Betreuungsgeld:Eine einfache Rechnung

Vater in Elternzeit

Ein Vater füttert seinen kleinen Sohn: Das Betreuungsgeld bedeutet für viele Eltern eine kleine finanzielle Entlastung.

(Foto: dpa)

100 Euro Betreuungsgeld sind 100 Euro mehr in der Haushaltskasse, so sehen das viele Eltern. Manche möchten länger bei den Kindern bleiben, andere wollen nicht arbeiten oder sind auf Privatbetreuung angewiesen. Bei Hartz-IV-Bezieherinnen drohen allerdings Jobchancen und Altersabsicherung auf der Strecke zu bleiben.

Von Ulrike Heidenreich

100 Euro im Monat. Davon kann man kaufen: Zum Beispiel zwei Mal 84er-Packungen Windeln je 17,49 Euro. Dazu Feuchttücher, Babygläschen, Saft, Kekse, Reiswaffeln, Milchpulver, vielleicht auch mal eine neue Trinkflasche. Mit viel Glück reicht das Geld. Neulich war Susanne Viernekäs an der Kasse im Drogeriemarkt. "93 Euro waren in einer Viertelstunde weg. Und ich hab nur das Nötigste für Jonas gekauft", sagt sie. Familie Viernekäs aus dem fränkischen Schönbach bezieht Betreuungsgeld. Diese 100 Euro im Monat stehen für ein Lebensmodell, das in Berlin in diesen Wochen, wenn über Koalitionen verhandelt wird, mal wieder gründlich auseinandergenommen werden wird. Und was sagen die betroffenen Familien selbst dazu? Sie verfolgen das erneute Hick-Hack um die "Herdprämie" ratlos bis resigniert - und investieren solange in Au-Pairs, in die Haushaltskasse oder eben in die Regale mit Kleinkindbedarf im Drogeriemarkt.

Seit dem 1. August, parallel zum Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige, ist der Anspruch auf Betreuungsgeld in Kraft getreten. Eltern, die ihre Kinder, die nach dem 1. August 2012 geboren sind, nicht in einer öffentlich geförderten Tagesstätte betreuen lassen, sondern sie entweder zu Hause erziehen oder sie in die Obhut von Verwandten, privaten Tagesmüttern und Au-Pairs geben, erhalten 100 Euro. Vom kommenden Sommer an werden 150 Euro ausgezahlt.

Susanne Viernekäs, 39, arbeitete nach ihrer Ausbildung als Bankkauffrau in Hassfurt. Anfang 2011, als ihr erster Sohn Moritz auf die Welt kam, verabschiedete sie sich in die Elternzeit. Im Oktober 2012 wurde Sohn Nummer zwei geboren, der kleine Jonas. "Ich wäre auf jeden Fall zu Hause bei den Kindern geblieben. Das Betreuungsgeld hat bei meiner Entscheidung keine Rolle gespielt, denn mit 100 Euro kommt man nicht allzu weit", sagt Frau Viernekäs. Für sie zählte mehr, die ersten Schritte ihrer Kinder verfolgen zu können, das erste Wort zu hören. "Sonst würde mir etwas fehlen", sagt sie mit fast schon beteuerndem Tonfall.

"Es ist nicht so, dass ich die Buben loswerden will"

Denn auch in dem 200-Einwohner-Dorf Schönbach ist es längst nicht mehr selbstverständlich, dass die Mutter daheim bleibt. "Ich verurteile niemanden, der sein Baby nach acht Wochen in die Krippe gibt. Aber wir sind nun einmal finanziell so aufgestellt, dass ich zu Hause bleiben kann", sagt sie. Herr Viernekäs ist Angestellter, weil aber noch eine Landwirtschaft im Nebenerwerb da ist, kann er sich keine Auszeit nehmen - und folglich nicht zwei Monate zusätzlich Elterngeld beantragen. Will heißen: Von Oktober an, seit der Jüngste zwölf Monate alt ist, fließen 100 Euro staatliches Betreuungsgeld auf das Konto der Familie.

