Die USA haben noch nicht entschieden, wen sie als Nachfolger von Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bevorzugen. "Die USA haben noch keine Entscheidung getroffen", sagte US- Vizepräsident Joe Biden nach einem Antrittsbesuch in der Nato-Zentrale in Brüssel. "Das ist eine Konsens-Frage, eine Frage der Abstimmung mit anderen." De Hoop Scheffers fünfjährige Amtszeit läuft im Juli aus.
Biden zeigte sich zuversichtlich, dass es gelinge, bis zum Nato-Gipfeltreffen am 3./4. April in Baden-Baden und Straßburg den künftigen Generalsekretär zu bestimmen. "Ich glaube und hoffe, dass wir bis dahin eine Entscheidung haben werden."
Zur Frage, ob seiner Ansicht nach der nächste Generalsekretär aus einem der neuen Nato-Staaten aus Zentral- und Osteuropa oder aber wie bisher aus Westeuropa kommen solle, sagte er: "Wir glauben nicht, dass grundsätzlich irgendein Mitgliedstaat davon ausgeschlossen sein sollte, den Generalsekretär zu stellen."
Unter anderem gilt der dänische Regierungschef Anders Fogh Rasmussen (56) als aussichtsreicher Kandidat. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski (46) werden ebenfalls Ambitionen auf den Posten nachgesagt. Der frühere bulgarische Außenminister Solomon Passy (52) hat bereits seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt. Auch der frühere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski (54) und der frühere britische Verteidigungsminister Desmond Browne (56) gehören zu den öfter genannten Aspiranten.
Gespräche mit gemäßigen Taliban
Biden bekräftigte in Brüssel außerdem, dass die Regierung in Washington nunmehr offen für Gespräche mit gemäßigten Taliban in Afghanistan ist. Diese Taktik sei es "wert, geprüft zu werden", sagte Biden nach Gesprächen mit den Verbündeten im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Präsident Barack Obama hatte diese Möglichkeit am Wochenende erstmals in Erwägung gezogen.
Ebenso wie Obama gestand Biden ein, dass die USA den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen könnten. "Wir gewinnen diesen Krieg nicht, aber er ist alles andere als verloren", sagte der US-Vizepräsident.
Er forderte von den Nato-Verbündeten angesichts des wachsenden militärischen Drucks der Taliban mehr Unterstützung in Afghanistan. "Die sich verschlechternde Situation in der Region stellt nicht nur für die USA eine Gefahr dar, sondern für jede einzelne, an diesem Tisch versammelte Nation", sagte Biden zu Vertretern des 26 Staaten umschließenden Militärbündnisses.
"Niemand kann der Verantwortung entgehen, diese Bedrohungen zu bekämpfen." Biden sprach von "einem unglaublichen Maß von Übereinstimmung" im Kreis der Verbündeten. "Ich habe jetzt ein besseres Gefühl für das, was unsere Freunde in der Nato berücksichtigt wissen wollen." Die Konsultationen mit den Nato-Partnern gingen weiter: "Dies ist noch nicht das Ende, nur der Anfang."
Viele Menschen fragten, warum in Afghanistan ein Krieg geführt werde. "Ich weiß, dass die Menschen in Europa und die Menschen in meinem Land dieses Krieges müde sind", sagte Biden. "Aber von hier aus ist seit dem 11. September 2001 praktisch jeder größere Terrorangriff auf Europa und auch auf Bombay geplant worden. Die sich verschlechternde Lage in der Region stellt aus unserer Sicht nicht nur eine Bedrohung der USA, sondern aller Staaten an diesem Tisch dar", sagte er.
Hochrangige US-Militärs warnten zugleich vor Defiziten bei der Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung rief die Europäische Union zu mehr Engagement beim Training der Sicherheitskräfte auf.
Gesucht werde laut Biden eine neue Strategie im Kampf gegen die radikalislamischen Taliban, der mit den Verbündeten erörtert werden sollte. US-Präsident Barack Obama erwarte, dass jeder zu seinen Verpflichtungen bei dem gemeinsamen Vorgehen in Afghanistan stehe, betonte Biden.
Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderte die Nato-Partner auf, noch vor der afghanischen Präsidentenwahl im August den Kampf um Stabilität und Sicherheit deutlich zu verstärken.
Jung verwies darauf, dass Deutschland seine Truppe um 600 Soldaten aufstocken werde. Zugleich würden die Anstrengungen beim zivilen Aufbau deutlich verstärkt und die Ausgaben dafür von 80 auf 170 Millionen Euro in diesem Jahr erhöht. "Das ist ein Beitrag, der sich sehen lassen kann und von den amerikanischen Freunden sehr gewürdigt wird", sagte Jung.
Mangel an Polizeiausbildern
In Afghanistan beklagte ein US-Militärvertreter, auch die Verlegung von 17.000 zusätzlichen US-Soldaten an den Hindukusch werde die Lücke von derzeit 1500 fehlenden Polizeiausbildern nicht stopfen. Bereits jetzt seien Militär-Trainer abgezogen worden, um Polizisten auszubilden. Jung forderte beim Besuch des deutschen Ausbildungszentrums in Masar-i-Scharif mehr Engagement der EU beim Aufbau der Polizei. Die EU hat 200 Ausbilder im Einsatz. Nach früheren Absprachen sollten es bereits 400 sein.
Vor der US-geführten Invasion Afghanistans 2001 war die Polizei kaum entwickelt. Nach US-Angaben sind viele Polizisten bestechlich. Manche örtlichen Polizeichefs haben demnach beispielsweise weniger Personal als tatsächlich geführt, um die zusätzlichen Gehälter einzustreichen. Eine funktionierende Polizei gilt jedoch ebenso wie eine Armee als Voraussetzung dafür, dass die afghanische Regierung selbst für Stabilität sorgen kann.
US-Militärs haben darauf hingewiesen, dass die von Obama angeordnete Truppenaufstockung im Endeffekt nur dazu diene, Zeit für den Aufbau von Armee und Polizei zu gewinnen. Die afghanische Armee soll von derzeit 80.000 Mann auf 134.000 bis 2012 aufgestockt werden. Die ausländischen Truppen zählen 70.000 Soldaten, von denen die USA 38.000 stellen, Deutschland 3800.
Bereits am Wochenende hatte sich Obama erstmals konkreter zu neuen Ansätzen in Afghanistan geäußert. In einem Interview zeigte er sich offen für Kontakte zu gemäßigten Taliban. Im Irak habe sich eine Annäherung an islamische Stammensführer als erfolgreich für eine Befriedung des Landes erwiesen.
Eine ähnliche Strategie könnte auch in Afghanistan aufgehen. Jung zeigte sich offen zu dem Vorstoß. Ein Sprecher der Taliban wies die Vorstellungen Obamas jedoch am Dienstag als substanzlos zurück. Die Taliban seien vereint, es gebe keine Teilung in Gemäßigte und Radikale. Der einzige Weg zur Beendigung des Krieges sei der Abzug der ausländischen Truppen.