Berlin:Bürgermeister von Berlin: "Im Moment ist nicht die Zeit für runde Tische"

  • Es soll mit den Anwohnern der besetzten Häuser in der Rigaer Straße geredet werden, aber weder Müller noch Henkel wollen derzeit Gespräche mit der linksautonomen Szene.
  • Die Bilanz der Demos am Samstag laut Polizei: 123 verletzte Polizisten, 86 festgenommene Demonstranten, Dutzende zerstörte Autos.
  • In den einschlägigen Internetforen der Autonomen wurde schon weit im Vorfeld der Demo zur Gewalt aufgerufen.

Von Thorsten Denkler und Jens Schneider, Berlin

Am Montag nach diesem Wochenende haben Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und sein Stellvertreter und Innensenator Frank Henkel von der CDU dringenden Gesprächsbedarf. Und sie haben auch das Bedürfnis, das nach außen zu zeigen. Also geben sie in der Rotunde im Roten Rathaus nach ihrem Gespräch vor den eingeladenen Journalisten jeder ein kurzes Statement ab, drei Fragen werden beantwortet.

Auch in diesen acht Minuten spürt man, wie groß die Distanz zwischen den Regierungspartnern des Berliner Senats zwei Monate vor der Wahl in der Hauptstadt ist. Sie können nicht mehr miteinander, die Chemie stimmt nicht. Beiden fällt das gemeinsame Regieren schon lange schwer, sie wollen auch nicht mehr gern miteinander. Müller hofft für die Zukunft nach der Septemberwahl auf einen anderen Koalitionspartner, die Grünen oder die Linke. Längst im Wahlkampfmodus bekriegen sich Müller und Henkel mehr, als dass sie noch Gemeinsamkeiten suchen. Aber es gibt keinen offenen Streit, wie ihn manche erwartet hatten.

Hier im Rathaus zeigen sie sich auf einer Linie, was das letzte Wochenende angeht. "Wir sind uns einig, dass unsere volle Solidarität den Polizeibeamten gilt", fasst Müller das Spitzengespräch zusammen. "Es gibt überhaupt keinen Grund der Solidarität mit irgendwelchen Gewalttätern." Er stellt sich voll hinter den von Henkel verantworteten Polizeieinsatz. Und vermutet, dass er damit auch die Stimmung in der Stadt wiederspiegelt: Müller sagt, dass die Eskalation vom Wochenende diese linke Szene in der Stadtgesellschaft eher isolieren werde.

Rund um die Rigaer Straße 94 fehlt manchen Anwohnern jedoch das Verständnis für die Polizeipräsenz dort. Die beiden Spitzen des Senats haben nun beschlossen, dass die Polizei dort ihre Kommunikation intensivieren soll. "Wir haben uns verständigt, noch stärker zu erklären, warum die Polizei vor Ort ist", sagt Henkel. Das geschehe schon seit Beginn des Einsatzes, solle aber verstärkt werden.

Weder Müller noch Henkel wollen Gespräche mit der linksautonomen Szene

Es soll also mit den Anwohnern der besetzten Häuser geredet werden. Aber weder Müller noch Henkel wollen derzeit Gespräche mit der linksautonomen Szene. Darüber herrschte bisher Uneinigkeit. Henkel war dagegen, Müller hatte noch in der letzten Woche erklärt, dass man Möglichkeiten zum Gespräch ausloten sollte. Im Roten Rathaus sagt er jetzt aber, dass nach dem Wochenende "im Moment nicht die Zeit für runde Tische ist".

Es habe zudem Gesprächsangebote an die linke Szene gegeben, vor der Eskalation am Samstag, die seien ausgeschlagen worden. Geht es nun so weiter? Wird es weitere Ausschreitungen geben?" Ich habe keine Glaskugel", antwortet Frank Henkel, er klingt nicht, als erwarte er aktuell eine Beruhigung der Lage.

Und auch viele Verlautbarungen aus der linken Szene klingen eher weniger nach Deeskalation. Folgender Tweet etwa spricht für sich: Unter der Benutzerkennung "@rigaer94" postete jemand am vergangenen Samstag ein schönes "vielen Dank an alle", die auf der Straße oder in Gedanken dabei gewesen seien. Und es folgt die Aufforderung: "Jetzt dezentral weitermachen".

