Besuch am Ufer des mystischen Ganges:Der Göttin beflecktes Antlitz

Wie Niranjan zwischen Leichen, Asche und Abwässern in Indiens heiligem Fluss schmutzige Wäsche wäscht.

Von Karin Steinberger

(SZ vom 28.08.2003) - Im fauligen Licht des Morgens, wenn sie sich das erste Mal an Niranjans Beine schmiegt, wenn sie ihn umgarnt und die Haut an seinen Waden langsam mit roten Pusteln überzieht, betet er sie an. Doch im Lauf des Tages werden die Pusteln zur Tortur. Dann drischt Niranjan auf sie ein, Ganga Mata, heilige Mutter Ganges, die ihn füttert und mit Juckreizen quält, die er liebt und fürchtet. Um ihn herum läuft der tägliche spirituelle Zirkus, das Baden, das Beten, das Leichenverbrennen. Und dann der Gestank. Für eine Göttin verbreitet Mutter Ganges einen ziemlich unangenehmen Geruch.

Niranjan bekämpft mit seiner Hände Arbeit den Schmutz Indiens. Er schlägt ihn heraus aus bestickten Überdecken, verschwitzten Hemden, aus Socken, Unterhosen, Seidensaris. Er ist Wäscher am Ufer des Ganges. Lali Ghat, gesegnete Stufen. Was für ein Arbeitsplatz. An heiligerem Ort kann man sein Geld nicht verdienen. Jeder Hindu will hier sterben, in Varanasi, Benares, Kashi - bei welchem ihrer unzähligen Namen man diese Stadt auch benennen mag. Für Hindus ist die Verbrennung an diesem Ort eine Art "expressway to heaven", mit ein wenig Gangeswasser bespritzt, ist es der schnellste Weg Richtung Erlösung.

Für Niranjan sind die Stufen hinunter zum Fluss ein gigantischer Trockner. Und Ganges ist die Waschmaschine. Doch das Verhältnis zu seinem Arbeitsutensil ist gespalten. Wie sollte es anders sein: Den ganzen Tag steht er in ihr, bis zu den Hüften, Ganga Mata, Mutter Ganges, heilig, faulig - eine Kloake. Selbst ein Fall für die Reinigung.

Heiliges Wasser

Doch sagen darf man das nicht. Sonst starrt Niranjan einen an. Mit diesem Blick, mit dem er problematische Flecken begutachtet, bis er sie beseitigt, nach uralter Methode, mit ein wenig Ziegen- und Eseldung. So schaut er jetzt, dann taucht er seine Hand in den Fluss, den brackigen. "Ganga ist nicht dreckig, nimm sie in die Hand, sie ist nicht dreckig", sagt er und trinkt Ganga Jal aus hohler Hand - heiliges Wasser, mystisches Getränk. "Wie sollten wir davon krank werden, da sind Dinge drin, die uns heilen. Wenn wir keine Probleme damit haben, dieses Wasser zu trinken, warum sollten wir dann Probleme damit haben, mit diesem Wasser zu waschen?"

Dann schiebt der Ganges still etwas an Niranjans Körper heran. Ein Schafskadaver, alle Viere von sich gestreckt. Manchmal bringt der Fluss ihm auch Menschen. Niranjan lacht über das Geschenk, den Gestank, schlägt weiter Kleider auf den Stein. Singt. Es kommt so vieles vorbei an einem Waschtag, da kann man sich nicht irritieren lassen. Oben stehen noch ein paar Esel, beladen mit Säcken voller Wäsche, wen interessieren da die aufgedunsenen Überreste. "Die Toten stören uns nicht", sagt Niranjan. Damit meint er die Menschen, die vorbeiziehen Richtung Nirwana, halb verkohlt und aufgedunsen, weil der Familie das Geld für genügend Holz fehlte. Oder weil es ein Kind war, ein Sadhu, eine Schwangere, ein von einer Kobra Gebissener, die sie mit einem Stein in der Mitte des Flusses versenken. Und er meint die Toten, die zwanzig Meter weiter verbrannt werden und als schwarzer Aschefilm um seine Beine wabern. Und er meint die Fische, die vorbeikamen, im Juli 2000, Tausende von ihnen, den Bauch nach oben. "Es war kein Problem, auch sie sind vorbeigezogen", sagt Niranjan.

