Berliner SPD:Schlappe für Wowereit

Klaus Wowereit und sein Parteichef Müller - acht Jahre lang bildeten sie das Machtzentrum der Hauptstadtpolitik, zu dem kein Unbefugter Zutritt hatte. Doch damit ist jetzt Schluss. Jan Stöß ist der neue Landesvorsitzende der Berliner SPD. Er ist der Kandidat der Basis. Und die Konsequenz von Wowereits Ignoranz.

Constanze von Bullion, Berlin

Wenn Kleider sprechen könnten, dann würden die des Klaus Wowereit an diesem Samstag sagen: schaffen wir locker. Mit offenem Kragen und einem Hemd, das ihm weit über die Hose hängt, geht Berlins Regierender Bürgermeister in den Ring. Am Ende, als er verloren hat, steht Wowereit mit verschränkten Armen im Saal, er lacht, das tut er oft, wenn es ungemütlich wird.

SPD-Landesparteitag in Berlin

Sinn für die Unterprivilegierten: Der Kandidat des linken Flügels, Jan Stöß, bei seiner Bewerbungsrede. Gegen Michael Müller konnte er sich klar durchsetzen.

(Foto: dpa)

Wowereit ist sein wichtigstes Werkzeug losgeworden, seinen Parteichef Michael Müller. Die Berliner SPD hat einen neuen Landesvorsitzenden, er heißt Jan Stöß. Und Klaus Wowereit sagt so nebenbei: "Wer Krieg will, kann ihn haben."

Erst einmal aber wird gejubelt in dem unwirtlichen Großhotel in Neukölln, in dem 225 Delegierte der Berliner SPD am Samstag Zeugen eines Umsturzes werden, der lange vorbreitet wurde. Michael Müller, 47, SPD-Chef in Berlin, Senator für Stadtentwicklung und Wowereits Mehrheitsbeschaffer in der Partei, wird aus dem Amt gejagt. Mit 101 zu 123 Stimmen unterliegt er Jan Stöß, 38, Richter und SPD-Kreischef in Friedrichshain-Kreuzberg.

Stöß ist ein Mann mit Grips, aber ohne Posten in Landesparlament oder Senat. Viele kennen ihn nicht in Berlin, und nach seiner Wahl wirkt er so, als fremdele er selbst noch mit seiner neuen Rolle.

Es geht nur mit Geschlossenheit

"Ich möchte euch bitten", ruft Stöß aufgeregt in den Saal, "dass wir unsere Geschlossenheit in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren unter Beweis stellen". Geschlossenheit aber ist das Letzte, was die Hauptstadt-SPD vorweisen kann. Der Partei droht die Spaltung. Der starke linke Flügel der Berliner SPD und die Fraktion im Abgeordnetenhaus begehren gegen Parteichef Müller auf, gegen Kompromisse in der ungeliebten rot-schwarzen Koalition, gegen Wowereit.

Wowereit und Müller, das war der Maschinenraum der Hauptstadtpolitik - eine Machtzelle, die kein Unbefugter zu betreten hatte. Acht Jahre hat das funktioniert, jetzt hat es gekracht, was an ein paar begnadeten Krawallmachern lag, vor allem aber an einer Serie von Entscheidungen, die Wowereit und Müller ihrer Partei abgepresst haben.

Der Ausbau der Stadtautobahn A 100 etwa, den Wowereit erzwang und Müller nach unten durchstellte, der von der Partei nicht gewollt war - den sie aber hinnehmen musste. Und der dazu beitrug, dass die schwierigen rot-grünen Koalitionsverhandlungen platzten. Jetzt regiert die SPD mit der CDU, und viele Genossen fühlen sich von Wowereit und Müller ignoriert.

Klare Kante zeigen

"Ich stehe hier, weil ich eine Erneuerung möchte", sagt Jan Stöß in seiner Bewerbungsrede beim Parteitag. Stöß wirkt sympathisch, aber unsicherer als sein Rivale Müller. Er steht hier für die Jüngeren, für zugezogene Akademiker, die Generation Internet, die von Parteichef Müller eben gehört hat, er brauche Facebook nicht. Da lachen die Ersten, besonders natürlich Stöß' Truppen aus Friedrichshain-Kreuzberg. Dort erlebt die SPD täglich, wie es ist, wenn man gegen Grüne und Piraten nicht ankommt und die Stammwähler, die sogenannten kleinen Leute, sich abwenden.

"Wir müssen wieder sichtbar werden", sagt Stöß, der Junge, Arme, wenig Gebildete zurückholen will - "die haben uns abgeschrieben." Brennpunktschulen brauchen kleinere Klassen, sagt er. Also mehr Geld, das sagt er nicht. Dafür aber, dass das Betreuungsgeld "von vielen dummen Ideen der Bundesregierung die dümmste ist". Im Bundestagswahlkampf 2013 muss die Berliner SPD "klare Kante zeigen", sagt Stöß, für Rot-Grün. Wie das in einer Koalition mit der CDU gehen soll, lässt er offen.

