Berliner Echo auf Bremer Wahl:Kleine Stadt ganz groß

Bei der einzigen Landtagswahl in diesem Jahr darf nur links von der Mitte gejubelt werden - zumindest Teile der Koalition stürzt dies in Konfusion.

Ralf Wiegand, Nico Fried und Robert Roßmann

Er hatte aufhören wollen zu rauchen. An dem Tag, an dem ihm die Hamburger SPD die Aufgabe zugeschustert hatte, all ihre Hoffnungen bis zur nächsten Wahl zu tragen, hatte Michael Naumann gesagt: ,,Das ist mein erster Tag als Nichtraucher.'' Vielleicht hatte er sich den Job entspannter vorgestellt. Jetzt jedenfalls steht er in Bremen im Restaurant Friesenhof, und der Rauch, den er selbst ausatmet, brennt in seinen Augen.

Beck und Böhrnsen

Am Tag nach der Wahl: SPD-Chef Kurt Beck und Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen treten vor die Presse

(Foto: Foto:)

Als sich der Nebel hebt, ist da der riesige Kopf von Kurt Beck auf der Leinwand, der wie ein Gute-Laune-Bär einen Wahlsieg herbeisingen will. Naumann zieht noch einmal tief an der Zigarette, verzieht keine Miene, dann sind die Tagesthemen vorbei, und Naumann muss zum Zug. Welche Erkenntnis nimmt er mit? ,,Man muss den Leuten sagen, dass sie die falsche Partei wählen. Wenn es ihnen wirklich um soziale Gerechtigkeit geht, müssen sie uns wählen.'' Dann geht der Gast - um eine Sorge reicher.

Michael Naumann, 65, SPD-Spitzenkandidat für die Hamburger Bürgerschaftswahlen im Februar 2008, hat in Bremen eine dunkle Ahnung bekommen von dem, was werden könnte. Wenn in einem so kleinen Land wie Bremen mit 640000 Einwohnern und einer an den Rändern fast dörflichen Struktur die Linkspartei 8,4 Prozent der Stimmen gewinnen kann, obwohl sie mit einer Mannschaft angetreten war, der sogar die Berliner Zentrale kaum etwas zugetraut hatte - was wird dann in Hamburg möglich sein?

Und dann die Internationale

Wenn Bremen ein Signal war, Hamburg wäre ein Fanal. Die Metropole hat dreimal so viele Einwohner wie Bremen, dreimal so viele Unzufriedene, vom Boom Abgehängte. Von der ,,Wachsenden Stadt'', einer vom CDU-Senat proklamierten Mega-Variante von ,,Unser Dorf soll schöner werden'', profitieren ja längst nicht alle. Wachstumsverlierer werden in der Hartz-IV-Statistik geführt, Globalisierungsgegner rüsten sich gerade in Hamburg für den kommenden G-8-Gipfel.

Wenn die SPD für das Thema soziale Gerechtigkeit nicht schleunigst das Copyright zurückbekommt, wie soll Naumann dann die CDU angreifen? Wenn die SPD links ein Leck hat, wie soll er sich da das Rauchen abgewöhnen können?

Auf das Problem mit der Linken, so viel sei vorweggenommen, werden sie am nächsten Tag auch an dem Ort keine rechte Antwort haben, wo sie eigentlich ausgebrütet werden müsste: in Berlin, bei der Bundes-SPD. Kurt Beck feiert am Montag seinen Jahrestag als gewählter Chef und findet einige getragene Worte zu seiner Bilanz - die allerdings so ausführlich geraten, dass man Angst bekommt, der Bremer Parteifreund Jens Böhrnsen neben ihm werde womöglich nicht rechtzeitig zurück in die Hansestadt kommen. Aber den Fragen nach der unliebsamen Konkurrenz kann Beck damit nicht entgehen.

Fest steht für Beck, dass man mit den Funktionären der Linken nicht reden wolle, die bleiben für ihn irgendwie igittigitt, was nicht für deren Wähler gelten soll. ,,Wir reden mit den Menschen, die diese Partei gewählt haben, und denen, die sich das überlegen'', sagt der SPD-Chef. Und worüber? ,,Was diese Menschen an Sorgen bewegt, nehmen wir ernst.''