Was das bedeutet kann sich jeder ausrechnen, der die Eskalationen um die Rigaer Straße in den vergangenen Monaten verfolgt hat: noch mehr abgefackelte Autos, Brandanschläge, eingeschlagene Fensterscheiben, Gewalt gegen Polizisten. Es gibt wenig, wovor die sogenannten "Autonomen" und "Linksextremisten" zurückschrecken, die das Hinterhaus in der Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain besetzt halten.

"Gewalttätigste und aggressivste Demonstrationen in den letzten fünf Jahren"

Der Dank von @rigaer94 geht an die etwa 3500 Teilnehmer der Demonstration am vergangenen Samstag. Die hatte sich vordergründig gegen Gentrifizierung im Allgemeinen und hohe Mieten im Besonderen gerichtet. Ein erheblicher Teil der Demonstranten funktionierte die Demo dann aber zu einem extrem gewalttätigen Solidaritätsprotest für die Rigaer Straße um.

Die Bilanz dieser "gewalttätigsten und aggressivsten Demonstrationen in den letzten fünf Jahren", wie die Berliner Polizei in einer Pressemitteilung schreibt: 123 verletzte Polizisten, 86 festgenommene Demonstranten, gegen zwei wurde Haftbefehl wegen schweren Landfriedensbruchs erlassen. Dutzende zerstörte Autos. Auf die Polizisten regneten Steine und Flaschen. Allein vor dem Eingang zum Haus Rigaer Straße 94 hatte die Polizei fünf Mannschaftswagen und über einhundert Polizisten postiert. "Bullenschweine raus aus der Rigaer!", war ein beliebter Schlachtruf unter den Autonomen.

In den einschlägigen Internetforen der Autonomen wurde schon weit im Vorfeld der Demo zur Gewalt aufgerufen. "Lasst es richtig knallen, schafft viele Gefahrengebiete, stürzt Berlin ins Chaos", hieß es da etwa. An anderer Stelle wird erklärt, dass die angemeldete Demonstration "natürlich immer als Ausgangspunkt oder Unterstützung unangemeldeter Aktionen dienen" könne. "Erlaubt ist das, was ihr euch rausnehmt!"

Stress in der Rigaer Straße schon seit 15 Jahren

Stress mit Bewohnern der Rigaer Straße 94 gibt es seit über 15 Jahren. Das Haus wurde wie viele andere Berliner Häuser nach der Wende Anfang 1990 besetzt. 1992 bekamen die damaligen Bewohner Mietverträge. Ob von denen heute dort noch jemand wohnt, ist unklar. Und damit auch, ob die Mietverträge noch Gültigkeit haben. Seit dem Verkauf das Hauses an einen Investor 1999 gab es immer wieder Räumungsversuche. Die Bewohner wollten nämlich nicht in dem ökologischen Wohnprojekt leben, dass der Investor dort plante.

Geräumte Gebäudeteile eroberten die Bewohner immer wieder zurück. 2013 wurden bei einer Razzia Brandsätze, Pyrotechnik und Stacheldraht gefunden. Seit 2015 eskaliert die Gewalt immer wieder. Innensenator Frank Henkel (CDU) ließ die Gegend um die Rigaer Straße von der Polizei zu einem "kriminalitätsbelasteten Ort" erklären. Die Folge: mehr Polizisten, verdachtsunabhängige Kontrollen. Zwischen Oktober und Ende Januar sind über 1500 Personen kontrolliert worden. Auch zum Ärger der Anwohner.

Am 22. Juni ließ Henkel dann die illegal betriebene Kneipe "Kadterschmiede" in dem Haus räumen. In der Folge wurden über 50 Brandanschläge auf Autos und Sachbeschädigungen an Neubauten gezählt. Der Samstag war der vorläufige Höhepunkt der Gewalt.

Die Berliner Landespolitik ist sich nicht einig, wie sie damit umgehen soll. Die Linke, die Grünen und die ebenfalls im Abgeordnetenbaus vertretenen Piraten machen vor allem die Politik von Innensenator Henkel für die Gewalt-Eskalation verantwortlich. Die Linke ist selbst teilweise mit der autonomen Szene verflochten.

Die Grünen wollen nicht zwischen die Fronten gezogen werden. Sie stellen mit Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann eine wichtige Ansprechperson im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Herrmann scheint aber nicht willens zu sein, eine klare Haltung zur Rigaer Straße zu entwickeln. Sie will Gespräche führen, fordert einen runden Tisch mit allen Beteiligten. Innensenator Henkel wirft sie vor, sich solchen Gesprächen zu verweigern. Doch selbst Müller sieht nach den vergangenen Samstags-Krawallaen wie gesagt "nicht die Zeit für runde Tische".

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