Der Fluss als Arbeitgeber

Ganga Mata - beladene Göttin, bricht in über 4000 Metern Höhe aus einer Eishöhle im Himalaya hervor, inmitten von Gletschern, die schneller schmelzen als alle anderen der Erde. Wenn sie verschwunden sein werden, wird ihrem Untergang zuerst Überflutung, dann Dürre folgen. Die Toten sind Ganga Matas kleinstes Problem. Es sind die Lebenden, die ihr Sorgen machen, die sich an sie klammern, sie umzingeln. 114 Städte liegen an ihr, saugen aus ihr, entsorgen in sie. Die meisten von ihnen haben mehr als 100.000 Einwohner, fünf sind Millionenstädte, Kalkutta allein hat mehr als 10 Millionen Einwohner. Insgesamt leben 400 Millionen Menschen im Einzugsgebiet des Ganges. Das sind 1300 Millionen Liter Abwasser am Tag. Und da regen sie sich über das bisschen Lauge auf, das Niranjan dazukippt, um dieses Land fleckenfrei zu machen.

Niranjan steht da, schlägt einen Sari auf den Stein, singt, schlägt. Sein rundes Gesicht ist in Schweiß gebadet. Es gibt Menschen, die beschimpfen die Wäscher als Kriminelle, weil sie die Mutter verschmutzen. "Was sollen wir tun? Hast du eine andere Arbeit für uns, oder einen anderen Ort?" 25 Jahre ist Niranjan alt. Er wäscht, seit er denken kann. Der Fluss ist sein Arbeitgeber. Was bleibt ihm übrig als Angehöriger der Dhobi-Kaste. Sie waren schon immer zuständig für die schmutzige Wäsche Indiens.

Der nächste Ausfluss ist nicht weit von seinem Arbeitsplatz. Er kann ihn nicht sehen, nur riechen. An 30 Stellen wird in Varanasi das Abwasser in den Fluss geleitet, eine braune Soße aus Exkrementen und Müll. Gleich daneben waschen sie sich ihre Sünden vom Körper: "Ganga Maiya Ki Jai- Ruhm und Verehrung der erhabenen Mutter Ganges." Die Zahl der Kolibakterien ist hier bis zu 15.000 Mal höher als erlaubt. Und dann all die Gerbereien, Chemiefabriken, Teppichwebereien flussaufwärts, die ihre Gifte ablassen. Der Anwalt M.C. Mehta klagte 1985 vor dem Obersten Gerichtshof in Delhi sein Recht auf Leben ein, nachdem er gehört hatte, dass der Ganges bei der Stadt Haridwar gebrannt hatte. Ein Fluss, der brennt: Im toxischen Abwasser zweier Fabriken reichte ein Funke, um ihn zu entzünden. Aus den Pumpen mancher Ortschaften hinter Varanasi kommt schwarzes Wasser - es sind Orte exotischer Hautausschläge.

Selbstmord einer Kultur

Aber was kann er dafür. Niranjan, der nur seinen Vornamen nennt, weil er weiß, dass es illegal ist, Mutter Ganges zu verschmutzen mit Lauge, Nirma Seife und Bleichmittel. Steuerfrei. Man hat sich arrangiert. Die Polizei kündigt ihre Razzien an, für ein paar kostenlose Reinigungen. Die Wäscher schütten Eimer voll bläulicher Mittel in den Ganges und geben sich Mühe mit den Polizeiuniformen. Es ist ein gerechter Handel. Einmal wollte die Regierung sich einmischen, da haben die Dhobis ihre Esel auf die Straßen gestellt - die Demonstration der Wäscher und ihrer Lasttiere führte zu einem Verkehrschaos. Man vergaß die Sache, um wieder voranzukommen. "Ganga ist auf Erden, um uns zu reinigen. Nicht wir, um Ganga zu reinigen. Sie macht das schon selber", sagt Niranjan.

