Beziehungen:Für Zaren, Sowjets und Herrn Putin

Beziehungen: "Kurzfristige Turbulenzen": Siemens-Chef Joe Kaeser (re.) besuchte Präsident Wladimir Putin 2014, nur Tage nach dem Einmarsch auf der Krim.

"Kurzfristige Turbulenzen": Siemens-Chef Joe Kaeser (re.) besuchte Präsident Wladimir Putin 2014, nur Tage nach dem Einmarsch auf der Krim.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/AFP)

Siemens und Russland, das ist eine lange Geschichte. Von der Politik wollte man sich die Geschäfte nie verderben lassen.

Von Thomas Fromm

Siemens-Technikvorstand Roland Busch kümmert sich im Konzern normalerweise um neue Technologien. Er ist sozusagen der Mann für Zukunftsthemen bei Siemens. In seinen Arbeitsbereich fällt aber auch das Ländergeschäft in Russland. Und so ist Busch derzeit vor allem mit der Vergangenheit beschäftigt, genauer gesagt: mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, also den bisherigen Geschäften des Konzerns in Russland.

Was ist schiefgelaufen in diesem Milliarden-Markt, und wie soll es nun weitergehen? "Busch hat gerade sehr viel zu tun", heißt es bei Siemens. Der Mann steht somit stellvertretend für ein ganzes Unternehmen: Eigentlich will man am liebsten über die digitale Zukunft reden. Wäre da nicht die Vergangenheit. Die zentrale Frage ist: Warum konnten entgegen geltender Sanktionen mehrere Siemens-Gasturbinen auf die Krim geliefert werden? Und das in einem Land, in dem man seit mehr als anderthalb Jahrhunderten aktiv ist?

Blick zurück in jenen März 2014, als Konzernchef Joe Kaeser für Geschäfte nach Moskau reiste. "Kurzfristige Turbulenzen", so nannte er damals die Annektierung der Krim. Ein Satz, der ihn noch einholen sollte. Aggressive Geopolitik als vorübergehende Turbulenz - dies zeigt das ganze Dilemma des Konzerns. Wer wie Siemens seit mehr als 160 Jahren Waren und Dienstleistungen in Russland verkauft, hört nicht von heute auf morgen damit auf, nur weil gerade zum Beispiel über die Krim diskutiert wird. Kaeser sah die langfristigen Beziehungen - und dass es für den Konzern um viel Geld geht. Man kann es auch so sagen: Das politische Geschehen passte so gar nicht in die mittelfristige Unternehmensplanung im Frühjahr 2014.

Volkswagen, Adidas, Metro - sie alle versprachen sich gute Geschäfte

Schnell hatten die Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf das Geschäft durchgeschlagen. 2014 hatten die Münchner noch 1,8 Milliarden Euro in dem Land umgesetzt; 2015 waren es 1,3 Milliarden, im vergangenen Jahr hatte man noch Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro verkauft - immerhin waren das noch zwei Prozent des Umsatzes weltweit. Die große Weltpolitik traf den Konzern zu einer Zeit, in der er Milliardeninvestitionen in Russland plante. Einige Hundert Millionen hatte man gerade in die Wirtschaft des Landes gepumpt, weitere Investitionen standen auf dem Plan. Siemens stand mit seinen Russland-Plänen nicht alleine da. Volkswagen, Adidas, Metro - sie alle versprachen sich seit Jahren schon gute Geschäfte bei dem östlichen Nachbarn.

Die Beziehung zwischen Siemens und Russland geht allerdings tiefer - sie hat Geschichte, und sie überlebte auch den Wechsel politischer Systeme. Sie beginnt zwischen 1852 und 1855, als Siemens den Russen ein staatliches Telegrafennetz baute. 1855 dann wurde unter Leitung von Carl Siemens in Sankt Petersburg eine erste Russland-Dependance eröffnet. Und so geht es weiter: Von der Beleuchtung der Großstädte Moskau und Sankt Petersburg über ein sowjetisches Wassergroßkraftwerk, Beratung beim Bau der ersten Moskauer U-Bahn 1934, die Lieferung von 20 Lokomotiven 1959, den Bau von Mobilfunknetzen bis zu einem Großauftrag für Medizintechnik 2013 - die Liste ist lang, und die Modernisierung Russlands war immer auch ein gutes Geschäft für die Münchner. Energieversorgung, Eisenbahnen, Großinfrastrukturen, Röntgenapparate - die Auftragsbücher der Deutschen waren in Russland seit jeher üppig gefüllt. Es gab zwar Zäsuren, so wie vor zehn Jahren, als der große Schmiergeldskandal der Münchner aufgearbeitet wurde und die Weltbank Siemens vorwarf, zwischen 2005 und 2006 rund drei Millionen Dollar an Schmiergeld bei einem Moskauer Verkehrsprojekt gezahlt zu haben.

Auch nach einem Skandal um Schmiergeld ging es immer weiter

Aber auch nach der Affäre galt: Russland ist zu groß, um dort keine Geschäfte zu machen. In den vergangenen Jahren setzte man daher verstärkt auf Regionalisierung. Fabriken, Labors für Forschung und Entwicklung, der Aufbau regionaler Büros - je aktiver man im Land selbst ist, je mehr Arbeitsplätze man dort schafft, so die Philosophie in Großkonzernen wie Siemens, desto eher wird man als einheimisches Unternehmen angesehen. Und desto größer sind die Chancen, bei öffentlichen Ausschreibungen den Zuschlag zu bekommen. Einer, der das Spiel glänzend beherrschte, war Kaesers Vorgänger Peter Löscher, ein Mann mit guten Kontakten in Russland - seine Beziehung zu Putin galt seinerzeit als hervorragend. "Die Tätigkeit der Firma Siemens in Russland ist eng mit der Entwicklung der russischen Wirtschaft verbunden", sagte Siemens-Russland-Chef Dietrich Möller erst vor wenigen Wochen. "Wir nehmen aktiv an der Modernisierung der russischen Industrie und der Infrastruktur teil."

Noch ist das so. Was, wenn es eines Tages nicht mehr so ist? Insider mutmaßen schon jetzt: Sollte die alte Beziehung zwischen Siemens und Russland im Strudel der Turbinenaffäre untergehen, dürfte es viele Jahre dauern, bis beide wieder zueinanderfinden. Vor allem Wettbewerber wie General Electric werden dann versuchen, die Lücke zu füllen, die Siemens lässt.

Siemens-Vorstand Busch hat also gerade einen der wichtigsten Jobs. Und ausnahmsweise geht es mal nicht um die Digitalisierung von Fabriken, sondern gleich um ein ganzes Land.

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