Berlin:Letzte Ausfahrt Groko

Merkel, Seehofer und Schulz stehen Tage bevor, die nicht nur über eine Koalition, sondern auch über ihre Zukunft in der Politik entscheiden. Insbesondere die Kanzlerin kann sich ein zweites Scheitern nicht erlauben.

Von Stefan Braun

Eines immerhin lässt sich am Sonntag schon erkennen, bevor es losgeht: Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer teilen derzeit ein gemeinsames Schicksal. Alle drei sehen zum Start in die Sondierungen ziemlich erschöpft aus. Alle drei wissen, dass es in diesen Tagen auch um sie geht. Und alle drei geben sich große Mühe, positiv aufzutreten. Die Kanzlerin erklärt zur Begrüßung, sie gehe "optimistisch" in die Gespräche, auch wenn "ein Riesenstück Arbeit" vor allen liege. "Ich glaube, es kann gelingen", sagt sie. Mit genau diesen Worten hatte Merkel allerdings bereits ihre Zuversicht bei den Jamaika-Verhandlungen bekundet. CSU-Chef Seehofer betont mit der üblichen Ironie, er sei "bester Stimmung". Und der SPD-Vorsitzende Schulz, Gastgeber der ersten Runde, sagt, er ziehe keine roten Linien, bevor man überhaupt zusammensitze.

Merkel, Seehofer, Schulz - allen dreien stehen Tage bevor, die nicht nur über eine Koalition, sondern auch über ihre Karriere entscheiden werden. Mögen andere noch Muskeln zeigen, die drei wollen zurückhaltend starten. Sie wissen zu genau, dass ihre Überschrift lautet: Letzte Ausfahrt Groko.

Markus Söder, der neue starke Mann bei den Christsozialen, sitzt dieses Mal mit am Tisch

Das gilt zuallererst für die Kanzlerin, die inzwischen mehr als zwölf Jahre im Amt ist. Sie hat vor und nach dem Wahltag am 24. September erklärt, dass sie für vier Jahre angetreten sei. Und daraus leitet sie den Anspruch ab, auch im Fall von Neuwahlen noch einmal anzutreten. Doch wer sich die Entwicklung der Umfragen betrachtet, kann nur eines feststellen: dass die Zweifel an ihr wachsen und die Zustimmung zu ihr bröckelt. Es ist eine schleichende Entwicklung, aber sie hat sich verstetigt. Bis hinauf zu Merkel selbst spüren viele in der CDU, was Zweifel an der Chefin auf Dauer bewirken: Sie durchweichen das Fundament des Hauses, auf dem bislang alles stabil stand.

Jüngste Umfragen wie die des ARD-Deutschlandtrends oder des Meinungsforschungsinstituts Insa weisen aus, dass eine Mehrheit der Deutschen eher für Neuwahlen ist - und dass Merkel im Falle von Neuwahlen nicht mehr antreten sollte. Ebenfalls eine Mehrheit findet, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat, aber ebenso viele plädieren für eine personelle Erneuerung bei den Christdemokraten. Das ist kein Aufruf zum sofortigen Rücktritt. Aber es zeigt, dass Merkel in den nächsten fünf Tagen liefern muss. Sonst müsste sie ein zweites Mal ihr Scheitern begründen.

CSU leader Seehofer and SPD leader Schulz shake hands before exploratory talks about forming a new coalition government at the SPD headquarters in Berlin

Heikle Lage: SPD-Chef Martin Schulz hatte direkt nach der Wahl eine große Koalition ausgeschlossen. Seit Sonntag verhandelt er mit CSU-Chef Horst Seehofer über die Bildung einer neuen Bundesregierung. Für beide hängt vom Ausgang der Gespräche viel ab.

(Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Nicht besser ist die Lage für Seehofer. Er hat zwar den Vorteil, dass er nach der angekündigten Machtteilung in der CSU als Parteivorsitzender noch einmal bestätigt wurde. Aber das wäre wenig wert, wenn sich damit nicht in Kürze ein Amt in Berlin verbindet. Ein Parteivorsitzender, der kein Ministerpräsident mehr ist, braucht Macht in der Hauptstadt. Bekommt er die nicht, dürfte sich seine Karriere schnell ihrem Ende zuneigen. Mit Parteikollege Alexander Dobrindt, einem engen Freund von FDP-Chef Christian Lindner, könnte es für ihn indes schwer werden, die Konflikte mit der SPD so zu schlichten, dass die Sozialdemokraten der eigenen Basis aufrecht eine Neuauflage der Koalition empfehlen könnten.

Ein bisschen anders, aber auch sehr heikel ist die Lage für den SPD-Chef. Schulz weiß möglicherweise bis heute nicht, ob er eher mit einem Nein oder einem Ja zu einer Koalition sein politisches Überleben sichert. Eines aber gilt für den Vorsitzenden der Sozialdemokraten sicher: Er braucht gute Gründe, um den Kursschwenk nach seinem anfänglich strikten Nein in ein Ja zu verwandeln. Dass er um seine Not weiß, hat er im Kreis der Parteichefs offenbar schon selbst angedeutet. Laut Bild soll er dort gesagt haben: "Wenn das schiefgeht, ist meine politische Karriere zu Ende."

Der vierte, über dessen Zukunft in den nächsten Tagen entschieden werden dürfte, heißt Sigmar Gabriel. Der Noch-Außenminister hat das besondere Privileg oder die besondere Qual, dass er wenig bis gar nichts tun kann, um über sein Schicksal mitzuentscheiden. Weil er kein hohes Parteiamt mehr bekleidet, gehört Gabriel nicht der Sondierungsgruppe an. Das dürfte ihn, der immer und überall mitmischen möchte, besonders umtreiben. Aktuell sind viele in der SPD-Spitze von ihm wenig begeistert - nicht wegen seiner Arbeit als Außenminister, sondern wegen seiner unentwegten Einlassungen, was man wie besser machen könnte. Nur wenn Ruhe einkehrt um den umtriebigen Ex-SPD-Chef, bliebe eine Restchance, dass er auch im nächsten Kabinett einen Platz findet.

Zur gleichen Zeit gibt es in jeder Partei Akteure, die fast provozierend gelassen zusehen können, ob es was wird oder am Ende doch scheitert. Da ist Markus Söder, der neue starke Mann bei den Christsozialen. Anders als bei den Jamaika-Verhandlungen sitzt er dieses Mal mit am Tisch. Aber ob sich das produktiv auswirkt oder er sich am Ende nur als zerstörerische Kraft beteiligt, weiß niemand. Vielleicht weiß es nicht einmal er selbst. Sein Schicksal jedenfalls entscheidet sich nicht in Berlin und nicht in der Groko. Entsprechend brutal wird er darauf achten, sich bei den Sondierungen nicht Fesseln für den eigenen Landtagswahlkampf anlegen zu lassen.

Noch unbefangener segelt CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn durch diese Zeiten. Ihm kann so gut wie gar nichts passieren. Kommt eine große Koalition zustande, wird Merkel kaum umhin können, den immer noch jugendlichen Vorzeige-Konservativen zum Minister zu machen. Scheitert die Kanzlerin mit ihren Koalitionsbemühungen, dürfte sein Einfluss in der CDU nur noch größer werden. Mit seinem Ehrgeiz und Selbstbewusstsein würde er sich ohnehin so gut wie alles zutrauen.

Andrea Nahles, der Dritten in dieser Runde, dürfte es nicht viel anders gehen - auch wenn die SPD-Fraktionschefin sich ehrlich um eine Koalition bemühen wird. Als eine der wenigen in der SPD-Führung jammerte sie nach dem Scheitern aller Jamaika-Bemühungen nicht, sondern setzte sich für selbstbewusste Gespräche ein. Sollte es für eine große Koalition nicht reichen, könnte sich ihr Einfluss in der SPD noch ausweiten. Nahles ist fast alles in der SPD schon gewesen; und sie hat das wahrscheinlich feinste Netzwerk in einer Partei, die weiß, dass die Zeiten einer männerdominierten SPD bald vorbei sein müssen. Sie hat also gute Karten in einer Woche, in der es für andere "Alles oder nichts" heißt.

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