Das sehen nicht alle so. Veer Bhadra Mishra hat da eine andere Meinung: "Ganga ist nicht sauber. Was hier passiert, ist selbstmörderisch für unsere Kultur. Doch noch ist Zeit. Dieser Fluss hat eine unglaubliche Kraft." Mishra ist hoher Priester des Sankat Mochan Tempels, Wasserwirtschaftler, selbst ernannter Retter des Ganges und einer der größten Feinde des von der Regierung 1986 begonnenen Ganga Action Plans (GAP), den Mishra ein Disneyland fehlgeschlagener Technologien nennt. "Sie haben die Medizin verordnet, bevor sie die Krankheit kannten. Als die Hälfte des Geldes ausgegeben war, sagte die Regierung, dass das halbe Problem beseitigt sei. Aber schauen sie sich die Sauerei an."

Er sitzt da, in weißes Leinen gewickelt und von weißen Kissen umgeben. Eine imposante Ansammlung von Wut: "Die Regierung will, dass wir draufgehen." Dann fällt der Strom aus. Wie jeden Tag. Und wie jeden Tag werden die Klärwerke, Kanäle und Pumpanlagen des Ganga Action Plans stillstehen. In den fünf Monaten der Regenzeit werden sie sogar offiziell stillgelegt. Mishra hat ein Labor eingerichtet, das ihm täglich den Beweis für die Nutzlosigkeit des Ganga Acion Plans liefert. Mit seiner "Sankat Mochan Foundation" hat er ein Gegenprogramm zur Rettung des Ganges entworfen. Es ist eine Lösung ohne Strom. Passiert ist nichts. Man bekämpft sich gegenseitig. Nur Ganga fließt weiter.

Benaresseide auf Totenasche

"Es gibt Menschen, die sind wie Fische im Wasser, sie können ohne Ganga nicht leben. Sie können nicht einmal in sie spucken. Wenn der Fluss weiter vergiftet wird, werden sie sterben. Diese Menschen sind eine bedrohte Tierart." Und soweit man Veer Bhadra Mishra richtig verstanden hat, ist er selber Teil dieser bedrohten Spezies. Jeden Tag geht er zum Fluss, zum Bad. "Wenn ich nur Wissenschaftler wäre, würde ich das nicht tun. Aber für mich ist Ganga eine Göttin. Ich versuche zu vergessen, wenn ich in ihr bade. Aber wenn etwas Eigenartiges vorbeischwimmt, ist das schon komisch."

Niranjan drischt auf seinen Stein ein. Wie sein Vater und sein Urgroßvater schon. Er kennt ihn nicht, den feinen Herrn ein paar Ghats weiter. Er kennt ihn nicht, den Ganges Action Plan, warum auch. Für den Fluss, sagt er, seien die Götter zuständig. Er liegt nicht im Aufgabenbereich der Menschen. Es ist Mittag, es ist heiß, gleich nebenan zündet ein Mann die Leiche seiner Mutter an. Niranjans Beine sind ein einziger Juckreiz. Und dann die Sonne, die von oben quält. Im Winter ist es die Kälte. "Es ist eine furchtbare Arbeit", sagt Niranjan. Dann holt er Gewänder aus der Lauge, schlägt sie auf seinen Stein, mittlerweile stöhnt er bei jedem Schlag. Wenn sie es wüssten, die Frauen der indischen Mittelklasse, die ihre Kleider zur chemischen Reinigung geben, für ein paar Rupien mehr, aber dafür bekommen sie ihre Unterwäsche ohne die Asche der Toten zurück - glauben sie. "Chemisch gereinigt? Liegt da hinten", sagt Niranjan. Lächelt. Die teuersten Saris, Benaresseide, ausgebreitet auf Stufen, über die der Wind ein wenig Asche und kleine Knochen weht.

Im diesigen Licht des Abends, wenn sich Ganga Mata das letzte Mal an Niranjans Beine schmiegt, wenn sie ihn umgarnt und die Haut an seinen Waden eine glühende Hölle ist, verflucht er sie. Mutter Ganges, von der es in jahrtausendealten Texten heißt, dass sie, wenn es der Untaten zu viele werden, versiegen wird, um ihre Reinheit zu bewahren.

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