Berlin gedenkt der Maueropfer:"Damit sich Geschichte nicht wiederholt"

Stilles Gedenken - und Groll für die Verklärer: In einer feierlichen Veranstaltung erinnern Spitzenpolitiker an die Verzweiflung und den Schock, den die Berliner erleiden mussten, als vor 50 Jahren die Mauer gebaut wurde. Applaus gibt es für jene Redner, die ihrem Zorn über die aktuelle Verharmlosungsdebatte freien Lauf lassen.

Florian Fuchs, Berlin

Es war ein stiller Beginn. Einige hundert Gäste waren an die Bernauer Straße gekommen, zur Gedenkveranstaltung anlässlich des Mauerbaus vor 50 Jahren. Sie hörten zu, wie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit von dem Schock und der Verzweiflung sprach, den die Berliner am 13. August 1961 erleiden mussten, wie er die Opfer des DDR-Regimes betrauerte und den friedlichen Wandel 1989 lobte. Dann aber sagte Wowereit diesen einen Satz, auf den die Menschen anscheinend nur gewartet hatten, denn nun applaudierten sie plötzlich, lange und laut: "Ich habe kein Verständnis für die, die Erinnerung an den Mauerbau verklären."

Berlin gedenkt der Maueropfer: Gedenken an das Unvergessliche: Eine Nonne steht vor den Kränzen, die anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus an die Überreste der Mauer in der Bernauer Straße gelegt wurden.

Gedenken an das Unvergessliche: Eine Nonne steht vor den Kränzen, die anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus an die Überreste der Mauer in der Bernauer Straße gelegt wurden.

(Foto: AP)

50 Jahre ist es her, dass die SED in Berlin die Mauer errichten ließ, um den Strom der Flüchtlinge in den Westen zu stoppen. Bundeskanzlerin Angela Merkel war deshalb an die Gedenkstätte an der Bernauer Straße gekommen, Bundespräsident Christian Wulff war da, Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Auch zahlreiche Angehörige von Fluchtopfern sowie Bürgerrechtler aus der DDR saßen im Publikum.

Sie gedachten nicht nur der Opfer der Mauer und des DDR-Regimes. Sie waren auch gekommen, die Erinnerung an vergangenes Unrecht wachzuhalten. "Damit sich Geschichte nicht wiederholt", wie Bundespräsident Wulff sagte.

Es hatte ja zuletzt einige Debatten gegeben, Unmut hatte sich breit gemacht über Äußerungen der Linken-Chefin Gesine Lötzsch, die den Mauerbau als logische Folge des Zweiten Weltkriegs bezeichnet hatte. Lötzsch hatte in den vergangenen Tagen versucht, ihren Zitaten die Schärfe zu nehmen.

Doch während die Menschen an den Resten der Berliner Mauer neben der Bernauer Straße an das Leid erinnerten, debattierte die Linke auf ihrem Parteitag in Mecklenburg-Vorpommern schon wieder darüber, ob der Bau der Mauer "alternativlos" gewesen sei. Im Publikum der offiziellen Gedenkveranstaltung in Berlin saß auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von den Linken.

Sie musste mit anhören, wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann davon sprach, dass es ihn "traurig und wütend" mache, wenn noch heute jemand, zumal in politischer Verantwortung, die Mauer verharmlose. Und Bundespräsident Wulff sagte: "Es wird verklärt und verharmlost, nicht nur im Osten, nicht nur von Tätern."

Beschämend sei vor allem auch gewesen, wie gleichgültig die Menschen im Westen mit der Zeit geworden wären. "Viele gewöhnten sich an die Mauer", sagte Wulff. Wer an die die Nation, an Mauer und Stacheldraht erinnert habe, sei als Störenfried beschimpft worden. Dabei betonte der Bundespräsident, dass gerade die Erinnerung "an die Leben erstickende Mauer" daran mahne, "die Offenheit unserer heutigen Welt auszuhalten, auch wenn es häufig anstrengend sein mag."

Bei einer ökumenischen Andacht in der Kapelle der Versöhnung mitten auf dem ehemaligen Todesstreifen erinnerten dann auch der evangelischen Landesbischof Markus Dröge und der katholische Weihbischof Matthias Heinrich an das durch die Mauer verursachte Leid. Aus der "Kraft dieser Schwachen" sei schließlich das Herbstwunder 1989 erwachsen, sagte Dröge.

Während man aber der Berliner Mauer gedenke, forderten andere Mauern ihre Opfer, sagte Dröge: die Mauer zwischen Israel und Palästina, die Grenze zwischen den USA und Mexiko und die Außengrenzen Europas, die Flüchtlinge abhalten sollen.

50 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer brauche es einen "Schulterschluss aller, die für die allgemeinen und unteilbaren Menschenrechte einstehen und für den Wert einer offenen Gesellschaft kämpfen", forderte der Landesbischof.

Um zwölf Uhr gedachten die Menschen in Berlin dem Bau der Mauer mit einer Schweigeminute. In der Stadt fuhren für eine Minute weder Bahn noch Bus, die Kirchen läuteten die Glocken. Wenige Minuten zuvor hatten Wulff und Merkel noch Kränze an der erhaltenen Mauer an der Bernauer Straße niedergelegt und einen neuen Abschnitt der Gedenkstätte eröffnet.

Neben den Originalteilen der Mauer gibt es nun auch eine 4,4 Hektar große Erinnerungslandschaft, die die Zerstörung der Stadt durch den Mauerbau dokumentiert - und ein Vergessen unmöglich machen soll.

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