"Das ist natürlich ein schönes Zugeld. Wir überlegen, ob wir es für die Kinder extra sparen, damit wenigstens etwas Konkretes übrig bleibt", sagt Susanne Viernekäs. Für September 2014, wenn Jonas zwei Jahre alt wird, ist er in der Kinderkrippe im nächsten größeren Ort angemeldet, wo auch schon sein Bruder spielt, seit er zwei Jahre alt ist. Ein Kindergartenbus, den die Gemeinde finanziert, lädt morgens sieben kleine Schönbacher ein, mittags holen die Eltern sie wieder ab. "Es ist nicht so, dass ich die Buben loswerden will. Aber ich denke, es ist interessant für sie, mit anderen Kindern zusammen zu sein", sagt Susanne Viernekäs. Sie erzählt, dass sie und ihre Freundinnen die so emotional geführte Debatte um das Betreuungsgeld mit Unbehagen verfolgen. "Man muss jedem doch seine Einstellung lassen." Später, wenn sie die dreijährige Elternzeit ausgeschöpft hat, will Frau Viernekäs wieder arbeiten.

Nach einem schleppenden Start scheint nun, gut zwei Monate nach der Einführung der staatlichen Prämie, das Interesse der Eltern am Betreuungsgeld gestiegen zu sein. Nach Berechnungen der SPD gibt es 160.000 anspruchsberechtigte Kinder. Anfang September waren nach SZ-Recherchen erst 27.000 Anträge für Einjährige eingegangen. Eine Umfrage der Passauer Neuen Presse in 16 Bundesländern kam Anfang Oktober auf mehr als 50.000 Anträge. Mit gut 14.000 wurden die meisten Formulare in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht, in Bayern waren es knapp 12.000, in Baden-Württemberg 11.000.

In Hessen, wo etwa 5000 Anträge auf Betreuungsgeld registriert wurden, lebt Claudia M., 32 Jahre alt, Mutter von 13 Monate alten Zwillingsbrüdern sowie einer vierjährigen Tochter. Bis vor fünf Jahren arbeitete sie als Verkäuferin. Als ihre Filiale schloss, wurde sie arbeitslos, kurz darauf zum ersten Mal schwanger. Claudia M. will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen und sagt fast schon trotzig: "Ich muss mich ständig dafür rechtfertigen, dass ich eigentlich so bald nicht mehr arbeiten will." Denn sie hat für sich eine einfache Rechnung aufgemacht: Sie bekommt insgesamt 558 Euro Kindergeld. Dazu ein knappes Jahr lang zweimal 100 Euro Betreuungsgeld für die Zwillinge, von August nächsten Jahres an werden es ein Jahr lang zweimal 150 Euro sein. "So viel kann ich netto gar nicht selbst verdienen - und mein Mann zahlt schließlich die Miete", sagt die 32-Jährige.

Jobchancen und Altersabsicherung bleiben auf der Strecke

Mit Sorge hat die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros beobachtet, dass Hartz-IV-Bezieherinnen vom Jobcenter zum Beantragen von Betreuungsgeld gedrängt würden. Flächendeckend würden Mütter durch Telefonakquise oder Rundbriefe aufgefordert, die staatliche Leistung zu beziehen, warnte der Verband, in dem sich Frauenbeauftragte aus ganz Deutschland zusammengeschlossen haben, die Bundesministerinnen Kristina Schröder und Ursula von der Leyen.

"Ein völlig falsches Signal für gerade jene Frauen, die besonders darauf angewiesen wären, mit Kursen wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden", sagt Beate Ebeling von der Arbeitsgemeinschaft. Eltern, die Hartz IV beziehen, wird das Betreuungsgeld von den sonstigen monatlichen Bezügen als sogenannte vorrangige Leistung abgezogen. Es macht für sie also keinen Unterschied, ob sie es beantragen. "Es ist lediglich ein unsinniges Umverteilen in staatliche Töpfe, um Statistiken zu schönen", sagt Ebeling. Die Jobchancen und die Altersabsicherung für Frauen aber blieben auf der Strecke.