Wowereit, der Mann der Kameras

Wer den Mindestlohn will, muss ihn im Land auch zahlen, sagt Stöß. Das ist die erste Spitze gegen Wowereit, andere folgen. Eine Teilausschreibung der Berliner S-Bahn, wie Wowereit und die CDU sie wollen, lehnt er ab. Dafür möchte er sich angesichts steigender Mieten mit der privaten Wohnungswirtschaft "anlegen". Den Frauen verspricht Stöß noch "konsequente Gleichstellungspolitik", dann gibt es Applaus, ordentlichen, keinen begeisterten. Aber auf die Reden kommt es bei diesem Parteitag eh nicht mehr an.

Michael Müller zum Beispiel hält eine schwungvollere Rede als Stöß, er beschwört Zusammenhalt, aber es hilft nichts. Immer wieder, sagt er, habe er gehört, der Müller rede ja viel, aber immer nur mit sich selbst. Das sei natürlich "Quatsch"; aber, ja, er habe "die Botschaft" verstanden, die SPD sei "kein Abnickverein" und könne nur mit vereinten Kräften erfolgreich sein.

"Wir brauchen eine Partei, die nach innen kämpft und nach außen geschlossen auftritt." Der Applaus, der für den Parteichef aufbrandet, ist lang und entschlossen. Vielleicht ist Müller ja doch noch zu retten, hoffen seine Anhänger. Es wird anders kommen.

Weit entfernt von der Basis

Ganz hinten im Saal sitzt Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky und steckt die Nase in eine Aldi-Werbung. Buschkowsky ist ein streitbarer kleiner Herr und bekannt für seine flotten Sprüche über Bildungsdefizite und das Abrutschen von Zuwandererfamilien. Bei Wowereit war Buschkowsky lange Persona non grata. Jetzt hat er, ein Parteirechter, sich auf die Seite von Stöß geschlagen. Warum? "Weil acht Jahre Müller und Wowereit acht Jahre Stillstand in der Integrationsdebatte waren."

Der Landeschef der SPD aber habe es nie für nötig gehalten, mal zu ihm, Buschkowsky, nach Neukölln zu kommen, um sich so eine Schule anzusehen. Und Wowereit? "Kommt nur, wenn mindestens 23 Kameras warten."

Ein anderer kam, in aller Stille. Raed Saleh, der neue Fraktionschef der SPD, er gehört zum linken Flügel und ist ein emsiger Netzwerker für Jan Stöß. Saleh hat sich von Buschkowsky also mal Neukölln zeigen lassen. Man verstand sich. Jetzt wollen die beiden zusammen nach London. Nebeneffekt der neuen Freundschaft: Der Kreisverband Neukölln, einst uneinnehmbare Feste des rechten Flügels, stimmt für den Linken Jan Stöß, Neuköllns Kreischef Fritz Felgentreu wird Stöß' Stellvertreter.

Der Anfang vom Ende als Regierungspartei

So läuft das in der neuen SPD, und es gibt Leute, denen all die stillen Machenschaften nicht gefallen. "Wir erleben hier den Anfang vom Ende der SPD als Regierungspartei", schimpft in der Lobby Wolfgang Thierse. Dann geht der Regierende in die Bütt und führt der Berliner SPD stimmgewaltig vor, dass vorn ist, wo Klaus Wowereit steht, und dass dann lange nichts mehr kommt. Manche sähen ja schon das Ende der Ära Wowereit heraufdämmern, frotzelt er.

"Viel Vergnügen. Das habt ihr ja schon öfters versucht, mich zu dämmern." Es könne "doch nicht wahr sein", dass jetzt jeder versuche, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Parteichef Müller habe einen "hervorragenden Job" gemacht, auch wenn Wowereit mit einem anderen Vorsitzenden leben könnte. "Wer mich kennt, weiß, dass ich da flexibel bin."

Da kehrt Stille ein in den Saal, das Totenglöckchen ist geläutet für Müller, der zuletzt keine Abstimmung mehr gewonnen hat gegen den linken Flügel - und nun auch von Wowereit für ersetzbar erklärt worden ist. Als es vorbei ist, verlässt Müller mit starrer Miene den Saal, Wowereit witzelt ein bisschen herum und versichert, er habe "das überhaupt nicht als Kampfansage gesehen". Dann kommt Klaus Uwe Benneter, er saß bis 2009 für die Berliner SPD im Bundestag. Na, sagt er zu Wowereit, "jetzt hast du wenigstens deinen Frieden." Frieden hat er schon, gibt Wowereit zurück. Aber dass sich das auch ändern könnte.

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