Und was können diese Menschen dann erwarten? ,,Die Sozialdemokratie wird dafür sorgen, dass jene, die noch nicht vom Aufschwung profitieren, nicht am Wegesrand zurückgelassen werden'', sagt Beck und verspricht ,,Nüchternheit im Handeln und Wärme in der Zuneigung.''

Da werden sie sicher unheimlich Angst kriegen, drüben, im Karl-Liebknecht-Haus, wo selbst der sonst zurückhaltende Chef der Linkspartei, Lothar Bisky, zu Scherzen aufgelegt ist. In all den Jahren habe es eine ,,undurchdringliche chinesische Mauer zwischen den Parlamenten in den alten Ländern und der PDS gegeben'', sagt er. Jetzt habe er den Eindruck, dass auch diese Mauer zu bröckeln beginne.

Kleine Stadt ganz groß

Lange 17 Jahre hat die PDS, die heute Linkspartei heißt, auf ihren ersten Einzug in ein Westparlament warten müssen. Dass der jetzt gleich mit 8,4 Prozent gelungen ist, hätten selbst die größten Optimisten nicht geglaubt. Peter Erlanson, der ,,Karl Marx von Bremen'', ist gekommen, um sich die Glückwünsche der Bundes-Genossen abzuholen. Vergessen sind all die Querelen um seine Aufstellung als Spitzenkandidat.

Es lohnt sich, auf den Wahlabend noch einmal genauer zu schauen, und zu sehen, wer da Kurt Beck von Herzenswärme reden lässt. Das Konsul-Hackfeld-Haus in Bremen ist der Ort, an dem die Linkspartei ihren Triumph feiert. Sie haben Räucherfisch und Bier vom Fass und einen Mann am Klavier.

Wenn man die Augen zusammenkneift und alle die Männer in Lederkluft und die Frauen mit Latzhosen sieht, den Völkermix, den man mal Multi-Kulti nannte, die Babys in den Wickeltüchern: So ähnlich dürfte es bei den Grünen 1979 ausgesehen haben, als diese zum ersten Mal in ein Parlament einzogen. In Bremen. Jetzt kommen die Linken erstmals in einen westdeutschen Landtag. In Bremen. Sie werden, sagt ihre Sprecherin, ,,die soziale Frage im Parlament stellen''. Aber erstmal feiern sie und singen noch einmal die Internationale.

Für die Medien hat sich der Aufwand in Bremen schon gelohnt. Es gibt harte Nachrichten aus der kleinen, trotzigen, gerne übersehenen Stadt. Niemals zuvor hat das Haus der Bremischen Bürgerschaft so einen Andrang erlebt wie am Sonntag. Die Wahl im kleinsten Bundesland ist ein mediales Großereignis, Journalisten aller Klassen vereinigen sich im Plenarsaal, klappen ihre Laptops an den Abgeordnetenbänken auf, Fotografen entwickeln ihre Bilder dort, wo sonst die Senatoren sitzen.

Die Politiker wiederum drängeln sich draußen durch die Gänge, formulieren Abgesänge auf die Große Koalition oder beschwörende Durchhalteparolen dafür. Bremen darf für einen Abend Deutschland sein, mit einer schwarz-roten Regierung unter Druck und einer Idee, was danach kommen könnte. Ein vergängliches Klein-Berlin an der Weser, beobachtet vom ganzen Land.

Die ersten Tipps sind bitter

Hartmut Perschau, 65, ist von der Bürgerschaft hinüber geschlendert ins Cafe Röwekämp. Bremen ist klein, alle Wahlpartys der Stadt sind zu Fuß keine fünf Minuten vom Parlament entfernt. Das Röwekämp schließt an diesem Abend für immer, es war nach dem Spitzenkandidaten der CDU benannt, Thomas Röwekamp, 40, und wie der Kandidat war auch das Lokal eine Sache auf Zeit.

Innensenator Röwekamp beschwört wie schon vor der Wahl die SPD, bei der Stange zu bleiben. Perschau, als CDU-Fraktionschef ein alter Polit-Fuchs und einst gemeinsam mit Henning Scherf der Architekt der großen Bremer Koalition, glaubt, dass es anders kommen wird. Rot-Grün, Linksruck, ,,die SPD will das so''. Für die CDU sieht er eine neue Aufgabe: ,,Wir müssen die Politik in der Mitte halten.'' Er war jahrelang Oppositionsführer in Hamburg, gegen Rot-Grün. Er wird seinen Nachfolgern in Bremen ein paar Tipps geben, aber schon der erste ist bitter: ,,Der Opposition bleibt nur das Wort, nicht die Tat.''