Es ist viel Verwirrung zu lesen in den Internet-Foren zum Betreuungsgeld; hier tauschen sich vor allem Mütter über das Für und Wider, aber vor allem über das Wie aus. Gerade die Stichtagregelung, wonach es für Kinder, die vor dem 1. August 2012 geboren sind, kein Geld gibt, verursacht auf Plattformen wie "netmoms" oder "Urbia" für den größten Ärger. Es gibt eine eigene Petition namens "Betreuungsgeld ohne Stichtag" mit Tausenden Unterschriften - oder Beiträge wie den von Userin Butzel: "Also ich kann dazu nur eins sagen: So eine Frechheit! Wenn man Müllzuschläge oder Steuern nachzahlen soll, dann am besten rückwirkend für die letzten drei Jahre, aber wenn man was bekommen soll . . ." Völlig ratlos erkundigt sich "Lovismami" bei anderen Frauen per Internet: "Kann meine Mutter Betreuungsgeld beantragen, wenn meine Tochter (20 Monate) halbtags von ihr betreut wird? Wie viel ist das ungefähr und wo muss man sich da melden?"

Oft sprechen praktische Gründe gegen die Krippe

Unsicherheit allerorten - was auch ein Grund für die hohe Ablehnungsquote der Betreuungsgeld-Anträge in vielen Bundesländern sein dürfte. So wurden in Berlin bislang 34 Prozent der Anträge zurückgewiesen - es betraf vor allem Kinder, die vor dem Stichtag geboren wurden. In Nordrhein-Westfalen lag die Ablehnungsquote bei 22 Prozent.

Eine Frau, die gar nicht erst versucht hat, die staatliche Prämie anzufordern, sie aber gerne hätte, ist Regine Meiss aus Augsburg. Sie ist 41 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern. Es sind vier Jungs und zwei Mädchen zwischen einem und 15 Jahren, der Jüngste ist im Juli 2012 geboren. "Das ist ganz knapp am Stichtag vorbei und schon recht ärgerlich für uns. Das Geld hätten wir sehr gut gebrauchen können", sagt Regine Meiss. Die Augsburgerin ist eine Verfechterin des Betreuungsgeldes und entspricht so gar nicht dem Klischee, das in den vielen harten Debatten immer wieder von jenen Frauen verbreitet wurde, die sich für eine "Herdprämie" erwärmen können. Regine Meiss arbeitet als Anästhesistin in Teilzeit im Schichtdienst, ihr Mann ist Urologe. Sie hat ihren Job nie länger als ein Jahr unterbrochen. Die Familie würde das Betreuungsgeld zur Mitfinanzierung ihres Au Pairs verwenden. Die Kinder- und Haushaltshilfe aus dem Ausland kostet um die 400 Euro pro Monat. "Mein Mann und ich verdienen zwar beide, aber das wäre ein kleiner Zuschuss gewesen", sagt Meiss.

Für sie sind es ganz praktische Gründe, warum sie den Kleinsten nicht in die Krippe geben möchte: "Die Kita öffnet erst um 7. 30 Uhr. Um diese Uhrzeit stehe ich oft schon im Operationssaal." Die Anästhesistin betont, dass sie mit sechs Kindern immer einen "doppelten Boden" haben müsse und sich nie allein auf Krippe, Kindergarten oder Schule verlassen könne. Sie beklagt das "starre System", wünscht sich mehr Phantasie und "alternative Modelle" bei der Kinderbetreuung. Die sechsfache Mutter ist überzeugt: "Die Politik kann nicht steuern, wer zu Hause bleiben soll. So ist das gerade nichts Halbes und nichts Ganzes."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: