Männer sollen für die gleiche oder gleichwertige Arbeit dasselbe Entgelt bekommen. Verträge, die dagegen verstoßen, sind unwirksam. In mittelständischen Unternehmen haben Arbeitnehmer Auskunftsanspruch. Große Firmen müssen regelmäßig prüfen, ob sie in ihren Betrieben die Geschlechtergleichheit einhalten.

Diese zwölf Zahlen verdeutlichen, was die Lohnlücke für deutsche Frauen - und Männer - bedeutet.

  • 2017 Ehe für alle

Auf Druck von SPD, Linken und Grünen kommt die Ehe für alle kurzfristig auf die Tagesordnung des Bundestags, der mehrheitlich dafür stimmt. Die Ehe steht zukünftig auch homosexuellen Paaren offen. Damit ist das Recht verbunden, gemeinsam Kinder zu adoptieren.

In ihrem Kommentar kritisiert Violetta Simon, dass die Ehe für alle Paare privilegiere, die heiraten. Doch nicht jeder will heiraten.

  • 2017 Staatstrojaner

Die Ermittlungsbehörden erhalten die Möglichkeit, heimlich Schadsoftware auf private Geräte zu spielen. So können sie laufende Chats bei Messengern wie Whatsapp mitlesen. Zugleich erlaubt ihnen das Gesetz, auf sämtliche gespeicherten Inhalte zuzugreifen.

Still, heimlich und leise beschloss der Bundestag das Gesetz. "Es ist ein Skandal", schrieb Heribert Prantl in seinem Kommentar.

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Mitarbeit: Baran Datli, Miguel Helm und Jana Anzlinger

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