Besuch bei Emmanuel Macron:Europas Aufbruch hängt von Merkel ab

Bundeskanzlerin besucht Paris

Ein halbes Jahr musste Frankreichs Präsident auf die Kanzlerin warten, weil noch keine Regierung gebildet war. Jetzt könnten sie Nägel mit Köpfen machen.

(Foto: dpa)

Emmanuel Macron wartet seit langem darauf, dass Angela Merkel auf seine Europa-Vorschläge antwortet. Bislang hat sie ihn vertröstet, doch das muss sich nun ändern.

Kommentar von Stefan Ulrich

Frankreichs Präsident sollte der deutschen Kanzlerin die Verse des Theaterdirektors aus Goethes "Faust" engegenhalten: "Der Worte sind genug gewechselt,/Lasst mich auch endlich Taten sehn!/Indes ihr Komplimente drechselt,/Kann etwas Nützliches geschehen." Doch Emmanuel Macron war am Mittwoch in Paris gewiss zu wohlerzogen, um Angela Merkel derart anzugehen. Dabei dringt Macrons Ungeduld aus allen Ritzen des Élysée. Und das mit Recht.

Bald ein Jahr ist es her, dass die Franzosen den jungen Überflieger zum Staatschef gewählt haben. Macron hatte versprochen, Europa gemeinsam mit Deutschland zu erneuern, um die Bürger besser zu schützen. Doch was erhielt er als Antwort aus Berlin: gedrechselte Komplimente. Erst war Deutschland mit einem Wahlkampf beschäftigt, in dem die EU bizarrerweise keine Rolle spielte. Dann plagten sich die Deutschen ein halbes Jahr lang damit ab, eine Koalition zu bilden. Für Europa war auch da zu wenig Zeit. Und jetzt, so ist schon aus Berlin zu hören, müsse sich das neue Kabinett erst mal einarbeiten.

Und in Paris wartet Macron. Ein Mann, der sich sofort daran machte, Reformen in seinem Land durchzusetzen, die Deutschland immer gefordert hatte. Ein Mann, der in mehreren kraftvollen Reden darlegte, wie Europa gestärkt werden kann. Ein Mann, der unablässig um die Hand Deutschlands wirbt. Diesen Mann so lange stehen zu lassen, ist unverschämt und verantwortungslos. Denn dank Macron hat die EU unverhofft die Chance erhalten, sich ihrer vielen Feinde zu erwehren.

Angela Merkel (CDU) wird in die Geschichtsbücher als Kanzlerin der großmütigen Flüchtlingspolitik eingehen - und, wenn sie nicht schleunigst aktiv wird, der kleinkarierten Europapolitik. Was Macron bisher aus Berlin vernahm, lautete im Wesentlichen: zu teuer, nicht durchsetzbar. Ob bei der Hilfe für Euro-Länder in Krisen oder der Bankenunion - stets sorgt sich Merkel vor allem darum, Deutschland könnte zu viel zahlen. Dabei hat ihr Parteifreund Helmut Kohl einst demonstriert, dass sich Großzügigkeit in Europa auch für Deutschland bestens auszahlt.

Überzeugen können sie, wenn sie zusammenhalten

Natürlich sollen die Deutschen kein Geld in andere EU-Staaten pumpen, um Misswirtschaft und Schuldenmacherei zu finanzieren. Wer zahlt, soll verlangen, dass sein Geld vernünftig ausgegeben wird und er darüber Rechenschaft erhält. Wenn in der EU mehr Solidarität herrschen soll, was nötig ist, um sie zu erhalten, so muss es auch mehr Verantwortungsbewusstsein geben. An Merkel und Macron liegt es nun, dieses Junktim auszubuchstabieren. Außerdem müssen sie darauf pochen, eine europäische Armee aufzubauen, die Steuersysteme anzugleichen und ein besseres Asylsystem zu schaffen.

Nicht durchsetzbar, weil etwa die Niederlande bremsen? So gilt es, sie zu überzeugen. Überzeugt haben Frankreich und Deutschland in Europa immer dann, wenn sie zusammenhielten und klarstellten, notfalls mit einer kleineren Staatengruppe voranzugehen.

Über dem Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CDU seht: "Ein neuer Aufbruch für Europa". Merkel muss dem Taten folgen lassen. Jetzt. Getreu dem Theaterdirektor im Faust: "Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,/Und keinen Tag soll man verpassen,/Das Mögliche soll der Entschluss/Beherzt sogleich beim Schopfe fassen."

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