Betreuungsdefizit:Zu jung fürs Heim

Die bestehenden Häuser sind vor allem auf Senioren eingestellt. Für Tausende Pflegebedürftige, die noch keine 60 Jahre alt sind, fehlen die passenden Plätze.

Von Kim Björn Becker

Wenn es um die Versorgung von Pflegebedürftigen in Deutschland geht, sind die großen Probleme rasch umrissen: Es gibt viel zu wenig Pflegepersonal, die Mitarbeiter in Heimen sind oft heillos überlastet, und so mancher Angehörige reibt sich auf mit der Verantwortung für einen Nahestehenden, der zu Hause betreut wird. Nun macht die Krankenkasse Barmer auf ein weiteres Manko aufmerksam: Auch jüngere Pflegebedürftige, also Menschen unter 60 Jahren, haben es schwer - denn das System ist fast nur auf Senioren ausgerichtet.

Laut einer Barmer-Berechnung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, fehlen bundesweit mehr als 7000 Plätze, die vor allem für jüngere Menschen mit Pflegebedarf geeignet sind. Denn während Pflegeheime auf Senioren mit den für sie typischen Gebrechen eingestellt sind - viele Hochbetagte leiden an Demenz oder an den Folgen eines Schlaganfalls -, haben die Jungen andere Leiden und auch andere Bedürfnisse. Von den hochgerechnet 386 000 Pflegebedürftigen, die jünger sind als 60 Jahre, hat etwa jeder dritte Lähmungen oder eine Intelligenzminderung, jeder vierte leidet an Epilepsie und jeder zehnte am Downsyndrom.

Es zieht diese Menschen darum auch nicht ins klassische Pflegeheim, sondern in andere Formen der Betreuung. Laut einer Befragung unter 1700 pflegebedürftigen Barmer-Versicherten wollen zum Beispiel 35 Prozent der Zehn- bis 29-Jährigen gerne in einer Wohngruppe leben, in jedem zweiten Fall kam ein Wechsel aber nicht zustande, da kein Platz frei war. Zudem gab fast jeder fünfte Befragte an, gerne für ein paar Tage die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen zu wollen. Doch nicht einmal jeder Zehnte griff im betrachteten Zeitraum darauf zu. Laut dem Bericht gibt es bundesweit 4000 teilstationäre und weitere 3400 Kurzzeitpflegeplätze zu wenig, um den Bedarf zu decken. "Tendenziell wollen junge Pflegebedürftige individueller und selbstbestimmter leben, als es ihnen bisher möglich ist", sagte Barmer-Chef Christoph Straub. "Wunsch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander."

Nachdem Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die gesetzliche Pflegeversicherung in der vergangenen Legislaturperiode deutlich umgebaut hatte - unter anderem gibt es statt der alten drei Pflegestufen jetzt fünf sogenannte Pflegegrade -, ist die zukünftige Pflegepolitik derzeit ein Thema der Sondierungsgespräche für ein Jamaika-Bündnis. Am Donnerstag wollten sich Union, FDP und Grüne über Pflegethemen austauschen. Barmer-Chef Straub nahm dies zum Anlass, bei der Vorstellung des Berichts eine bessere Bezahlung für Pflegekräfte zu verlangen.

Mit der Forderung nach mehr Geld, gerade in der Altenpflege, ist die Barmer nicht allein. Ebenfalls am Donnerstag stellte die größte deutsche Kranken- und Pflegekasse, die Techniker Krankenkasse (TK) aus Hamburg, einen Forderungskatalog vor, der an die Adresse der Jamaika-Sondierer gerichtet ist.

In dem Papier, das sich "Masterplan Pflegeberufe" nennt, fordert die Kasse eine höhere Vergütung für Pfleger. Zudem müssten sich die Gehälter auch stärker unterscheiden, damit den Beschäftigten Anreize zur Weiterbildung gesetzt werden könnten: Wer etwas leistet, soll also spürbar besser verdienen. Und es müsse etwas dagegen unternommen werden, fordert die TK, dass ausgebildete Altenpfleger im Schnitt nur etwas mehr als acht Jahre im Beruf bleiben - zum Beispiel, indem Arbeitgeber ihnen "attraktive Rückkehrangebote" machen, wie es in dem Dokument heißt. Wobei das TK-Papier offen ließ, was genau damit gemeint ist. Man müsse "zielgerichtet diejenigen ansprechen, die der Pflege den Rücken kehren", sagte der stellvertretende TK-Chef Thomas Ballast.

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