Perschaus Sorge ist, dass die gesamte Politik in Bremen nach links rücken wird, die Union in der Mitte alleine bleibt, die rechte Flanke offen für allerlei Hasardeure. In Bremerhaven gibt es ja schon die ,,Bürger in Wut'' und die DVU, zusammen haben sie in der Schwesterstadt Bremens mehr als zehn Prozent geholt. ,,Die SPD hat die Mehrheit hier ohnehin am linken Flügel'', sagt Perschau, ,,mit den Grünen rutscht sie vollends nach links weg.''

Bremen, mit 14 Milliarden Euro verschuldet, brauche aber eine Politik mit Augenmaß, brauche Verbündete, wenn demnächst über die Neuverteilung der Finanzen geredet wird. Die CDU-Kanzlerin vielleicht oder die Ministerpräsidenten der ,,reichen Länder, die alle CDU-regiert sind''. Plötzlich ist es wieder da, das Wort vom rot-grünen Experiment, als habe es sieben Jahre im Bund und all die Länderregierungen aus SPD und Grünen nie gegeben. ,,Die Grünen sind ja auch nicht so als Sparer bekannt'', sagt Perschau.

Auch bei der CDU gibt es natürlich eine Bundespartei, und deren Vorsitzende Angela Merkel gibt sich am Morgen nach der Wahl gelassen: Dass in Bremen die Bäume nicht in den Himmel wüchsen, das habe man vorher gewusst, sagt sie sinngemäß. Wenn es nach ihr ginge, solle die Große Koalition fortgesetzt werden, und die SPD solle sich überlegen, ob sie mit ihrer Kampagne für den Mindestlohn die Linkspartei nicht erst so richtig attraktiv gemacht habe. Die Logik der Analyse erschließt sich nur Merkel selbst, aber Hauptsache, die anderen sind irgendwie schuld.

Die Sorge ihres Parteifreundes Perschau, die Grünen könnten nicht mit Geld umgehen, hat sich übrigens am Vorabend schon als falsch erwiesen: Das Bier auf ihrer Party im schicken Salomons, einer ziemlich angesagten Lounge, kostet doppelt so viel wie bei der Linkspartei. Und Karoline Linnert, 48, würde gern Finanzsenatorin werden. ,,Fragen sie doch mal Abgeordnete von der CDU oder von uns nach dem Haushalt, da werden sie schon sehen, wer Ahnung davon hat'', sagt sie. Die Union glaube doch, wenn der Aufschwung da sei und die Stimmung gut, ,,dann geht das alles von selbst. Aber das ist ja nicht so. Wir haben uns die finanzpolitische Kompetenz hart erarbeitet.''

Die Grünen, sagen die Grünen, hätten gelitten unter all den Jahren Großer Koalition, die Henning Scherf zu verantworten hatte. Mit dem Mann sei irgendwann nicht mehr zu reden gewesen, ,,der hat uns gehasst'', sagt eine auf der Party im Salomons. Scherf hatte die Grünen jahrelang links liegen lassen und war immer wieder mit der CDU gegangen, alle rechnerischen Koalitionen ignorierend.

Eine Kungelpolitik, sagen die Grünen, deren Geist auch die Große Koalition nach Scherfs Rücktritt vor zwei Jahren beherrscht habe. ,,Wir stehen auch kulturell für etwas anderes'', sagt Karoline Linnert, die Spitzenkandidatin, ,,mit uns kann man über alles reden''.

Sogar über Wirtschaftspolitik. Ihre wahrscheinliche Wiederkehr in eine Regierung nach zwei Jahren Machtabstinenz feiern die Grünen so ausgelassen, als seien sie von einer Last befreit. Und dass sie eine nicht mehr ganz so junge, bedingungslos moderne Partei sind wie damals, als alles begann in Bremen, merkt man erst, als sie AC/DC auflegen lassen.

