Berlin:Überfordert mit sich selbst

Der Polizeipräsident der Hauptstadt muss gehen - und die Beobachter rätseln nur, welche der zahlreichen Pannen und Fehler dafür den Ausschlag gab. Doch die Misere ist nicht nur der Polizeiführung anzulasten. Die Politik hat viele Jahre die Not der Polizei missachtet.

Von JENS SCHNEIDER

Der Polizeipräsident der Hauptstadt muss gehen, und als Geleitwort zu seiner Entlassung gab Berlins Innensenator Andreas Geisel ein ehrgeiziges Ziel aus: Berlins Polizei solle stolz auf sich sein können. Diese Polizei solle ein Spiegel der bunten, dynamisch wachsenden Metropole werden, so der Senator; deshalb brauche sie eine Erneuerung. Hinter den wohlklingenden Worten verbirgt sich ein heikler Ist-Zustand: Berlins Polizei ist dramatisch unterbesetzt, die Moral so angeschlagen wie ihr Ruf. Es wird schwierig, das zu ändern.

Als am Montagmorgen die Nachricht von der Entlassung des Polizeipräsidenten Klaus Kandt die Runde machte, war die einzige Frage, welche der vielen Fehler, Pannen und Mängel bei Berlins Polizeiführung den Ausschlag gegeben haben könnten. Am Ende war wohl das Gesamtbild ausschlaggebend - das Bild einer vor allem im Fall des Attentäters Anis Amri überforderten Polizei. Niemand kann wissen, ob der mörderische Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 hätte verhindert werden können. Aber es passierten Fehler. Die unterbesetzte Polizei stieß an Grenzen, als es galt, Gefährder wie Amri zu überwachen.

Bis die neuen Polizisten in den Dienst kommen, wird es länger als zwei Jahre dauern

Es wäre falsch, diese Unzulänglichkeiten allein der Polizeiführung anzulasten. In der Hauptstadt versäumte es auch die Politik, rechtzeitig auf die veränderte Sicherheitslage zu reagieren. In allen deutschen Städten steht die Polizei wegen der allgegenwärtigen Gefahr von Anschlägen vor Herausforderungen, die vor zwanzig Jahren nicht vorstellbar waren; in vielen Städten ist die Bevölkerung in kurzer Zeit schnell gewachsen, und mit ihr ist auch die Kriminalität gestiegen. Es werden mehr Polizisten gebraucht, die neue Aufgaben erfüllen müssen. In der Hauptstadt sind diese Herausforderungen noch viel größer, nicht nur weil sie besonders im Fokus möglicher Attentäter stehen könnte. Berlin lockt jedes Jahr Millionen Besucher an und Zehntausende, die sich niederlassen. Die Polizei ist jedoch nicht mitgewachsen, sondern jahrelang geschrumpft. Sie ist überaltert, der Krankenstand ist extrem hoch. Auf der Straße sieht man heute viel weniger Polizisten als noch vor 15 Jahren.

Die Lage der Berliner Polizei spiegelt den heiklen Zustand der Hauptstadt wider, deren Senat zu lange an einem zunächst richtigen Sparkurs festhielt. Berlin ist oft mit sich selbst überfordert: Ob bei den U-Bahnen, in den Ämtern oder in heruntergekommenen Schulen - es fehlt an vielem in der Boom-Stadt. Und es fehlt besonders bei der Polizei; es fehlt an Wertschätzung für die Polizisten, die sich auch in angemessenen Gehältern ausdrücken sollte. Das ist fatal in einer Zeit, in der sie besonders gebraucht werden.

Inzwischen wird wieder investiert. Aber eine baldige Entspannung darf niemanden erhoffen. Die Politik kann Beförderungsstaus auflösen, sie kann Gehälter erhöhen, den schwierigen Job wieder attraktiv machen. Sie kann jedoch keine Polizisten einstellen, die es nicht gibt. Die Polizeiakademie hat ihre Kapazität bis ans Limit hochgefahren. Bis die ersten Absolventen in den Dienst kommen, dauert es noch länger als zwei Jahre - und viele von ihnen werden erst einmal Beamte ersetzen müssen, die in den Ruhestand gehen. So wird die künftige Führung kluge Prioritäten setzen müssen, um auch nur die Nähe von Geisels Leitbild einer stolzen Metropolen-Polizei zu kommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: