Berlin:Kreuzberger Kandidaten

Hans-Christian Ströbele holte für die Grünen bei der Bundestagswahl 2005 das einzige Direktmandat - nun schicken die anderen Parteien prominente Gegner.

Roman Deininger

Es gibt Wahlkreise, denen sieht man ihre Abgeordneten an. Bundestagswahlkreis 84, Berlin-Kreuzberg, den alle so nennen, obwohl sein größerer Teil in Friedrichshain und im Osten des Prenzlauer Bergs liegt - das ist so einer.

Berlin: Hans-Christian Ströbele muss sich im kommenden Jahr prominenter Konkurrenz erwehren. Björn Böhning und Vera Lengsfeld wollen 2009 bei der Bundestagswahl in Kreuzberg gegen ihn antreten.

Hans-Christian Ströbele muss sich im kommenden Jahr prominenter Konkurrenz erwehren. Björn Böhning und Vera Lengsfeld wollen 2009 bei der Bundestagswahl in Kreuzberg gegen ihn antreten.

(Foto: Foto: dpa)

Da weiß man Bescheid, wenn man nur eine halbe Stunde herumschlendert, durch den Görlitzer Park vielleicht, wo sich Punks, Ökos, türkische Großfamilien und eine probende Theatergruppe einträchtig der Herbstsonne hingeben. Wenn man noch ein bisschen weiterläuft, Richtung Kottbusser Tor, dann wird die Frage nach der politischen Vertretung sogar ganz konkret beantwortet. In einem am lichten Tag schummrigen Café hängt direkt über der Eistruhe ein altes Wahlkampfplakat. Darauf steht: "Ströbele wählen heißt Fischer quälen."

Hans-Christian Ströbele hält das Direktmandat in Kreuzberg, das einzige für die Grünen in ganz Deutschland. 2002 hat er es erobert, mit 31 Prozent lag er nur einen Wimpernschlag vor dem SPD-Kandidaten. 2005 musste er dann nicht mehr zittern. 43,3 Prozent bekam er, mehr als das Doppelte des Zweitplatzierten.

2009 könnte es wieder knapper werden, denn sowohl bei der CDU als auch bei der SPD zeichnen sich die Kandidaturen prominenter Herausforderer ab. Die CDU will die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld nominieren, bei der SPD ist der ehemalige Juso-Chef Björn Böhning ins innerparteiliche Rennen eingestiegen.

Doch noch nennen sie Ströbele hier Liebling Kreuzberg, und dabei ist es den meisten egal, dass ihr Liebling eigentlich in Charlottenburg wohnt. Wenn der 69-Jährige, der weit weg in Marl aufgewachsen ist, gefragt wird, was seinen Erfolg begründet, dann sagt er meistens bloß: "Ich bin ein Linker." Und wenn man die Menschen in Kreuzberg fragt, warum sie ihn wählen, sagen sie ungefähr das Gleiche: Der Ströbele mache die ganzen Realo-Verrenkungen seiner Partei einfach nicht mit. Als Beispiel fällt immer wieder sein Nein zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Ströbele wählen hieß Fischer quälen.

König ohne Fangnetz

In diesem Sommer dachte Ströbele eine Weile nach, ob er wirklich eine weitere Amtszeit im Bundestag anstreben sollte oder ob er nicht lieber nach Afrika gehen würde, um dort Gutes zu tun. Er entschied sich für Kreuzberg - und für das Gute, das er Deutschland noch zu geben gedenkt: "Hier kann ich am meisten politisch bewirken." Für die Landesliste der Grünen, kündigte er Ende September an, werde er sich nicht bewerben.

Vielleicht hat er den Verzicht auf ein solches Fangnetz inzwischen bedauert. Denn auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass der König von Kreuzberg bei der Bundestagswahl im nächsten Herbst vom Thron stürzt - auf ein gehöriges Wackeln muss er sich einstellen.

Berlin-Kreuzberg könnte 2009 einen der spannendsten Wahlkämpfe der gesamten Republik erleben. Im Grunde hat er schon begonnen. Ströbele, sagt Lengsfeld, sei natürlich Kult, "aber Kult von gestern". Sie wolle den Wählern einen "kulturellen Grund" liefern, CDU zu wählen, nämlich "den Geist von 1989 statt dem von 1968". Ströbele, sagt die 56-Jährige, habe ja immer nur von der Revolution geträumt. "Ich habe eine gemacht."

Sollte sie in Kreuzberg siegen, käme das einer zweiten Revolution gleich - 2005 holte der CDU-Kandidat elf Prozent. Für Lengsfeld ist die Einladung ihrer Partei, in Kreuzberg zu kandidieren, eine unverhoffte Chance: 2005 hatte sie nach 15 Jahren im Bundestag für die Grünen und die CDU die Wiederwahl verpasst. Erst im September war sie beim Versuch gescheitert, sich in Pankow aufstellen zu lassen, wo sie wohnt.

Für den als ehrgeizig beleumundeten Böhning ist der Griff nach der SPD-Kandidatur ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter. Momentan gibt der Parteilinke in der Berliner Senatskanzlei den Vordenker von Bürgermeister Klaus Wowereit. Doch auch an den Wahlkreis 84 denkt er schon: Für den Görlitzer Park fordert er drahtloses Internet. Und falls es nicht klappen sollte mit dem Sturz von Liebling Kreuzberg, baut Böhning bereits vor: "Mit 30 Jahren", sagt er, "kann man durchaus auch mal verlieren."

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