Kleine Stadt ganz groß

In Berlin entfuhr Parteichefin Claudia Roth an diesem Abend ob des sensationellen Ergebnisses ein Jubelschrei im Obergeschoss der Parteizentrale - so laut, dass ihn sogar die Journalisten im Erdgeschoss vernahmen. Am Tag darauf jedoch ist wieder Dreireiher-Gelassenheit eingezogen: Statt der lebensfrohen Roth steht ihr Ko-Vorsitzender Reinhard Bütikofer im dunklen Anzug vor den Korrespondenten.

Der beklagt erst mal lange altbekannte Defizite der Großen Koalition, bevor er zum eigenen Triumph kommt. Und selbst den kommentiert Bütikofer mit so wenig Emphase, dass man glauben könnte, der Mann habe eine Niederlage zu verkünden. Angesichts der beinahe peinlichen Bemühungen seiner Kollegen von SPD und Union, wortgewaltig Niederlagen schönzureden, wirkt Bütikofers Zurückhaltung - ansonsten eher eine seiner Schwächen - an diesem Tag angenehm ausgeruht und sympathisch.

Das Knabbern der Mäuse

Natürlich wolle man jetzt in Bremen auch regieren, sagt der Parteichef. Die Grünen seien dabei ,,aber nicht in der Rolle des Getriebenen''. Schließlich hätten sie bewiesen, dass sie auch in der Opposition erstarken könnten. Man gehe deshalb selbstbewusst und sehr gelassen in die Sondierungsgespräche - und werde ,,nicht darum barmen, dass Brosamen vom Tisch der Sozialdemokraten für uns abfallen''. Was sich denn für die Grünen ändern werde, wenn sie in die Regierung kämen, wird Bütikofer noch gefragt. Dass nicht mehr jeder Journalist Gespräche mit der Frage beginne: ,,Herr Bütikofer, warum sind die Grünen an keiner Regierung mehr beteiligt'', antwortet der Parteichef - und bekommt seinen Lacher.

Die Linken 8,4 Prozent, die Grünen 16,4 Prozent - für die SPD ist ihr eigenes Wahlergebnis wie ein Geburtstagskuchen, an dem im Laufe des Vorabends und der Nacht schon die Mäuse knabbern, 36,8 Prozent. Trotzdem, ,,ich habe keinen anderen Begriff dafür, als die Wahl gewonnen zu haben'', sagt Jens Böhrnsen am Sonntagabend. Er hat ein paar Minuten Zeit für eine Mini-Wahlanalyse gefunden. Es kommt dabei nicht viel mit Substanz heraus, eine Absage an die Linken, das schon, ansonsten ist es aber eher ein Augenblick des Durchatmens.

Man hat noch das Bild vor Augen, wie er sich ein paar Stunden zuvor seiner Partei gestellt hatte, sehr erleichtert, echte Freude verbreitend. Böhrnsen wird in diesem Moment auch froh gewesen sein, die vielleicht härtesten Wochen seines Lebens überstanden zu haben, denn zu Beginn dieses Wahlkampfs war seine Frau gestorben.

Ganz plötzlich, ohne jede Vorwarnung. Er, dem ohnehin schon mangelnde Ausstrahlung vorgehalten worden war, wurde naturgemäß noch defensiver. Und in dieser emotionalen Ausnahmesituation musste er sich zum ersten Mal an der Wahlurne dem Vergleich mit seinem über die Maßen populären Vorgänger Henning Scherf stellen, dessen Amt er 2005 übernommen hatte. Böhrnsen, ein Wahlsieger? So gesehen schon.

Am Montag achten natürlich alle auch in Berlin sehr sorgsam auf jedes Wort, das er zur Koalitionsfrage von sich gibt. Einmal spricht er von Verschleißerscheinungen, die eine Große Koalition nach zwölf Jahren natürlich aufweise, und davon, dass nun nicht alles einfach normal weitergehen könne in der am längsten amtierenden Großen Koalition, die es je in Deutschland gegeben hat.

Da wirkt es einen Moment, als werde Böhrnsen gleich erklären: Seid umschlungen, Ihr Grünen. Weit gefehlt. Das Wahlergebnis sei eine ,,Aufforderung, eine sehr konkret auf die soziale Situation bezogene Politik zu machen'', sagt Böhrnsen. Es gibt Politikersätze, die kann man wringen und ziehen und kneten solange man will, sie werden den Tropfen der Lösung nicht absondern. Aber nach so langer Zeit werden die Grünen die paar Tage auch noch aushalten können.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: